"Als würde eine frisierte Harley Davidson über die Wiese knattern, nur lauter, intesiver": Eine Discovery hebt von der "Space Coast" in Florida ab.

Foto: Hermann

Es ist, als würde eine frisierte Harley-Davidson über die Wiese knattern, nur lauter, intensiver. In der Ferne zuckt ein greller Lichtblitz, die Startrampe 39A verschwindet hinter einer weißen Rauchwolke. Dann taucht das Raumschiff aus der Wolke auf, ein behäbiger Klotz, der erst in Fahrt kommen muss, bevor er auf einer Feuersäule gen Himmel steigt. Wie Spielzeug schimmert es zwischen zwei schlanken Raketen, huckepack auf dem rostfarbenen Treibstofftank sitzend. Ein faszinierendes Bild. Aber das Faszinierendste ist das Geräusch, das Knattern des Riesenmotorrads.

Es dauert ein paar Sekundenbruchteile, bis die Schallwellen es über drei Meilen Entfernung bis zu dem Teich übertragen, an dessen Ufer die ersten Gäste sitzen dürfen. Das Wasser kräuselt sich, Fensterscheiben zittern. "Go, baby, go!", ruft eine begeisterte Frauenstimme. Nach 73 Sekunden geht ein Aufatmen durch den Zuschauerpulk. 73 Sekunden nach dem Start war 1986 die Challenger in einem gewaltigen Feuerball explodiert. Seitdem sind die 73 Sekunden so etwas wie eine imaginäre Schwelle. Bis dahin ist es eine Zitterpartie.

Coletta und Regena Hudson, Mutter und Tochter, lassen sich keines dieser Spektakel entgehen. Schon gar nicht jetzt, da es dem Ende zugeht. Auf Klappstühlen sitzen sie im Schatten der turmhohen Halle, in der die Shuttles in wochenlanger Präzisionsarbeit auf Tank und Raketen montiert werden. Coletta hat sich ein Passbild ihres Vaters an die blau-weiß-rot geblümte Bluse gepappt. Robert Eugene Hudson tüftelte einst mit bei Mercury, Gemini, Apollo, den Weltraumprogrammen der Aufbruch- und Blütezeit, als der Wettlauf mit der Sowjetunion die Amerikaner zu technischen Höchstleistungen trieb. Klar, dass auch seine Tochter Wissenschafterin wurde. Und die Enkelin. Beide Biochemikerinnen. "Dad hat es vorausgesehen", sagt Coletta. "Die Ausländer, hat er gesagt, studieren erst an unseren Universitäten, und dann überholen sie uns. Tja, Dad hatte wohl recht." Das Aus für das Spaceshuttle: Für Coletta Hudson ist es so, als stiege Amerika kampflos in die zweite Liga ab.

Im Sommer, wenn die kosmische Fähre letztmals startet, wird der Vorhang endgültig fallen. Am 16. Mai, beim vorletzten Mal, will die Nasa einen Höhepunkt inszenieren. Kommandeur der Endeavour wird Mark Kelly sein, der Mann von Gabrielle Giffords. Die Kongressabgeordnete aus Tucson lernt gerade wieder das Sprechen. Nachdem ihr ein offenbar geistig verwirrter Täter eine Kugel in den Kopf gejagt hat, schreitet ihre Genesung so gut voran, dass sie vielleicht auf der Ehrentribüne sitzen kann, wenn Kelly abhebt. Es wäre eines dieser kleinen Wunder, wie sie Amerika herbeisehnt nach jeder Tragödie.

Sam Durrance schnappt sich ein Mikrofon und plaudert aus dem Astronautennähkästchen. Ein witziger Typ, der über sich selbst lachen kann. 1990 und 1995 war er an Bord eines Shuttles im All. Im schlosserblauen Einteiler geht er durch die Museumskantine des Kennedy Space Center, des Weltraumbahnhofs am Cape Canaveral. Besteck klappert, "Lunch with an Astronaut" heißt die Veranstaltung. Irgendwann beschreibt Durrance, was für ein großartiges Gefühl es ist, von oben auf den Blauen Planeten zu schauen. "Als würde Geschichte unter dir hinwegrollen. Du siehst das Nildelta, du siehst Mesopotamien und denkst, hier stand die Wiege der Zivilisation. Unvergesslich." Und vorher der Start, "wie ein Ritt in einer Rüttelmaschine, in einem wild gewordenen Laster." "Dein Anzug wiegt hundert Pfund. Doch für zwei Minuten fühlt es sich an, als säße ein 500 Pfund schwerer Gorilla auf deiner Brust. Und dann schwebst du wie eine Feder dahin in der Schwerelosigkeit." Da klappert keine Gabel mehr, wie gebannt hängt der Saal an Sam Durrance' Lippen. Startet das Shuttle nicht mehr, fällt die "Space Coast" Floridas in ein tiefes Loch. Zwar fliegen immer noch US-Astronauten ins All, nur eben an Bord russischer Sojus-Kapseln. Zwar liegen Pläne in den Schubladen, zwar soll nach Barack Obama bis 2035 der Mars angesteuert werden, die Fans tröstet es aber nicht, dafür ist die zeitliche Lücke zu groß.

Als George W. Bush das Ende der Shuttle-Flüge ankündigte, hatte er der bemannten Raumfahrt zugleich neue Ziele gesetzt. Im Rahmen des Constellation-Programms sollten Astronauten wieder zum Mond und später zum Mars weiterfliegen. Obama strich das Projekt. Beim Abschied vom Shuttle bleibt es. Der Fiskus muss sparen, Flüge auf erdnahen Umlaufbahnen will das Weiße Haus privaten Anbietern überlassen. Die Firma SpaceX, gegründet vom Dotcom-Millionär Elon Musk, testet bereits ein Raumschiff. Billy Lawson findet es gut, nur sieht er nicht, dass Privatunternehmer die Nasa ersetzen können. "Das muss der Staat machen, die Privaten investieren nicht diese Riesensummen." Lawson tüftelte an den Anzügen für die Marsflüge. "Raumschiffe für sich", sagt er stolz. "Allein der Rucksack ist 18 Millionen Dollar wert, so viel Technik steckt da drin." Im Dezember ging Lawson in Frühpension, um den Niedergang der Nasa nicht weiter mit ansehen zu müssen.

Sean Wibert lässt sich in seiner Begeisterung nicht bremsen. Nun ja, er ist erst neun. "Ich fliege da auch einmal hinauf", sagt er bestimmt. Seine Eltern, Chip und Katy, nicken zustimmend. Die Gesten, die Sprache: Der Bub versucht seinen Helden zu kopieren, Buzz Lightyear, einen Space Ranger, der in Trickfilmen tapfer die Mächte des Bösen bekämpft. Zur Feier des Tages haben sie ihrem Sohn einen orangeroten Astronauteneinteiler spendiert, mag er in dem Ding auch noch so sehr schwitzen unter Floridas Frühlingssonne. Chip ist groß geworden mit den Raumgleitern. "Ich verstehe nicht, wie wir das aufgeben können", sagt der Programmierer. "Es ist, als wollten wir den Anspruch aufgeben, an Grenzen zu gehen. Grenzen zu testen, das ist doch Amerika."

Tim Morgan, Chef des Arbeitsamts der Kleinstadt Cocoa, sitzt in einem winzigen Büro am Ende einer schäbigen Shopping-Mall. Morgan durfte zwanzig zusätzliche Vermittler einstellen, aus Geldern eines Notfonds, die eigentlich für die Aufräumarbeiten nach einem Wirbelsturm bestimmt sind. Der Aderlass bei der Nasa ist jetzt der Hurrikan. "Inside the gate", hinter den Toren des Weltraumkomplexes, konnten Ingenieure zwischen 100.000 und 160.000 Dollar jährlich verdienen. Bis zu fünfzig Prozent weniger, schätzt Morgan, werden die meisten im neuen Job verdienen - falls er ihnen überhaupt helfen kann. Achttausend Menschen verlieren mit dem Aus für das Shuttle den Job. 70 Prozent sind älter als vierzig, 80 Prozent haben ein Uni-Diplom in der Tasche.

Begonnen hat es vor rund vierzig Jahren. 1972 waren Eugene Cernan und Harrison Schmitt die letzten Apollo-Astronauten, die durch die Kraterlandschaften des Erdtrabanten wanderten. Die Begeisterung für die Mondlandungen war bereits abgeebbt, die Nasa stand am Scheideweg. Aus Angst vor dem schleichenden Bedeutungsverlust schlug sie intern neue Programme vor. Präsident Richard Nixon hätte die Expedition zum Mars beschließen können, so wie es John F. Kennedy mit dem "Mann auf dem Mond" getan hatte. Technisch wäre es denkbar gewesen. Doch der Vietnamkrieg drückte auf die Stimmung, der Aufbruch zu neuen Ufern wurde vertagt. Etwas Praktischeres musste her. Nach dem "No" aus dem Oval Office kam die Raumfahrtbehörde mit einer Kompromissidee. Eine pendelnde Raumfähre sollte all die Raketen ablösen, die man nach dem Start nicht wiederverwenden konnte.

Als die Würfel gefallen waren, zog Houston alle Werberegister. Als Truck im All wurde das Shuttle vermarktet, als kosmischer Lieferwagen, der jede Last in den Orbit bringen würde, Satelliten, Laborausrüstungen, alles. Es kam anders, nach der Premiere im April 1981 schnappte die Europäische Raumfahrtagentur, die mit ihren Ariane-Raketen Satelliten für einen Bruchteil der US-Kosten in die Umlaufbahn brachte, der Nasa die Kunden weg. 1986 explodierte die Challenger, erstmals lief eine Hightech-Katastrophe live und in Farbe über die TV-Schirme. Und als 2003 die Columbia beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre auseinanderbrach, war ein Ende des Kapitels abzusehen. 2005 läutete Bush offiziell den Abschied von den Shuttles ein.

Mike Leinbach könnte in Hollywoodfilmen mitspielen, in der Rolle des coolen Computergenies, das mitten im größten Chaos die Nerven behält. Leinbach ist der Startdirektor in Cape Canaveral. Als die Discovery auf ihre letzte Reise geht, müssen sich hinter den Kulissen kleine Dramen abgespielt haben. Ein Computer meldet einen Defekt, der Countdown wird unterbrochen, auf den digitalen Uhren der Zuschauerwiese bleiben die Ziffern bei 05:00:00 stehen. Noch fünf Minuten. Als der Computerfehler behoben ist und Leinbach weiterzählen lässt, weiß er, dass er noch zwei Sekunden hat, bis sich sein Zeitfenster schließt. "Na ja, ich musste ein paar Leute beruhigen, als es knapp wurde", sagt Leinbach und deutet ein Grinsen an. Und hinterher, als eine Million Schaulustiger in Jubel ausbrach, "musste ich wieder ein paar Leute beruhigen". Sagt's und zieht eine Schärpe hinterm Tisch des Pressezentrums hervor, unterschrieben von allen Shuttle-Astronauten. Leinbach will sie sich zu Hause ins Wohnzimmer hängen. (Frank Hermann/DER STANDARD, Printausgabe, 7./8. 5. 2011)