Blöd, wenn man Platzhirsch ist und dann das Revier räumt. Seit 2002 war das Golf Cabriolet einfach: nicht mehr da. Das Feld der Textilverdeckler überließ VW - zum Beispiel - Mini. Doch nun wird alles gut. Der Offen-Golf kehrt zurück

Huiii, das pfeift: In 9,5 Sekunden ist das Dach auf, verfrachtet einen ein simpler Elektromotor von der Dutzendware Golf in die erheblich elitärere Parallelwelt der schicken Cabriolets. Funktioniert sogar im Fahrbetrieb, bis Tempo 30 km/h. Willkommen im Golf Cabriolet, dem neuen, ganz ohne Henkel diesmal und ohne Balloneffekt im Geschlossenfahrbetrieb.
Doch bevor wir mehr davon berichten, setzt's erst einmal Schelte. Manche Trends (Vans, SUVs, Pickups) haben die Wolfsburger anfänglich komplett verpennt und sind erst spät - dann jedoch hinsichtlich Absatz gewaltig - eingestiegen. Manche hingegen haben sie (mit-)begründet - und völlig ohne Not wieder aufgegeben. Immerhin: nicht für immer. Der Golf Variant (Kombi) ist so ein Beispiel. War einmal über ein Jahr nicht im Angebot. Bis der Chef ein Machtwort sprach und "Her damit, aber etwas plötzlich!" (das bayerische "drawig" hat er nicht drauf) rief.

Foto: Werk

Kürzlich rief er wieder, der Martin Winterkorn, und dem Ruf folgten: Designer, Dekorateure, Ingenieure - und das neue Golf Cabrio. Gab es von 1979 bis 2002. Und dann eben nicht mehr. War seinerzeit im Open-Air-Markt eine echte Macht, über 680.000 verkaufte Autos sprechen für sich. Und dann war es weg. Vor Kunden wird gewarnt oder so. Einer der Gründe: Inzwischen war der Hype um die Blechdach-Coupé-Cabrios ausgebrochen, VW entsandte '06 den Eos ins Rennen. Der schlägt sich zwar im Segment bisher recht tüchtig, kam aber nie an die Stückzahlen des Golf Cabrios heran.

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Dessen Kunden schnappte sich Mini ab 2004 mit seinem trendigen Fetzendach-Cabrio. Und dann auch Audi. Angetrieben vom damaligen Chef (richtig: schon wieder Martin Winterkorn), füllte das A3 Cabrio 2008 die Lücke, die der offene Golf hinterlassen hatte - Winterkorn weiland, ungewohnt zornig fast über so viel Ignoranz: "Wenn die da oben in Wolfsburg nicht wollen, machen wir es halt."

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Nun ist Winterkorn längst in Wolfsburg und Wolfsburg endlich wieder da beziehungsweise das Cabrio auf Basis des aktuellen 6er-Golfs, und schon besteht er wieder: der begründete Verdacht auf Bestsellerei (jedenfalls im Bereich Cabrios und Roadster). Die Staatsanwaltschaft ermittelt.
Spaß beiseite: Der Wagen ist ganz eindeutig als Golf zu erkennen, obwohl die Frontscheibe etwas flacher steht und das Cabrio drei Zentimeter länger ist als die geschlossene Version, was insgesamt einen Schuss Coupé, Markanz und Sportlichkeit in das Erscheinungsbild zaubert. Dass dieser VW das Verdeck praktisch 1:1 vom A3 Cabrio übernommen hat, wird angesichts des Geschilderten niemanden verwundern, die Sache ist ästhetisch wie funktional alles andere als ein Fehler.

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Damit herrscht erstmals in einem Golf Cabrio bügelfreie Zone - ja, richtig, der Henkel, einst schon fast Stilmerkmal, ist weg. Sollte es den Wagen einmal überschlagen, schnalzt hinter den Rücksitzen in Millisekunden der Überschlagschutz heraus. Die Neuauflage ist also unbeschränkt nach oben hin offen, und so gilt für die erwarteten Kundenmassen, in Modifikation eines güldenen Goethe-Wortes, die Devise: Zum Lichte drängt, am Lichte hängt doch alles.

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Was weiters bei den ersten Testfahrten in Südfrankreich auffiel, ist die enorme Verwindungssteifigkeit. Und die Handling- und Fahrwerkseigenschaften. Und diese erstaunlich gediegene Innenraumatmosphäre - da rückt der Golf Audis A3 gefährlich nahe, ja darf der denn das?!

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Dafür, dass man nicht nur selbst die Umwelt genießt, sondern selbige dabei so wenig wie möglich belastet, sorgt eine vorbildlich sparsame Motorenpalette. Bravste Maschine: 1,6 TDI Blue Motion Technology (105 PS) mit 5-Gang-Schaltung, Start-Stop und Bremsenergierekuperation. Begnügt sich im Normtest mit 4,4 l / 100 km. Zwei Benziner (105 und 160 PS) gibt's zum Marktstart auch noch. Und zu Jahresende komplettieren ein 2,0 TDI (140 PS) sowie zwei weitere Benziner (1,4 TSI / 122 PS, 2,0 TSI / 210 PS) das Angebot.

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Interessant übrigens auch die Cabrio-Strategie im Konzern. Audi bleibt da weiterhin ganz klar der Grossist, nämlich ausschließlich mit Textilverdeck. VW baut aber ebenfalls aus – und setzt auf Doppelgleisigkeit: Der Eos ködert weiter Festdach-Coupé-Cabrio-Fans, bei Textil folgt dem Golf 2012 ein Beetle Cabrio, und sogar ein offener Polo ist angedacht. Es stehen also luftige Zeiten an bei VW. Und lustige auch. Das wird pfeifen! (Andreas Stockinger/DER STANDARD/Automobil/06.05.2011)

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