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Beteuerungsarien und Stehsätze

Johanna Mikl-Leitner besitzt ein etwas gewöhnungsbedürftiges Organ. Die Stimmauffälligkeit war auch bei ihrer Antrittsrede im Nationalrat für jedermann bemerkbar. Über einhundert Muskeln sind für die gelungene Bildung eines einzigen Lautes erforderlich. Um stimmhafte Töne zu produzieren, muss Luft die Stimmlippen in Schwingung bringen wie beim Rohrblatt und der Klarinette. Je entspannter die Stimmlippen sind, desto langsamer schwingen sie. Auch die Spontansprache wird durch die richtige Verwendung des Sprechapparates tiefer und angenehm voll. Gerade bei Frauen klingen dunkle Stimmen stets kompetenter, überzeugender und schaffen leichter Vertrauen.

Die gelernte Wirtschaftspädagogin Mikl-Leitner erinnert sowohl körpersprachlich als auch rhetorisch an eine jener ehrgeizigen Lehrerinnen, die stets zu laut und krächzend hoch reden. Dieser "Moskitosound" macht Zuhörer unruhig und lenkt vom Inhalt ab.

Nachdem die neue Innenministerin an Worten nicht spart, fällt ihre Stimmschulung unter ÖVP-Wählerbindung. Auch ihr eindringlich mahnender Rededuktus passt zur Hardlinerin für Inneres. Die politische Rhetorik klingt bekannt und erinnert auch inhaltlich an den Kurs der Vorgängerin Maria Fekter. Mikl-Leitners Beteuerungsarien und Stehsätze wirken wenig bildhaft.

Die neue Innenministerin versteht sich als "Sicherheitsministerin" und mag bestimmt eine emsige Arbeiterin sein, Elegance und kosmopolitisches Auftreten sind jedoch nicht die Steckenpferde der Niederösterreicherin.

Foto: APA/Techt

Österreich-authentisch mit Tiroler Wurzeln

Karlheinz Töchterle ist der einzige politische Quereinsteiger des ÖVP-Relaunches. Er spricht unaufgeregt und klingt zuweilen recht pastoral. Der neue Wissenschaftsminister will offenbar auch die Jugend ansprechen. Hörbar Österreich-authentisch klingen die Tiroler Wurzeln des gelernten Altphilologen, was grundsätzlich charmant ist. An Sprachdynamik und Sinnbetonungen wird er wohl noch deutlich zulegen müssen. Auch wenn Töchterle als unparteiisch gehandelt wird und nicht unmittelbar unterschiedliche Wählerschichten ansprechen muss, ist seine vorwiegend junge Klientel anspruchsvoll und nicht leicht zu beeindrucken.

Viele "Variablen" finden sich in seinem aktiven Wortschatz, der wenig Buntes enthält - was vom Gegenüber Geduld abverlangt. Diese Allgemeinaussagen sind rhetorische Platzhalter oder Variablen, die immer ein Zeichen dafür sind, dass sich jemand nicht festlegen kann oder möchte.

Der neue Mann im Wissenschaftsministerium ist kein geborener Taktiker. Durch seine Kommunikationsart wirkt er eher wie ein Stratege. Strategen sind meist recht glanzlose Redner und formulieren bildleer, dafür aber verlieren sie das Ziel nicht aus den Augen. Taktiker hingegen sind häufig charismatische Redner, die flott Atmosphäre schaffen können, Killerphrasen blitzschnell kontern und mit Wortwitz beeindrucken - dafür schießen sie gerne am Ziel vorbei und behalten die Kernbotschaft nicht im Fokus.

Töchterle musste sich medial schon öfter vorwerfen lassen, durchaus eloquent zu sprechen, aber doch "um den heißen Brei herumzureden".

Foto: Der Standard/Urban

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Ätherisch, eloquent und international

Wolfgang Waldner ist kein Töner. Er spricht diplomatisch, gut aufgelegt und eher leise. Grundsätzlich scheint er gewinnbringend vernetzt zu sein. Im Inland hat er genügend alte Seilschaftsbekannte und die Schwester im ORF ("Report" vom 19. 4., moderiert von Gabi Waldner, präsentierte die Neuzugänge, darunter Bruder Wolfgang). Im Ausland gibt es einflussreiche Freunde und Altkontakte auf internationalem Parkett, und in seinem Herzen wohnt die Kunst.

Im Nationalrat präsentierte sich Kurz als Vater. Dass eine seiner beiden Töchter dieser Tage maturierte, macht ihn angeblich ebenso stolz wie der Umstand, ins Außenamt zurückzukehren. Der neue Staatssekretär wirkt eher ätherisch, neben der "Hands-on-Politik" der ÖVP-Ladys Fekter oder Mikl-Leitner. Überhaupt scheint es so, als wären auf der Regierungsbank die Östrogen- und Testosteronwerte zeitweise vertauscht worden. Sanfte Männer wie Töchterle, Waldner, Faymann und Spindelegger neben resoluten, lauten Kampfrhetorikerinnen samt Law-and-Tax-Politik.

Kommunikationsstrategisch fällt bei der Analyse der Neubesetzung auf, dass sich die ÖVP mit Waldner und Töchterle definitiv internationaler als bisher präsentiert.

Der neue Staatssekretär gibt eher den höchsten Beamten im Ministerium als den gestaltenden Politiker. Er tritt eloquent, aber vorsichtig auf. Dem Jobprofil als Repräsentant, Gastgeber und Zuarbeiter des Vizekanzlers scheint er gewachsen zu sein. Der neue Staatssekretär im Außenamt tut niemandem weh und fällt auch nicht weiter auf. Beides ist in der österreichischen Politik nicht immer ein Nachteil.

Foto: APA/Neubauer

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Engelsgesicht mit mutiger Wortwahl

Sebastian Kurz gehört zur Generation der heute 24-Jährigen, die grundsätzlich gelernt haben zu reden. Dass er bei seiner Antrittsrede im Nationalrat gleich selbst die Bedenken zur Nominierung rund um seine Person thematisiert hat, war clever. Die juvenilen Gickser am Satzanfang und bei Moderationsbrücken lassen erkennen, dass Kurz' Stimme noch nicht komplett reif ist. Das stellt wohl auch das Problem seiner Skeptiker dar: Wie soll man jemanden für voll nehmen, dessen eigenen physische Attribute hörbar noch nicht fertig ausgebildet sind?

Wer die Augen schließt bei einer Kurz-Rede, glaubt die Stimme von Karl-Heinz Grasser zu hören. Sprechweise und Modulation klingen ähnlich. Die Frage ist: Wieso hat der aufstrebende Jungpolitiker aus Wien-Meidling den Rededuktus des Exfinanzministers mit Kärntner Wurzeln? Selten klingen Wiener so ähnlich wie Kärntner und umgekehrt.

Integration läuft nicht konfliktfrei ab. Wie das Engelsgesicht mit der mutigen Wortwahl die These "Schwarz macht geil" unter das gemischte Volk bringen möchte, wird den grauen Politalltag bunter machen. Kurz hat zu Diskussionen angeregt und den ÖVP-Relaunch medienwirksam positioniert, niemand redet mehr von Strasser und Co. Ob der Party-Jusstudent H.-C. Strache die gewünschten FPÖ-Wähler abspenstig machen kann, ist allerdings fraglich. Rhetorisch wird sich der Staatssekretär wohl am stärksten gegen seine eigene Chefin behaupten müssen. Denn die meint es ernst und hat im Gegensatz zu Kurz Gestaltungskompetenz. Doch Integration ist sein Thema. Fazit: gelungenes Polit-Entertainment ohne inhaltliche Lösungen. (Tatjana Lackner, DER STANDARD; Printausgabe, 6.5.2011)

Link: Schule des Sprechens

Foto: APA/Jaeger