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Wagner zu antiamerikanischen Protesten, wie hier in Abbottabad: "Natürlich gibt es Sympathiebekundungen für Osama Bin Laden. Aber man muss auch sehen, dass sein Ansehen in den vergangenen Jahren deutlich gesunken ist."

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Jubel über Osamas Tod nahe Ground Zero in New York.

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Christian Wagner leitet die Forschungsgruppe Asien der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) mit Sitz in Berlin. Einer seiner Forschungsschwerpunkte ist die Außen- und Sicherheitspolitik Pakistans.

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"Ehemalige Mitglieder des pakistanischen Geheimdienstes haben vielleicht dafür gesorgt, dass er (Bin Laden, Anm.) Unterschlupf findet", sagt der Pakistan-Experte Christian Wagner von der in Berlin ansässigen Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) im Gespräch mit derStandard.at. Das Verhältnis zwischen Pakistan und den USA werde langfristig aber nicht an der mangelnden Kooperation Pakistans bei der Ausforschung Osama Bin Ladens leiden. Die USA sei weiterhin auf die Kooperation mit der Atommacht Pakistan angewiesen: Auch weil die Nachschubrouten nach Afghanistan überwiegend durch Pakistan führen.

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derStandard.at: Laut dem US-Sender CNN hatte CIA-Direktor Leon Panetta in einer internen Beratung sogar gesagt, die pakistanische Regierung sei "entweder inkompetent oder beteiligt" gewesen. Beides wäre höchst bedenklich, sagte Panetta. Was sagen Sie zu dieser Einschätzung?

Wagner: Das ist genau die Frage, die in den nächsten Monaten das US-amerikanisch-pakistanische Verhältnis belasten wird. Es ist natürlich nur schwer vorstellbar, dass Bin Laden vielleicht über Jahre hinweg in dieser Region völlig ohne Wissen von Teilen der Sicherheitskräfte oder ehemaligen Angehörigen der Sicherheitskräfte gelebt hat. Ich kann mir allerdings vorstellen, dass die zivile Regierung davon nichts wusste. Denn außen- und sicherheitspolitische Fragen - vor allem wenn sie den Antiterrorkampf betreffen oder das Verhältnis zu Afghanistan und Indien - die werden doch von der Armeeführung bestimmt.

derStandard.at: Welches Interesse hat der Geheimdienst seine schützende Hand über Bin Laden zu halten?

Wagner: Das ist in der Tat nicht wirklich nachvollziehbar. Zumal die Al Kaida 2007 Pakistan den Krieg erklärt hat. Man kann vermuten, dass es zum Teil die alten Netzwerke sind: Bin Laden war ja in den 1980er Jahren in Afghanistan aktiv und hat damals auch sehr eng mit Pakistan zusammengearbeitet. Ab 1996 war er wieder in Afghanistan - zu einer Zeit als Pakistan, Afghanistan und die Taliban sehr eng zusammengearbeitet haben. Eventuell sind es diese alten Netzwerke aus der Zeit des Afghanistan-Krieges, die ihn geschützt haben. Ehemalige Mitglieder des pakistanischen Geheimdienstes aus dieser Zeit haben vielleicht dafür gesorgt, dass er Unterschlupf findet.

derStandard.at: Wird die zivile Regierung Konsequenzen aus der eventuellen Zusammenarbeit des Geheimdienstes mit Bin Laden ziehen?

Wagner: Die pakistanische Regierung hat ja eine Untersuchung angekündigt. Es bleibt allerdings abzuwarten, ob diese große Ergebnisse erzielen wird. Man kann nur hoffen, dass dieser Vorfall auch innerhalb der Streitkräfte dazu führt, ein Umdenken einzuleiten. Denn es ist natürlich auch eine Schmach für die pakistanischen Streitkräfte so vorgeführt zu werden, wenn man tatsächlich überhaupt nichts mit der Aktion zu tun hatte. Es wäre eine Auseinandersetzung notwendig zwischen den Teilen des Sicherheitsapparates, die weiterhin an der Unterstützung für verschiedene militante Gruppen festhalten, und den Moderaten in der Armee und im Geheimdienst. Die Moderaten merken, dass die Unterstützung militanter Gruppen, die sich auch längst gegen Pakistan richten, kontraproduktiv ist und dass man mit dieser Last der Vergangenheit endlich mal brechen sollte.

derStandard.at: Wie groß sind die Chancen, dass sich hier etwas tut?

Wagner: Ich bin da eher skeptisch, weil es eine schwierige Auseinandersetzung innerhalb der Armee ist und die Armeeführung vielleicht auch davor zurückscheut, weil sie die Konsequenzen nicht absehen kann.

derStandard.at: Im US-Kongress fordern jetzt einzelne Abgeordnete die Einstellung der Fördergelder für Pakistan. Ist das eine sinnvolle Reaktion, um Pakistan zur besseren Zusammenarbeit zu bewegen?

derStandard.at: Es ist natürlich eine verständliche Reaktion und es ist auch eine, die das bilaterale Verhältnis zwischen Pakistan und den USA belasten würde. De facto werden diese Forderungen aber vermutlich nicht umgesetzt. Man darf ja nicht vergessen, dass der Westen und auch die USA weiterhin massiv auf Pakistan angewiesen sind. Nahezu der gesamte Nachschub für Afghanistan läuft durch Pakistan. Es kommt auch immer wieder zu Anschlägen auf diese Nachschubtransporte. Wenn sich die Beziehungen verschlechtern, kann Pakistan auch die Grenzübergänge schließen. Dann sind die NATO-Truppen praktisch vom Nachschub abgeschnitten. Diese Drohgebärde ist in der Vergangenheit immer mal wieder ausgespielt worden.
Zum zweiten kontrolliert natürlich das pakistanische Militär die Nuklearwaffen des Landes. An deren Sicherheit hat die USA vermutlich ein noch größeres Interesse. Hier sind die USA auf die Zusammenarbeit mit Pakistan und dem pakistanischen Militär angewiesen.

derStandard.at: Stecken die USA in einer Zwickmühle, weil Pakistan Freund und Feind zugleich ist? Wie könnten die USA da wieder raus kommen?

Wagner: Die Obama Administration hat ja schon eine Schwerpunktverschiebung bei den Mitteln, die nach Pakistan fließen genommen: Bislang sind seit 2001 13 Milliarden US-Dollar an Militärhilfe geflossen. Da gab es Kritik, weil die Verwendung der Gelder nicht immer ganz nachvollziehbar war. Die Obama Administration setzt eher auf die Stärkung ziviler und demokratischer Institutionen. Es könnte also eine weitere Verlagerung der Mittel in diesen Bereich geben.
Man muss aber die Zusammenarbeit mit Pakistan auch deswegen aufrechterhalten, weil das Land wirtschaftlich am Abgrund steht. Ein Kollaps Pakistans wäre für niemanden von Interesse, weil das den radikalen Strömungen in der Bevölkerung Auftrieb gibt.

derStandard.at: Die antiamerikanische Stimmung unter der pakistanischen Bevölkerung nimmt nach dem Tod von Bin Laden zu. Wird das die Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern weiter verkomplizieren?

Wagner: Ich glaube nicht unbedingt. Natürlich gibt es Sympathiebekundungen für Osama Bin Laden. Aber man muss auch sehen, dass sein Ansehen in den vergangenen Jahren deutlich gesunken ist. Vor einigen Jahren war er noch beliebter als der damalige Präsident Musharraf. Das war zwar angesichts der Unbeliebtheit von Musharraf nicht schwer, aber Bin Laden hat heute sicher keine Mehrheit der pakistanischen Bevölkerung hinter sich. Es wird Proteste geben. Das sollte für die Regierung aber zu managen sein. Vielleicht sollte man seitens der pakistanischen Regierung stärker darauf hinweisen, dass die Al Kaida Pakistan den Krieg erklärt hat. Das heißt, der Tod Bin Ladens ist auch ein Sieg für Pakistan. Der Premierminister hat das auch schon so formuliert. Keine der großen Parteien wird sich derzeit auf antiamerikanische Proteste einlassen. Bei den letzten Wahlen haben mehr als 90 Prozent der Pakistanis nicht für religiöse Parteien gestimmt.

derStandard.at: Seit Beginn der Obama Administration fliegen die USA vermehrt Drohnenangriffe in der pakistanischen Grenzregion zu Afghanistan. Pakistanische Regierung und Armee dulden diese Angriffe. Könnte sich das ändern?
Wagner: Die Drohnenangriffe sind einer der momentanen Hauptbelastungspunkte. Eventuell auch deshalb weil diese Angriffe vergleichsweise erfolgreich sind, weil sie auch die militanten Gruppen treffen, die auch von Pakistan geduldet werden.

derStandard.at: Es gibt auch immer wieder zivile Opfer bei den Angriffen von US-Drohnen?

Wagner: Auch die pakistanische Armee hat bei ihren Einsätzen in den Stammesgebieten immer wieder zivile Opfer zu beklagen. Das ist eine vergleichsweise schwierige Diskussion. Die Veröffentlichungen von Wikileaks haben auch gezeigt, dass die Regierung de facto ihre Zustimmung zu den Drohnenangriffen gibt, diese aber öffentlich immer kritisiert. Das ist eine sehr ambivalente Haltung seitens der pakistanischen Regierung. Die USA haben ihre Drohnenangriffe verstärkt, weil sie von der pakistanischen Armee ein stärkeres Vorgehen vor allem in Nord-Waziristan gegen das Haqqani-Netzwerk fordern, das für eine Reihe von militärischen Operationen in Afghanistan verantwortlich gemacht wird.

derStandard.at: Ist Pakistan in den vergangenen Jahren verstärkt zu einem Rückzugsort für terroristische Organisationen geworden?

Wagner: Ja, man muss leider sagen, das die Al Kaida-Führung in den vergangenen Jahren ihre Rückzugsgebiete vor allem in afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet und dort vor allem in den Stammesgebieten in Afghanistan gefunden hat. Das ist aber auch ein Problem für Pakistan, denn Al Kaida arbeitet in letzter Zeit verstärkt mit den pakistanischen Taliban zusammen, die gegen die pakistanische Armee kämpfen. Die Armee hat auch sehr hohe Verluste zu beklagen. Es gibt also ein großes Interesse Pakistans gegen diese Gruppen vorzugehen. (mka, derStandard.at, 5.5.2011)