"Ein Hubschrauber über Abottabad um ein Uhr nachts ist rar": Mit diesem Tweet aus Pakistan begann die Chronik der Ereignisse, an deren vorläufigem Ende der US-Präsident den Tod des "meistgesuchten Mannes der Welt" in einer TV-Ansprache bekanntgab.

"Stunde der Social Media"

Mit gutem Grund kann man die vergangenen Monate als die Stunde der Social Media bezeichnen. Von den Revolten im arabischen Raum, der Natur- und AKW-Katastrophe in Japan bis zur Royal Wedding und jetzt der US-Kommandoaktion in Pakistan haben Millionen an Textnachrichten, Fotos und Videos die Nachrichten und die Informationen über das Geschehen verbreitet, erweitert, neue Informationen beigetragen, vertieft.

In Syrien, dessen Drama im Schatten von Fukushima, Libyen und jetzt Abottabad steht, ist Medien die Berichterstattung unmöglich; Demonstranten, die zur Handykamera greifen, müssen um ihr Leben fürchten. Als Reaktion verwenden sie zur Dokumentation des Geschehens "Pencams": Kameras in Kugelschreiberform, die es seit Jahren gibt und die anderswo nicht über das Gadget-Stadium hinauskamen.

Im englischsprachigen Internet verdrängten die Posts über Osama blitzartig die über Prince William und Kate (die ihrerseits einige Rekorde brachen). Sonntag und Montagmorgen zählte NetBase, das soziale Medien statistisch analysiert, 1,2 Millionen "Konversationen" zu Osama, die Hälfte auf Twitter. Bereits eine Dreiviertelstunde vor der TV-Ansprache ging das Online-Gezwitscher los, nachdem der Stabschef des früheren Verteidigungsministers Rumsfeld die Nachricht vom Tod des Terroristen twitterte.

Soziale und traditionelle Medien sind komplementär

Social Media und traditionelle Medien, das zeigt sich dabei, sind nicht die Gegensätze, zu denen sie oft hochstilisiert werden. Sie sind komplementär: Viele Menschen erfahren "Breaking News" zuerst über Twitter, Facebook oder Links, die Kollegen, Freunde und Bekannten mailen, und suchen dann ausführliche Information bei Medien, quasi ihren "verlässlichen Freunden". Und geben anschließend diese Information weiter, kommentieren, bereichern sie um neue Aspekte oder lassen auch nur Dampf ab.

Auch wenn viele dieser "Unterhaltungen" (alles Behelfsausdrücke für eine junge Entwicklung) nicht viel anderes sind als Bassena- und Stammtischtratsch, kann man in ernsten Situationen wie in Fukushima auch anderes beobachten: den Versuch, unvollständige oder unverlässliche Infos zu prüfen, zu ergänzen oder zu korrigieren - eine Qualität, die man auch gutem Journalismus zuschreibt.

In einem Bereich haben soziale Medien ein enormes Potenzial, das erst ansatzweise realisiert ist: beim Austausch lokaler Information, von der Nachbarschaftshilfe, Schulen, örtlichen Kulturvereinen oder der Gemeindepolitik.

Das Beste kommt erst

Als Twitter, eigentlich ein Nebenprodukt eines nie realisierten größeren Projekts, vor einigen Jahren auf die Bühne trat, wussten selbst die Gründer nicht so recht, was man mit diesem "Telegrafensystem des 21. Jahrhunderts" jenseits des Spaßfaktors anfangen könnte. Heute ist es evident, und das Beste kommt erst. (helmut.spudich@derStandard.at, DER STANDARD Printausgabe, 05. Mai 2011)