Wien - Verkehrsknotenpunkt Schottentor. Abends, Rushhour. Der eine Menschenstrom hetzt von der Straßen- zur U-Bahn, der andere in die umgekehrte Richtung. Inmitten der Massen die einsame Insel:"Stresstest" wirbt in großen Buchstaben ein Schild auf einem Tisch. Die Sessel drumherum laden zum Verschnaufen ein. Kurz nicht aufgepasst, und ich lande fast auf dem Schoß eines sehr freundlichen Herren.

"Willst du rausfinden, wie gestresst du bist?" , fragt er. Nein, denke ich, das weiß ich doch selbst. Aber was tut man nicht alles aus Neugier?Ein einwilligendes Nicken, und ich halte ein paar Sekunden später zwei Metallröhren in beiden Händen. Was das soll?"Damit wird dein Stresslevel gemessen" , sagt mir der unverändert lächelnde Herr. Wie das funktioniert?"Denke an etwas, das dich stresst!" , fordert er mich auf. Gesagt, getan. Auf dem Gerät, an dem die Metallröhren angeschlossen sind, bewegt sich ein Zeiger bis zum Anschlag der Skala.

"Das heißt, du hast ein hohes Stresslevel" , folgt die Erklärung. Was für eine Überraschung, denke ich mir, ich habe ja auch an etwas Stressiges gedacht. Woran denn genau, will er nun wissen. "An die Arbeit" , antworte ich, und sogleich springt er eifrig auf, mit den Worten:"Da habe ich genau das Richtige für dich!"

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Während der Herr, weiterhin lächelnd, in dem Stapel an diversen DVDs und Büchern auf dem Tisch herumkramt, sehe ich mir deren Titel genauer an. "Dianetik" steht da, und "L. Ron Hubbard" . Schau, schau. Nun ist klar, wer den Stresstest anbietet: L. Ron Hubbard ist der Gründer der Sekte Scientology, Dianetik seine Lehre. "Nicht viele wissen um den Zusammenhang von Dianetik und Scientology" , erklärt Psychologe und Sektenexperte Martin Felinger von der Gesellschaft gegen Sekten- und Kultgefahren. "Er soll auch nicht auf den ersten Blick erkennbar sein" , sagt er. Diese Sichtweise teilt auch Ex-Scientologe Wilfried Handl: "Ziel ist, die Leute zu ködern - und mit dem Stresstest kann man Schwachstellen zum Andocken finden."

Der Standort am Schottentor könnte nicht besser gewählt sein: hochfrequentiert und wettergeschützt, die Uni Wien direkt daneben. "Dass die Uni in der Nähe ist, ist ein reiner Zufall" , sagt Scientology-Pressesprecherin Angelika Thonauer. "Wir sind seit fünf Jahren regelmäßig hier." Ausschlaggebend für die Platzwahl sei nur der Wetterschutz gewesen. Angemeldet ist die Veranstaltung als Demonstration "Gegen den Missbrauch des Begriffes ‚Stress‘ durch die Pharmaindustrie" . "Wir wollen ein besseres Verständnis von Stress bewirken" , erklärt Thonauer.Ein angenehmer Nebeneffekt ist die Uni-Nähe aber schon, ist für Handl klar: "Studierende sind ein Zielpublikum von Scientology."

Die Uni ist Anziehungspunkt für viele Gruppen, weiß auch Felinger: "Es ist immer eine gute Werbung, wenn man seinen Vortrag zum Beispiel im Audimax der UniWien hält." Dies verleihe automatisch mehr Glaubwürdigkeit. "Die Hörsäle auf der Uni können unabhängig vom wissenschaftlichen Betrieb gemietet werden, nur wissen das die Wenigsten" , ortet er die Problematik. Der Leiter des Veranstaltungsmanagements der Uni Wien, Falk Pastner, betont, man vermiete keine Räume an Sekten. "Allerdings platzieren sich viele Gruppen, die keine Genehmigung bekommen, rund um die Uni."

Absicht oder nicht - am Stresstest kommt man nicht so leicht vorbei. Aber zumindest schaffe ich es, mich wieder loszueisen, ohne etwas gekauft zu haben.(Astrid-Madeleine Schlesier, UNISTANDARD, Printausgabe, 5.5.2011)