Grönland war schon einmal grün. Jetzt wird es bald wieder soweit sein. Die Insel verändert sich - und auch die Bewohner verändern sich. Wir machen eine Rundfahrt in Bildern von Narsarsuaq bis Kangerlussuaq
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Allein der Anflug auf die größte Insel der Welt ist atemberaubend. Über Gletscher und Berggipfel hinweg geht's in wackligem Flug hinunter zum Narsarsuaq International Airport. Die schwarzen Felsbrocken, die nach vier Stunden Flug aus einem weißen Meer aus Wolken, Nebel und Eis auftauchen, und die darin schwimmenden Gletscherzungen, malen ein surreal schönes Bild und man vergisst, dass das Flugzeug rumpelnd und wackelnd gegen den Sturm ankämpft. Stattdessen klebt man mit der Nase am Fenster und ist einfach fassungslos.
Der Ort Narsarsuaq hat nicht einmal 200 Einwohner, übersetzt bedeutet der Name
"Große Ebenen". Auf einer Insel die vor allem aus Bergen, Tälern und
Eismassen besteht, war dies der am besten geeignete Platz für die 1.809
Meter lange Rollbahn. Der International Airport schließlich ist dann nicht mehr, als ein etwas größeres Hüttchen mit einer Hotdog-Bude und einem Fernseher. Check-In, Security und Kofferübergabe sind entsprechend schnell und simpel erledigt.
Es gibt in Grönland keine Landstraßen, Autobahnen oder Eisenbahnen. Die einzigen Möglichkeiten, sich zwischen den Ortschaften zu bewegen sind Fliegen oder Bootfahren. Eine sehr attraktive Variante sind die Helikopter der Airgreenland, die immerhin 25 Passagieren Platz bieten. Das Flugerlebnis ist einzigartig ...
... der Ausblick ebenfalls. Die Helis fliegen relativ weit unten, so dass man teilweise direkt über den Hochplateus dahin gleitet. Eigentlich wäre allein der Heliflug ein Grund, nach Grönland zu kommen - wenn man einmal alle Gedanken an Umweltschutz etc. außer Acht lassen will.
Erste Station ist der Ort Nanortalik. Ein Großteil der Gebäude hier wurde restauriert und beherbergt jetzt Museen zu verschiedenen Themen, vor allem altem Handwerk. Man lernt hier, mit welchen Methoden dereinst das Walfett ausgekocht wurde oder wie die speziellen Boote für die Frauen gebaut wurden.
Und das hier ist der allererste Eisberg, den ich höchstpersönlich zu Gesicht bekommen habe. Obwohl er nur 30 Zentimeter aus dem Wasser ragt ist es für mich in dem Moment die aufregendste Erscheinung des ausklingenden Tages. An dem Tag war Zahltag, das heißt sämtliche Einwohner, die Lohn erhalten haben, waren im Dorfwirtshaus und haben getrunken. Um zehn Uhr abends waren dann alle recht lustig und raumgreifend auf den Schotterstraßen unterwegs - ohne Geld.
Am Ufer in Nanortalik treibt ein Oberkiefer im Seetang, vermutlich die Überreste einer Robbe.
Bei dem Anblick am frühen Morgen werden selbst die schlimmsten Frühgrantler gut gelaunt und man ertappt sich dabei, dass Wörter wie "Ehrfurcht", "Demut" oder "Verletzlichkeit" durchs Gehirn huschen.
Die meisten Strecken werden in Grönland mit dem Boot zurück gelegt. Damit kommt man wirklich überall hin.
Zum Beispiel nach Tasiusaq, das wie so viele andere Orte auch, in einer völlig isolierten Bucht liegt. Hier leben vor allem ältere Menschen und Kinder, vor den Häusern stehen verrostete Schneemobile, ein paar Hunde liegen herum. Der Friedhof ist gut gefüllt, viele Häuser dagegen stehen leer.
Den Kinder ist's egal, sie haben trotzdem ihren Spaß. Das Land spiegelt sich in den Menschen wider, die sehr entspannt wirken. Wozu auch aufregen? Heute Regen, morgen Sonne, heute Geld, morgen pleite, gestern Schlittenhunde, morgen Tomaten. Was kann ein Mensch da groß ausrichten? Es gibt eben doch sehr viele Dinge, die man nicht ändern kann, denen man sich anpassen muss. Tut man das nicht, wird man eben zurecht geschliffen, so wie das Eis die Berge schleift.
Ein wenig unheimlich ist der Eindruck des Trockenfischarrangements vor diesem Haus. Fliegen gab's keine, aber die Fischfetzen, die hier in der Sonne essfertig zusammenschrumpelten, muteten doch sehr exotisch an.
Andererseits - in Grönland ist alles ein bisschen exotisch. Abgenagte Tierschädel, die noch der Hauch des Todes umweht, sind ebenso zu finden, wie klapprige Holzhäuser die keiner mehr braucht. Ein gewisser morbider Charme liegt über der Insel.
An manchen Orten hat man das Gefühl, man stünde auf einem wabernden, sich bewegenden Organismus. Natürlich bewegt sich nichts, aber die Dimensionen sind überwältigend. Außerdem ist man ständig auf einem Bett aus Moosen und niedrigen Gewächsen unterwegs, versinkt teilweise mit dem Fuß in dem grünen See, stolpert dann wieder über schwarzes Gestein und verliert ein wenig die Orientierung. Und dann glaubt man, die Insel atmet langsam und ruhig und die Berge haben einen Herzschlag. Das strahlende Türkis am Fuß des Berges ist ein Gletschersee - weder eingefärbt noch "gephotoshopt".
Ein Gletscher, zwei Aufnahmen. Ob der Gletscher zurückgegangen ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Das Foto oben ist eine Postkarte ungefähr aus dem Jahr 2005, das untere stammt vom September 2010. Verändert hat sich auf jeden Fall etwas. Nach oben hin scheint der Gletscher gewachsen zu sein, andererseits ist der kleine Berg im Hintergrund auf dem älteren Foto noch von Eis eingewickelt. Leider ist die Perspektive nicht ganz gleich, sodass sich nicht beurteilen lässt, ob sich das Eis zurückgezogen hat. Das untere Foto ist entstanden, bevor ich die Postkarte gekauft habe - sonst hätte ich das Bild aus dem gleichen Winkel gemacht.
Diese Kinder stehen am Hafen und plantschen im Meer. Zugegeben, für September ist es mit 20 Grad richtig warm, wärmer als in Österreich. Trotzdem schmerzt der Anblick der kleinen Baderatten, die nur mit Shorts bekleidet vom Steg ins eiskalte Wasser springen, herausklettern, bibbernd und zitternd im sanften aber kühlen Wind stehen und dann wieder hinein springen, ins vielleicht acht Grad kalte Wasser.
Uunartoq ist eine kleine Insel vor der Südküste Grönlands. Hier gibt es heiße Quellen, in denen man bei erfrischenden Außentemperaturen stundenlang herumplantschen kann. Ich ziehe es vor, die fünf männlichen Begleiter nicht in die natürliche Badewanne (Pfeil) zu begleiten und streune lieber etwas abseits in der Landschaft umher. Grönland enttäuscht auch hier nicht.
Überwältigend sind die massiven Gebirgszüge am Horizont, das glasklare, eiskalte Wasser und die Moosgewächse zwischen dem schwarzen Tuffgestein.
Grönland verändert sich. Und zwar in rasantem Tempo. Noch vor etwa zehn Jahren wuchs hier kein Baum, jetzt gedeihen sogar Kraut und Rüben auf den Versuchsfeldern des Forschungszentrums für Agrikultur in Upernaviarsuk.
Hier gibt's frisches Gemüse, klein gewachsen und süßlich im Geschmack. Die Tomaten wachsen noch im Glashaus, aber Salat, Kraut und Karfiol gedeihen im Freiland. Das schmeckt auch den Hasen. Aber es bekommt ihnen nicht so gut wie den Menschen.
Qaqortoq ist die größte Stadt in Südgrönland und Anlaufstelle für viele junge Menschen aus den Dörfern. Die Stadt ist ein Ausbildungszentrum und somit eine Rampe in die Welt - denn die Jungen gehen lieber nach Dänemark oder in ein anderes Land in Europa. Etwas mehr als 3.000 Menschen leben in Qaqortoq, einer der größten Arbeitgeber ist eine Gerberei.
Vermutlich ist dieser Bär, der im Eingangsbereich eines Hotels von der Wand baumelt, auch durch die Hallen der Gerberei Great Greenland gegangen. Tausende Robbenfelle und ein riesiger Stapel Eisbärhäute lagen dort herum und warteten auf die Weiterverarbeitung.
Auf die Frage, wie das genau ist mit den Fellen der Polarbären ist, die ja zu den geschützten Arten gehören und also eigentlich nirgendwo importiert werden dürften, gibt's aber keine konkrete Antwort. Und die Sache mit dem Abwasser wird auch nicht restlos geklärt. Robben- und Eisbärjäger zu sein ist heute wenig populär. Für die Grönländer annähernd eine Katastrophe, die sich über Jahrhunderte mit dieser Arbeit identifiziert haben, und nun von allen Seiten Kritik ernten. "Warum müsst ihr die Eisbären erschießen?", empöre ich mich. "Sie sind gefährlich wenn sie im Frühjahr hungrig auf den Eisschollen antreiben!", ist die Antwort eines Jägers. "Und außerdem: Wie ist das nochmal mit euren Kühen und Schweinen in Ställen ohne Tageslicht?"
Grönländisch ist eine Sprache, die Zungen bricht. Die Wörter sind unendlich lang, es knackt und knirscht beim Sprechen.
Ein weiteres sehr heikles Thema: Walfang. Hier wird gerade ein solcher Meeressäuger für den Verkauf hergerichtet.
Die Haut ist mehrere Zentimeter dick, darunter liegt eine ordentliche Fettschicht. Ein Wal füllt die ganze Verkaufshalle und macht mehrere Menschen für längere Zeit satt.
Aus der Tradition, den gefangenen Wal mit allen zu teilen, entsprangen die Kaffeemiks. Wer immer möchte, ist willkommen. Es gibt Kaffee, Blaubeerkuchen, süße Brötchen, Tee und ganz viel Tratscherei.
Sofie ist leidenschaftliche Gastgeberin und sehr besorgt um das Wohl jedes einzelnen ihrer Gäste. Sie hat viele interessante Geschichten von früher zu erzählen, als die Kinder noch bei den Eltern lebten, weil diese nicht weg gehen mussten, um Geld zu verdienen. "Es hat sich viel verändert. Die Welt ist liebloser geworden", sagt sie.
Im September 2009 wurde der erste Fußballplatz aus Kunstrasen in Grönland eröffnet. Das Feld liegt im Süden von Qaqortoq und wurde gemeinsam von FIFA und der Danish Football Association (DBU) finanziert. Wohl als kleine Wiedergutmachung dafür, dass Grönland nach wie vor nicht als eigenständiges Land an internationalen Spielen der FIFA teilnehmen darf. "Seit es den Fußballplatz gibt, hängen die Jugendlichen weniger herum, trinken weniger Alkohol, machen weniger Blödsinn", erklärt Mads Nordlund, unser Reisebegleiter. Statt dessen kicken sie, was das Zeug hält und das Publikum jubelt begeistert - und amüsiert sich über Fehlschüsse und Fouls.
Schon wieder ein Tierkopf. Diesmal ist es eine Ente an einem Faden, der an einer Fischerhütte hängt. Man hat versucht, den Grönländern europäisches Leben beizubringen, ist jetzt darüber enttäuscht, dass es nicht funktioniert hat und hat zudem den Menschen ihre Identität zumindest madig gemacht. Aussagen wie "Grönländer können nicht arbeiten. Grönländer leben nur von Sozialhilfe, weil sie faul und unzuverlässig sind" sind aus dänischen Mündern einige Male zu hören gewesen. Aber was kümmert es jemanden, der auf die Wanderung der Wale oder das Brechen der Eisplatten wartet, ob die Fischkonserven aus der Fabrik um 15 Uhr oder um 19 Uhr ausgeliefert werden? Es wurde versucht, sie in ein Korsett zwingen, das zwar den Europäern
gut passt, den Grönländern aber ihre Würde genommen hat. Was bleibt, ist
dieselbe Geschichte, die man auch aus anderen Kolonialländern kennt:
Alkohol, Gewalt, Arbeitslosigkeit.
In Grönland herrschen andere Dimensionen als irgendwo sonst auf der Welt und die Menschen haben über Jahrhunderte gelernt, damit umzugehen.
Sonnenaufgang in Qaqortoq. Wie ein goldenes Fließ legt sich das Sonnenlicht in aller Frühe über das Wasser, die Felsen und die Häuser.
Eine Reise nach Grönland, ohne die Eisberge gesehen zu haben, geht natürlich nicht. Und in der Tat sind diese gigantischen Eisbrocken beeindruckend. Wenn es ganz still ist, hört man das Schmelzwasser leise tröpfeln, das Farbenspiel aus Weiß, Blau, Türkis, Grün, Cyan, Gelb, Grau, Schwarz und Braun wechselt je nach Sonneneinstrahlung.
Und Grönland zu besuchen, ohne einem Gletsche Auge in Auge gegenüber gestanden zu sein, geht natürlich auch nicht. Der Höhepunkt ist es, Whisky mit Gletschereis zu trinken. Ich verzichte.
Dieses Eis ist tausende Jahre alt, beherbergt uralte Samen, die sofort beginnen auszutreiben, wenn sich der Gletscher zurückzieht. Zumindest erklärt Mads das so. Der Blick in die entgegengesetzte Richtung ruft Ehrfurcht hervor. Möglich, dass meine Hand die erste ist, die dieses Eis berührt, möglich, dass da wo ich meinen Fuß hinsetze, noch nie ein Mensch seinen Fuß hingesetzt hat. Eine eigenartige Vorstellung.
Abflug zurück nach Dänemark. Ein letzter Blick aus dem Flugzeugfenster zeigt einen kalbenden Gletscher. Wieder ist die Schönheit fast schmerzhaft und die Gewissheit, dass die Veränderungen auf dieser größten Insel der Welt unaufhaltsam sind, macht traurig.
In regelmäßigen Abständen gehen Meldungen durch die Medien, dass das Grönlandeis noch schneller schmilzt, als angenommen. Die Einzigartigkeit dieser Insel hat ein Ablaufdatum und das Schmelzen der Gletscher ist nicht mehr aufzuhalten, weil der Prozess ein sehr langsamer ist und viele Klimaeinflüsse von heute erst in einigen Jahrzehnten wirksam werden. Gedanken an Demut, Respekt und Ehrfurcht sind also weniger sentimental als viel mehr angebracht. Auch wenn sie bald nur noch im Zusammenhang mit "hätten wir doch mehr ... gehabt" durch unsere Köpfe geistern mögen. (Mirjam Harmtodt/derStandard.at/05.04.2011)