Das wahrscheinlich coolste heimische Plattenlabel besteht sein zehn Jahren: Erdem Tunakan und Patrick Pulsinger von Cheap Records

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Das Wiener Elektronik-Label Cheap Records feierte am Wochenende sein zehnjähriges Bestehen. Ein Gespräch über Konsequenz, den Wien-Hype und das "richtige Feeling" mit Patrick Pulsinger und Erdem Tunakan.


Wien - Patrick Pulsinger spricht impulsiv und viel. Ob seine Eierspeis daneben kalt wird, ist nicht wichtig. Immerhin dreht sich das Gespräch um die letzte Dekade seines Lebens. Und die bestimmte wesentlich Cheap Records. Jenes Label für elektronische Musik, das er zusammen mit Erdem Tunakan gegründet hat und dessen zehnjähriges Bestehen mit einer großen Party in der Wiener Arena gefeiert wurde. Dabei präsentierte Cheap, was in diesen Jahren wichtig war, und wem man noch habhaft werden konnte. Alte Gefährten und Freunde wie Umberto Gollini, Christopher Just oder Sluta Leta. Gerhard Potuznik trat auf, Louie Austen, der New Yorker Neuzugang Khan und der Elektro-Rocker Philipp Quehenberger.

Erdem Tunakan, die andere Hälfte des Wiener Labels, parliert überlegt. Er hat die einzelnen Veröffentlichungsnummern des Labels im Kopf und orientiert sich daran wie andere an Jahreszahlen. Zusammen ergänzt man sich perfekt. Pulsinger: "Erdem geht es mehr um Harmonie und Stimmigkeit, während ich immer alles umreißen möchte." Beidseitiges Grinsen.

Cheap Records gilt neben dem Kruder-&-Dorfmeister-Label G-Stone, den mittlerweile auf Eis gelegten Verlagen Uptight und Sabotage sowie der Experimentalschmiede Mego als Keimzelle jener Musik, die Österreich in den 90ern aus dem Nichts auf die internationale Karte der Popmusik platzierte. Mit Vertrauen auf den eigenen Instinkt und hohem Qualitätsanspruch brachte man es auf rund 50 Veröffentlichungen, die selten klar einzuordnen und ihrer Zeit oft voraus waren. Tunakan: "Der minimale Techno von Elin etwa ist später als ,Kölner Sound' gehandelt worden" - Pulsinger übernimmt -, "während Private Lightning Six das Electro-Revival vorweggenommen hat".

Die Suche nach Ersttätern

Die Veröffentlichungsphilosophie von Cheap kommt daher wie das Fallbeil eines Schafotts: "Wir bringen nur raus, was uns hundertprozentig gefällt." Zack! Der Entwicklungsstand ihrer Künstler ist ihnen dabei egal. "Philipp Quehenberger trat mit einer beschissenen Kassette an uns heran. Aber wir bemerkten, dass der nur noch ganz wenig Hilfe braucht, um sehr, sehr gut zu werden." Tunakan: "Wenn das Feeling passt, setzen wir uns dafür ein. Das ist eine wesentliche Label-Idee: eigene Artists aufzubauen, unbekannte Ersttäter zu finden."

So hat alles auch begonnen. Pulsinger: "Als wir das Label gestartet haben, sind plötzlich Leute aus den Löchern gekrochen, die seit Jahren zu Hause Musik gemacht hatten, ohne dass sich jemand dafür interessiert hätte. Plötzlich gab es Aufmerksamkeit und die Möglichkeit, eigene Arbeiten zu veröffentlichen."

Wie bei den meisten Wiener Labels ging es nicht darum, großes Geld zu machen, um mit 30 in die Rente zugehen. Cheap wurde aus "Verzweiflung" gegründet. Pulsinger: "Das Label sollte eine Basis für Freunde und Interessierte sein. Ein Studio und die Möglichkeit, Platten zu veröffentlichen. Nicht mehr."

Als 1995 der so genannte Wien Hype einsetzte und eine internationale Öffentlichkeit auf die neuen Töne der Walzerstadt schielte, wurde Cheap zwar erhöht Aufmerksamkeit zuteil, man wusste aber um die Gefahren medialer Hysterie. Cheap tat, was es immer tat: Nicht drum kümmern, weiterarbeiten. Majorfirmen winkten erfolglos mit fetten Schecks nach Kruder & Dorfmeister, und auch bei Pulsinger und Tunakan kamen sie selten weiter als bis an eine verschlossene Studiotür.

Pulsinger: "Die dachten: zwei Namen, zweimal aus Wien - wollen wir kaufen. Das wäre unser Ende gewesen. In finanzieller Abhängigkeit und all den Fallen, die eine Majoranbindung eben mit sich bringt. Wir haben vom Hype nicht profitiert oder mehr verkauft. Bloß das Risiko aus irgendeinem Käseblatt zu gaffen, hatte sich dramatisch erhöht."

"Big in Japan"

Während die Musikindustrie also mit aus dem Boden schießenden Zweit- und Drittligisten vorlieb nahm, tourte Cheap erfolgreich durch Japan, remixte viel beachtet Tschaikowskys Schwanensee für die Wiener Volksoper oder gab DJ-Gigs in ganz Europa. Man fertigte Remixe für Stars wie David Holmes (von ihm stammen die Soundtracks zu den Filmen Out Of Sight und Ocean's Eleven) oder die Hamburger Punks Die Goldenen Zitronen. Seit einem halben Jahr betreibt man außerdem einen Cheap-Shop im Museumsquartier.

Mit dem Electro-Pop-Crooner Louie Austen etablierte man in den letzten Jahren auch einen richtigen Labelstar. Die Idee dafür war typisch Cheap: Ein desillusionierter Hotelbarsänger wird zufällig entdeckt und in das Paralleluniversum der elektronischen Musik gebeamt. Schon tourt dieser höchst erfolgreich durch aller Herren Länder und erlebt - fast schon im Pensionsalter - einen Karriereschub sondergleichen.

Die beiden Mittdreißiger wirken zufrieden. Sie sind keine Stars wie Kruder & Dorfmeister geworden, dafür müssen sie sich aber auch nicht um ihre Coolness kümmern. Stattdessen freut sich Pulsinger, "dass wir nach zehn turbulenten Jahren immer noch gute Freunde sind". Das darauf folgende Lächeln der beiden kommt warm und synchron. (DER STANDARD, Printausgabe vom 19.5.2003)