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Xenia Tichy von der Wiener Eisdynastie und Zauberer Toni Rei (r.) präsentierten die neuen Schlemmerspezialitäten des Jahres.

APA-FOTO: MONIKA KÖSTINGER

Ebenfalls mit von der Partie beim Eisverkosten: Ex-Am-dam-des-Lady Ingrid Riegler und Ex-Schlagerstar Gus Backus.

Foto: Thomas Rottenberg/derStandard.at

Um den Frühling zu eröffnen, bedarf es in Wien nicht einer, sondern dreier Zeremonien - Alle drei laufen jedes Jahr auf die exakt gleiche Art und Weise ab - Das wissen alle Beteiligen, tun aber dennoch so, als wäre dem nicht so

Nur ein böser Mensch würde hier fragen, ob es an den Wienern liegt. Ob die langsamer sind. Und man ihnen alles dreimal sagen muss. Schließlich läutet ja auch im Theater die Glocke dreimal.

In jedem Fall wird der Frühling in Wien nach strengem Protokoll eingeläutet: Zuerst eröffnet der Bürgermeister die Schanigartensaison. Mit dem Kopf der Wirtschaftskammer: Tross, Claqueure, Funktionäre, Schurnaillie sowie eine Delegation der "Earls of Sandwich" versammeln sich jedes Jahr in einem anderen Lokal. Brigitte Jank, Präsidentin der Wirtschaftskammer Wien, kommt spät. Noch später nur der Bürgermeister. Man tut, als wäre, was nun kommt, wichtig - und nach einer Stärkung, ein paar gesetzten Worten geht man ins Freie. Danach wird gejausnet - die Schurnaillie rückt früher ab. Irgendwer muss das Ereignis ja der Welt verkünden.

Früher, als die Welt noch in Ordnung und Walter Nettig nicht bloß in der Humboldtwerbung, sondern auch als Jank-Vorgänger in der Wirtschaftskammer zu sehen war, war es erst ab diesem Tag möglich, im Freien Kaffee zu trinken.

Wasserstadt

Ebenso traditionsreich ist die Eröffnung der Saison an der Alten Donau. Obwohl in diesem Fall niemand so recht weiß, wieso das im Jahreszeitenkalender der Wiener so wichtig ist: Die Bäder sperren erst später (am 1. Mai) auf - aber ohne die Tret-, Ruder- und Segelbootsaison klappt das wohl nicht. Also rücken Funktionäre, Claqueure, Schurnos & Earls in der Segelschule Hofbauer ein - und harren der Wirtschaftskammerpräsidentin und des Bürgermeisters. Jank kommt spät, Häupl später.

Man tut, als wäre wichtig, was kommt - und nach einer Stärkung (Häupl), stechen Häupl und Jank (früher: Nettig) in See. Die Kreativen setzen die Varianten hier bei der Wahl des Schiffinakels: Außer mit einem Kajak und einer Luftmatratze dürfte Michael Häupl hier schon alles navigiert habe. Danach: gesetzte Worte. Anschließend wird zu Mittag gegessen. Die Schurnos rücken ein wenig früher ab: Der Welt verkünden, was geschah.

Der Event hat Kultstatus: Fotografen bringen Fotos der vergangenen Jahre mit. Man schließt Wetten über Wasserfahrzeuge ab. Earls eröffnen das Buffet gern vorab - und haben mitunter „Zwischenfragen": Wer denn „der junge Mann neben dem Bürgermeister" sei etwa. Walter Nettig trug es mit Fassung.

Eiszeit

Die Frühjahrseinläut-Dreifaltigkeit komplettiert ein Ereignis der Zivilgesellschaft: Der Saisonstart beim Tichy. Im "Salon de Glace", einem fensterlosen Sondergastraum im halbherzigen 50er-Jahre-Murano-Stil. Mangels Politikern fehlen hier Tross und Funktionäre. Kein Bürgermeister beim Jovialsein? Da schwänzt sogar das ORF-Landesstudio.

Was an Schurnaillie und Tross fehlt, machen die Earls wett. Und die Promis: Die Agentur PaRaPLü (steht für: "Public Relation Philipp Lütgendorf") ist in Wien legendär für ihre ViP-Listen mit vergessenen Heroen vergangener Adabei-Epochen: Mausi Lugner kann als Headliner jeder buchen/einladen. Aber dazu dann noch Otto Wanz, Magic Christian, Herbert "Happi" Prikopa, Karl Pfeiffer, Edith Leyrer, Maria Lahr und Tony Rei? Das ist doch eine besondere Mischung. Diesen Mix schafft nicht einmal der Marchfelderhof.

Früher war hier auch Domino Blue Fixstarterin - doch die ließ heuer aus. An ihrer Stelle kam Ingrid Riegler. Als besonderes Schmankerl bot Lütgendorf noch Gus Backus auf - wohl um der gleichzeitig im TV laufenden britischen Prinzenhochzeit Paroli zu bieten.

Ewiges Protokoll

Der Ablauf ist immer gleich: Die Earls kommen früher. Und besetzen die besten Plätze. Um zu beweisen, wie aktiv sie sind, telefonieren sie demonstrativ. Heuer dröhnte der Greis mit der Sonnebrille über den optischen Gläsern, dem Karl-Stotz-Hut und den vielen Ringen an der Hand, dass er „was Weltexklusives für dich habe. Das weiß sonst keiner. Der Tschudlo ist nämlich hier. Hat keiner mitgekriegt. 1000 Dollar pro Foto. Und Geschichten Ende nie. Aber mehr kann ich jetzt nicht sagen: Feind hört mit!" Ich blätterte im U-Bahn-Blatt. Jude Law war da gefühlte 270 Mal drin.

Nach den Earls kommen die Promis. Die Tichydamen servieren Sekt, Brötchen und Kuchen. Danach freut sich Lütgendorf, dass auch heuer wieder alle da sind. Dann sagt Kurt Tichy etwas, was niemand hört, weil alle längst wieder quatschen. Dann wird ein Safe hereingerollt (statt Anzügen trugen die Safe-Roller heuer Lederhosen, aber die Sonnebrillen und die Gesichter waren die vom Vorjahr). Ein Zauberer (früher: Magic Christian, heuer: Tony Rei) zaubert den Safe auf und präsentiert dem nicht auf ihn achtenden Volk das Eis der Saison.

Interaktiv

Nun wird es „interaktiv": Promis füttern Promis mit Eis. Heuer atzten Lahr, Riegler und Lugner die Herren Pfeiffer, Wanz und Bacchus. Ob Letzterem zuvor die Augen tatsächlich bloß wegen des Eises verbunden worden waren, blieb offen. Denn die meisten Journalisten nutzen - traditionell - das Tohuwabohu der Fütterungsvorbereitung für einen Abgang: Jeder bekommt eine Kühltasche voll mit Eismarillenknödeln. Als Bild verwendet man Tichy vorm Tichy. Oder Kinder mit Eis. Bei den Promi-Namen fassen sich die Kollegen an die Gurgel: "Noch so ein Name und ich fall' tot um! Los, rück' das Eis raus!"

Die Earls essen noch bis in den frühen Nachmittag im Salon de Glace Eis, Brötchen und Kuchen. Und in Wien ist jetzt Frühling. Ganz offiziell. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 2.5.2011)