Bild nicht mehr verfügbar.

Durch den Import von Billigware aus Fernost und dem Überhandnehmen der Kleiderdiskonter werde den kleinen Handwerksbetrieben die Überlebensgrundlage genommen, erklärt Innungsmeisterin Patricia Fürnkranz-Markus.

Foto: REUTERS/Alessandro Garofalo

Wien - "Viele freuen sich, wenn sie merken, dass man noch ein richtiger Handwerker ist." Gabriela Tzvetanova sitzt vor einer alten Nähmaschine in ihrem heimeligen "Modeatelier" in der Wiener Wittelsbacherstraße. Seit 17 Jahren lebt sie in der Stadt, vor neun Jahren hat sie gemeinsam mit ihrem Mann ihre Änderungsschneiderei hier am Rande des zweiten Bezirks eröffnet. Ihr Mann war bereits in Bulgarien Schneidermeister, sie selbst Kontrabassistin. "Ich bin für die Handarbeiten zuständig, mein Mann erledigt alle komplizierten Arbeiten." Seit zweieinhalb Jahren arbeitet auch die Nichte im Atelier.

Änderungsschneidereien wie jene von Frau Tzvetanova und ihrem Mann Wesselyn Cholakov gibt es nicht viele in der Stadt. Die meisten Betriebe, erklärt Innungsmeisterin Patricia Fürnkranz-Markus, sind Einzelunternehmen, kaum eines kann sich Mitarbeiter leisten. Seitdem Anfang der Neunzigerjahre viele Schneidereien schließen mussten, sperren zwar jedes Jahr in etwa gleich viele Betriebe auf wie zu. Wirklich gut gehe es aber wenigen von ihnen. 660 Mitglieder hat die Wiener Landesinnung für Bekleidungsgewerbe derzeit, 160 davon sind Änderungsschneider. Das Gros von ihnen kommt aus der Türkei, viele auch aus Russland und Armenien.

"In Bulgarien", erzählt Frau Tzvetanova, "war die wirtschaftliche Situation schlecht. Dazu kam die hohe Kriminalität." Erst nach vielen Jahren als Aushilfsarbeiter in Wien wagte es ihr Mann, sein Schneideratelier zu eröffnen. "Die Anfangsjahre waren schwierig. Ohne unseren Bankberater, der zu uns gestanden ist, hätten wir sie nicht überstanden. Ich glaube nicht, dass Österreicher diese Mühen auf sich nehmen würden."

Kaum Reparaturen bei Taschen und Schuhen

Auch Schuster Schaulow Simon (62) in der Rasumovskygasse im 3. Bezirk klagt über schleppende Anfangsjahre. 1992 zog der usbekische Jude aus Taschkent nach Wien, ein Jahr später eröffnete er sein Geschäft, in dem er von Flickarbeiten an Schuhen und Taschen bis hin zu Schlüsseldiensten die übliche Palette an Handwerksdiensten anbietet. Seine ganze Familie sei aus Usbekistan geflüchtet, die eine Hälfte lebe heute in den USA, die andere in Israel. "Ich bin mit einem Koffer und drei Kindern an der Hand in Wien angekommen. Die Stadt ist meine Heimat geworden."

Wirklich glücklich wirkt Herr Schaulow aber gerade nicht: "Das Geschäft läuft nicht. Immer weniger Menschen lassen ihre Schuhe und Taschen reparieren. Sie schmeißen sie einfach weg."

Diesen Befund teilt auch die Innungsmeisterin Fürnkranz-Markus. Durch den Import von Billigware aus Fernost und dem Überhandnehmen der Kleiderdiskonter werde den kleinen Handwerksbetrieben die Überlebensgrundlage genommen. "Wer lässt schon ein Kleid reparieren, das gerade einmal 20 Euro gekostet hat?" Dazu kommt, dass ältere Kunden, die gewohnt sind, Schneider- und Schusterdienste in Anspruch zu nehmen, immer weniger werden. "Die nachfolgende Generation", sagt Fürnkranz-Markus, "kann mit einem Schneider nichts mehr anfangen." Das sieht auch Cihan Mehmet (51) so, der in der Löwengasse eine Änderungsschneiderei betreibt.

Seine Laufbahn unterscheidet sich von vielen seiner Berufskollegen, die aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen ihre Heimat verlassen mussten. Als Arbeitsmigrant sieht er sich jedoch nicht. Cihan Mehmet hätte auch in seiner Heimatstadt Konja zwischen Ankara und Antalja eine Arbeit finden können. "Ich wollte aber nicht. Ich wollte in Europa leben." Seine erste Wohnung in Wien verfügte nur über ein Außenklo. "Das war ein Albtraum", sagt Cihan Mehmet, "aus der Türkei kannte ich so etwas nicht." (Stephan Hilpold, DER STANDARD; Printausgabe, 30.4./1.5.2011)