Vor kurzem gingen zum 50. Mal die Weltfestspiele des Design - die Mailänder Möbelmesse - über die Bühne - Thomas Edelmann wühlte im Überfluss und pickte einige Highlights heraus

Modemöbel
Zu den gesellschaftlichen Ereignissen des diesjährigen Mailänder Salone del Mobile gehörte zweifellos die Premiere der Kollektion la maison von Hermès in der Jai-Alai-Sporthalle "La Pelota". In die Halle baute Shigeru Ban einen Pavillon aus Papier, in dessen Räumen die Kollektion mit historischen Entwürfen von Jean-Michel Frank und aktuellen von Antonio Citterio, Enzo Mari und Denis Montel & Éric Benqué gezeigt wurden. Die Herstellung der Möbel hat B&B Italia übernommen. Demnächst soll das Personal der Hermès-Shops geschult werden, um künftig auch Möbel verkaufen zu können. Das Bild zeigt den Storage Coffer von Enzo Mari aus Walnuss, mit weichem Kalbsleder bezogen. www.hermes.com

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Altgwandsessel
Gleich zweimal war der Stuhl Rememberme von Designer Tobias Juretzek in Mailand vertreten. Auf dem Messestand des künftigen Herstellers Casamania und bei der gelungenen Präsentation der Kunsthochschule Kassel, die Möbel- und Produktentwürfe aus der Lehre von Jakob Gebert im experimentellen Ausstellungsumfeld Ventura Lambrate zeigte. Rememberme besteht aus alten Kleidungsstücken und wird mit Kunstharz in Form verpresst. Ein Käufer des Stuhls kann dabei sogar - gegen einen gewissen Aufpreis - eigene T-Shirts, Hemden und Hosen zur Vermöbelung einreichen.
www.casamania.it
www.kasselcollection.de
www.tobiasjuretzek.com

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Strickware
Patricia Urquiola, Spanierin, in Mailand lebend, ist zweifellos eine der aktivsten und bedeutendsten zeitgenössischen Designerinnen. Etliche Hersteller von B&B Italia bis zu Kartell und Andreu World präsentierten ihre neuesten Entwürfe. Ihr Fauteuil Biknit ist trotz Holzgestell und Metallrahmen für drinnen und draußen gedacht. Man sitzt auf einem dreidimensionalen, schlauchartigen Flechtgewebe. Es besteht aus einem unempfindlichen Material, das auch für Strandliegen verwendet wird. Hergestellt wird Biknit von Moroso, einem experimentellen italienischen Unternehmen mit handwerklicher Polstermöbeltradition. www.moroso.it

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Matrosenmöbel
Bereits seit Mitte der 1960er-Jahre produziert Cassina nicht nur aktuelle Möbelentwürfe, sondern legt immer wieder auch Werke von Meistern aus Architektur und Design neu auf. Besonders bekannt: die Möbel von Le Corbusier, Pierre Jeanneret und Charlotte Perriand, die es neuerdings in allwettertauglichen Versionen gibt. Kaum bekannt, aber ebenfalls eine bedeutende Figur der Architektur- und Designgeschichte ist der Italiener Franco Albini (1905-1977). Etliche historische Möbel vertreibt die Galerie Nilufar. Nun hat Cassina unter Beteiligung von Schiffbauingenieuren das Hängeregal Veliero, zu Deutsch Segelschiff, von 1938 unter die Lupe genommen und neu im Programm anheuern lassen.
www.cassina.com
www.fondazionefrancoalbini.com

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Durchhänger
Unter anderem mit einem verpackten Feuerlöscher rückte Nils Holger Moormann auf seinem Messestand an. Er wollte endlich einmal richtig viele Neuheiten zeigen, und da musste ein wenig geschummelt werden. Drei reale Neuheiten waren es dann doch. Der Beistelltisch Minimato, der Pressed Chair aus Stahlblech und die Garderobe Lodelei von Martin Pärn und Edina Dufala-Pärn. Das Möbel lege "Wert auf eleganten Loden", umgebe sich gerne mit Jacken und Mänteln, habe einen "stetigen Durchhänger" und suche "einen festen Platz mit einer starken Wand zum Anlehnen für gemeinsames Abhängen." www.moormann.de

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Faltenwurf
Auf dem Sofa liegt eine Decke, in die man sich einwickelt, sobald einem kalt ist? Nein, das Sofa ist eine Hülle, in die man hineinkriechen kann, ein Gehäuse, eine Decke, ein Form, die sich beständig verwandelt. Ist es überhaupt ein Sofa? Allerdings. Derzeit gibt es eine Edition von fünf Exemplaren, von denen eine bei der Ausstellung von kkaarrlls, einer Plattform der Hoch- schule für Gestaltung Karlsruhe, zu sehen war. Bereits zum dritten Mal zeigten Studenten und Ehemalige des Fachbereichs Produktdesign in Mailand ihre aktuellen Entwürfe. Die Moody Couch von Hanna Emilie Ernsting definiert Decke und Sofa als Einheit. Der Bezug ist fest mit dem Unterbau verbunden und schafft ganz andere Sitzoptionen, als sie viele verstellbare Sitz- und Liegemöbel bieten. www.kkaarrlls.com

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Hollywood-Sessel
Einerseits geht Konstantin Grcic neuerdings stärker auf vermeintliche Bedürfnisse von Möbelnutzern ein. Seine Sitzgelegenheiten sind - anders als früher - richtig bequem. Andererseits bieten sie dem Auge immer noch Widerstand. Richtig so! Grcics Ledersessel Avus für Plank erinnert nicht nur vom Namen an eine Berliner Autorennstrecke, sondern weckt Assoziationen an eine Formensprache, wie sie in der Westhälfte der Frontstadt schon in den 1970er-Jahren praktiziert wurde. Ungewöhnlich sein erstes Serienprodukt für Vitra:Waver ist ein im drehbaren Stahlrahmen frei aufgehängter Sitz für den Garten. Wer unbedingt Bezüge herstellen mag, findet sich vielleicht beim Hardoy-Chair oder der Hollywoodschaukel wieder. Wer nach Innovationen dürstet: bitte schön, hier ist eine echte!
www.vitra.com

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Glanzstück
Stehen, tragen, überdecken - Begriffe, die der italienische Architekt und Designer Angelo Mangiarotti (90) für sein Werk verwendet. Für sein Regal Loggia hat der junge Architekt Jakob Timpe sich von Mangiarottis Konstruktionsprinzipien inspirieren lassen. Jedes Bogenmodul seines Regals besteht aus zwei Wandstücken und einem Boden aus MDF, die fest miteinander verleimt sind. Dies und die Möglichkeit, einzelne Bauteile im Verbund zu kombinieren, verleihen dem Regal große Stabilität. Übrigens: Kürzlich hat sich Firmengründer Renato Stauffacher die Marke Alias aus dem Firmenkonglomerat der Poltrona Frau-Group wieder zurückgekauft. Dank vieler neuer Produkte, die alle auf konstruktiven Besonderheiten beruhen, erstrahlt Alias nun in blank poliertem Glanz. www.alias.it
(Thomas Edelmann/Der Standard/rondo/29/04/2011)

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