Das US-Militär ist, wie der Verlauf des kurzen Irakkrieges gezeigt hat, so gut, wie es seine publizistischen Fans behaupten. Aber im Vorfeld des Krieges weckten die Bush-Regierung und ihre Unterstützer in den konservativen Medien die Erwartung auf einen nahezu unblutigen Konflikt und den sofortigen Aufstand der Iraker gegen Saddam. Selbst Vizepräsident Cheney deutete an, der Krieg könne innerhalb von Tagen vorbei sein. Nun wurde der Krieg in der Tat leicht gewonnen, aber nicht ganz so leicht, wie es die Rechten prophezeit hatten. Dennoch war ihre Euphorie größer denn je. Beflügelt empfahl der Weekly Standard der US-Außenpolitik die langfristige Besatzung des Irak, die Marginalisierung der UN, die Bestrafung Frankreichs und aller anderen Staaten, die gegen das amerikanische Vorgehen Widerstand geleistet hatten, die Ablehnung der britischen Forderung, nun endlich Druck auf Israel auszuüben, und zugleich eine scharfe Gangart gegenüber Staaten wie Syrien, Nordkorea und Iran.

Vor dem Krieg musste jeder, der in der politischen Debatte ernsthaft gehört werden wollte, die Prämisse akzeptieren, dass der Krieg ebenso gerechtfertigt wie unvermeidlich sei. Es gehört zur Ironie dieser Kriegsgeschichte, dass die einzige ernsthafte Opposition auf den Korridoren der Macht von Teilen des Offizierkorps kam, denen der Krieg gegen den Terrorismus und ein Vorgehen in Nordostasien weit drängender erschienen. Und was die amerikanische Bevölkerung betrifft: Obwohl rund 70 Prozent den Militäreinsatz unterstützten, reichte diese Befürwortung nicht sehr tief. Nun, da der Krieg vorbei ist, ist keine Mehrheit mehr für einen weiteren Präventivkrieg zu überzeugen. Weit davon entfernt, der erste in einer Reihe von Demokratisierungskriegen zu werden, von denen die Neokonservativen träumen, dürfte sich der Irakkrieg darum als ein einmaliges Ereignis herausstellen. Sollte das der Fall sein, wäre dies ein Pyrrhus-Sieg für die „Falken“ wie Paul Wolfowitz, Douglas Feith und Richard Perle – und vielleicht für den Präsidenten selbst.

Für Beobachter außerhalb der USA wirkt die Bush-Regierung, mit Ausnahme von Colin Powell, als Ansammlung von Hardlinern. Das stimmt jedoch nicht – tatsächlich gehört sie zu den am stärksten gespaltenen Regierungen der jüngeren amerikanischen Geschichte. Abgesehen von persönlichen Rivalitäten wird sie von tiefen Meinungsverschiedenheiten über den richtigen Einsatz amerikanischer Macht in der Zeit nach dem Kalten Krieg zerrissen. Die Falken glauben, dass Amerika eine imperiale Rolle übernehmen sollte. Die Ereignisse des 11. September stellen für sie einen historischen Aufruf zum Kampf dar. Wie Amerika dem Kommunismus Paroli geboten und ihn schließlich besiegt hatte, so müsse das Land nun den Terrorismus besiegen. Nur Amerika könne diesen Kampf führen – aber auch nur dann, wenn es sich auf seine Macht und Hegemonie besinne, wenn es den Willen habe, diese Macht entschieden einzusetzen und, wenn nötig, Länder anzugreifen und zu besetzen, wo immer die Gefahr dies gebiete.

Die Geschäfte des Herrn

Eine solche Sicht stellt einen historischen Bruch dar mit den „realistischen“ Ansichten von republikanischen Präsidenten wie Nixon und, natürlich, Präsident Bushs Vater. Kreuzzüglerisch, gar millenniaristisch, wie sie geprägt ist, geht die neue Weltsicht zurück auf die fundamental religiöse Vorstellung von der Sonderrolle und der revolutionären Bestimmung der Vereinigten Staaten. Die vielen Amerikaner, die Präsident Bush verachten und seine Ziele ablehnen, machen sich gern lustig über diese Rhetorik (ohne sich klar zu machen, dass ihre Opposition eher ästhetisch als politisch motiviert ist; wäre Clinton im Irak einmarschiert, hätte dies die Hälfte der Kriegsgegner ohne Widerspruch akzeptiert.) Doch diese Rhetorik ist so alt wie die Republik. Schließlich war es Benjamin Franklin, der erklärte, „das Anliegen der Vereinigten Staaten ist das Anliegen der Menschheit“. Während des Kalten Krieges war Reagans Regierung die Apotheose einer derart moralisierenden Hegemonie – und in gewisser Weise ist die Regierung des jüngeren Bush die Regierung Reagan II.

Die Falken in der Bush-Regierung bestehen darauf, dass zwischen der erfolgreichen Demokratisierung des Sowjetreiches durch eine Kombination aus militärischer Konfrontation und ideologischem Wettlauf und ihrem eigenen Projekt, der Demokratisierung jener undemokratischsten Region der Welt, dem islamischen Nahen Osten, eine Parallele besteht. Für sie ist dieses Projekt nicht nur moralisch richtig – wie die Reaganites sind die heutigen Neokonservativen Idealisten, ja sogar Utopisten –, sondern auch vernünftig, da der Nahe Osten das Zentrum des Terrorismus’ und des Antiamerikanismus’ ist. Gerade weil in diesem Kreuzzug Interesse und Moral zusammenzufallen scheinen, sind Konservative so taub gegenüber Vorwürfen, sie oder zumindest mit ihnen verbundene Unternehmen würden auch materiell von einem solchen Projekt profitieren. Denn auch wenn es nur wenige laut sagen – viele sind ganz im Sinne von Max Webers „Protestantischer Ethik“ der Ansicht, man dürfe, wenn man schon die Geschäfte des Herrn erledige, dabei auch eigenen Vorteil haben.

Aber es gibt in der Regierung auch ganz andere Stimmen. Verteidigungsminister Rumsfeld, im Ausland meist als der härteste der Hardliner angesehen, hegt wenig Sympathien für die neokonservativen Kreuzzüge. Er ist ein kriegstreibender Nationalist vom alten Schlag, der Truppen aussendet, um Amerikas Feinde zu vernichten, und sie dann nach Hause holt. Im Irak die Demokratie einzuführen, mag für ihn nützliche Propaganda sein, ähnlich wie Bushs Erklärung, der Krieg in Afghanistan habe den Frauen Freiheit gebracht – für seine politische Agenda ist es völlig unwichtig. „Rummy“ ist in den Augen der Neokonservativen nicht nur kein wahrhaft Glaubender, sondern könnte sich sogar als Hindernis für ihre Pläne herausstellen. Ebenso skeptisch sind sie gegenüber Vizepräsident Cheney und seiner langen Freundschaft mit der saudischen Herrscherfamilie, die neben der syrischen, iranischen und nordkoreanischen Führung auf ihrer Abschussliste steht. Hormonelle Kaskade Die öffentliche Diskussion gewonnen zu haben, aber die Debatte innerhalb der Regierung womöglich zu verlieren – das frustriert die Hardliner. Ihnen ist klar geworden, dass die Doktrin der Prävention, wonach die USA für sich allein das Recht reservieren, ihre Feinde anzugreifen, ehe sie selbst angegriffen werden, von allzu vielen nicht als Rezept einer imperialen Zukunft anerkannt wird. Wenn Rumsfeld dagegen ist und Außenminister Powell erst recht, wenn die Haltung des Vizepräsidenten zumindest unsicher ist, dann könnten selbst innerhalb der Regierung jene großen Pläne weiter von ihrer Verwirklichung entfernt sein, als man angenommen hatte. Nimmt man dazu noch den Druck von Blair auf Bush, sich ernsthaft für einen palästinensischen Staat einzusetzen, dann findet man sich plötzlich in einer Situation wieder, die dem Elan für ein Imperium im konservativen Sinn weit weniger zuträglich ist, als es der Irakkieg zunächst erwarten ließ. Dass auch das US-Militär sich kaum mit weiterem „Demokratie-” und „Nation-Building“ befassen will, macht die Sache nicht besser. Zum Trost hoffen Neokonservative, dass das Vorbild eines demokratischen Irak ähnlich wie in einer „hormonellen Kaskade“ ein derart leuchtendes Beispiel für die Region sein wird, dass man auch ohne neue Militäraktion dem großen Ziel näher kommt. Natürlich, alles ist möglich, aber wahrscheinlich ist es nicht, zumal es unterstellt, dass im Irak eine Demokratie amerikanischen Stils entsteht. Stattdessen lassen die bisherigen Ereignisse eher vermuten, dass eine islamische „Demokratie“ nach iranischem Muster herauskommt. Den Vereinigten Staaten war schon bei der Willensbekundung der türkischen Demokratie unwohl, als diese den US-Truppen den Einmarsch über die Türkei in den Nordirak verwehrte. Noch unwohler wäre ihnen bei demokratischen Willensbekundungen der Saudis, Ägypter oder Jordanier, die fast unvermeidlich auf Antiamerikanismus beruhen würden. Tragischerweise hat die bedingungslose Unterstützung der israelischen Kolonialisierung des Westjordanlandes und Gazastreifens die einzig säkulare demokratische Gemeinschaft des islamischen Nahen Ostens, die der Palästinenser, praktisch zerstört und diese in die Emigration oder in die Arme fundamentalistischer Gruppen wie Hamas und Dschihad getrieben. Neokonservative Intellektuelle wollen nichts davon hören. Für sie ist Demokratie allein die amerikanische Demokratie, was natürlich ein religiöses Sentiment darstellt, kein politisches. Doch das entspricht dem amerikanischen Zeitgeist – fundamentalistisch bis ins Mark, wohin man schaut. Was eine solche „Befreiungs“-Theologie jedoch nicht vertuschen kann, ist die Wirtschaftslage, und da ist schwer zu erkennen, wie die Phantasten eines Amerikanischen Imperiums die Mittel für dessen Kosten aufbringen wollen. Vom Sieg berauscht, glauben seine Propagandisten noch immer, dass sie beides haben können: erst unilateral zu handeln und die Verbündeten zu düpieren, nach dem Krieg aber dieselbenVerbündeten dafür zu gewinnen, die Rechnung für Wiederaufbau und Sicherheit zu begleichen. Das letztere funktionierte im Kosovo – in einem Krieg, an dem Europa wesentlich teilhatte. Es funktionierte auch in Afghanistan. Doch praktisch niemand außer den paar Alliierten unterstützte den Krieg gegen den Irak, geschweige denn, dass man weitere Strafaktionen nach dem selben Muster möchte. In Amerika werden Wahlen nicht mit militärischen Siegen gewonnen, sondern mit wirtschaftlichen Erfolgen. Selbst das Trauma des 11. September und die Angst vor dem Terrorismus können daran nichts ändern. Der größte politische Fehler der Regierung Bush, nämlich stets an das eigene Best- case-Szenario zu glauben, hat im Krieg wohl nicht geschadet. Aber sie hat denselben naiven Optimismus bei der Wirtschaftspolitik gewählt – und so die dem Aktiencrash folgende Rezession allein schon durch die Kosten des Irakkrieges noch verschlimmert. Ein neues amerikanisches Imperium? Die Amerikaner wollen Wohlstand, keine militärischen Abenteuer. Luxus, sagte Juvenal, ist rücksichtsloser als Krieg. Genau diese Lektion müssen die Falken erst noch lernen, und es ist diese Lektion, die ein amerikanisches Imperium, wenn nicht unmöglich, dann zumindest weit weniger wahrscheinlich macht.(DER STANDARD, Printausgabe, 17./18.5.2003)