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Zumindest so viel ist sicher: Der neue Roman von Karen Duve weiß, was er nicht ist. Er ist "kein Liebeslied", verkündet er schon im Titel. Um den Leser sodann allerdings im Regen stehen zu lassen. Denn was - um Himmels Willen - ist Dies ist kein Liebeslied sonst als eine nimmer enden wollende Ballade um die Abwesenheit von Liebe, die Unmöglichkeit eines erfüllten Pärchendaseins, die Tragik einer schmachtenden Seele?

Etwa ein Entwicklungsroman, in dem es in erster Linie um den tragischen Verlauf einer Schlankheitskurve geht? Ein Geständnisbuch, das dem unglücklichen Rest der Welt auf dem steinigen Weg zum erfüllten Liebesglück ein warnendes Beispiel sein will? Oder gar ein "Postpoproman", der die Achtziger sozio-literarisch aufarbeitet, wie unlängst ein mutiger deutscher Feuilletonist behauptete?

Wahrscheinlich ist Dies ist kein Liebeslied sogar von allem ein bisschen, wenngleich auch nichts so richtig. Insofern passt die kokette Negation im Titel schon mal recht gut zu diesem Band, auf den man schon des Längeren wartete, auch wenn sich jetzt herausstellt, dass man ihn eigentlich nicht nötig hat. Nach dem umwerfenden Erfolg von Duves Vorgängerband Regenroman, der in elf Sprachen übersetzt wurde, klebte an Karen Duve nämlich ein großes Etikett. Unter den jüngeren deutschen Schriftstellerinnen versprach Duve besonders viel für die Zukunft.

Talent hat sie ja. Das ist auch in Dies ist kein Liebeslied nicht zu übersehen. "Mit sieben Jahren schwor ich, niemals zu lieben. Mit achtzehn tat ich es trotzdem. Es war genauso schlimm, wie ich befürchtet hatte. Es war demütigend, schmerzhaft und völlig außerhalb meiner Kontrolle." Solcherlei erste pointierte Worte muss man erst hinkriegen. Duve kriegt sie hin, kriegt sich allerdings auf den darauf folgenden 280 Seiten nicht mehr ein. Die Lebensgeschichte ihrer Icherzählerin Anne Strelau artet nämlich in eine Demütigungsorgie aus, die in der Kindheit anhebt, in der Pubertät ihren ersten Höhepunkt hat, um sodann in ein Stadium der passiven Gleichgültigkeit zu münden.

Anne ist dick. Anne ist hässlich. Anne hat keine Freunde. Das ist das Grundmotiv, das in diesem Buch unzählige Variationen erfährt. Draußen galoppiert die Welt an Anne vorbei, doch in Annes Stübchen bleibt es dunkel. Der Kindheitsfreund Tellerauge, mit dem sie gemeinsam die von Nachbars Rasenmäher verstümmelten Frösche mit Tesafilm zu heilen versucht und der sich bald von der Freundin abwendet, ist nur der erste in der Reihe jener Männer, die für Anne das Unglück personifizieren. Bis ihr irgendwann der Kragen platzt: "Eines Tages, genauer gesagt am Donnerstag, den 20. Juni 1996, beschloss ich, dass die Sache ein Ende haben müsste, ein schlimmes oder eines, das ich mir nicht vorstellen konnte." Also geht Anne in ein Reisebüro und kauft sich ein Flugticket nach London - dort wohnt ihre Jugendliebe, der "schöne, sportliche und erfolgreiche" Hemstedt. So einfach kann man es dem Unglück machen.

Ganz so einfach hat es sich Karen Duve mit ihrem Roman dann allerdings auch nicht gemacht. Ganz nah ran zoomt sie sich an ihre Protagonistin, kein Seufzer und kein Gedanke entgeht ihr. Und trotzdem liest man dieses Buch wie durch einen Gazeschleier. Der Offenbarungswille will einfach nicht zu Duves nüchternen, sich ganz naiv gebenden Formulierungen passen.

In dieser Technik der Distanzierung schlummert der Witz des Buches. Einerseits soll man wohl mit Anne bangen, andererseits darf man sich über das dicke Fräulein amüsieren. Nur dass einem dieses Buch weder zum einen verführt, noch einem Lust auf das andere macht. (Stephan Hilpold/DER STANDARD, Printausgabe, 17.05.2003)