Heinz Oberhummer: "Als Humanist bin ich für Menschendienst, nicht für Gottesdienst."

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Für Physiker Heinz Oberhummer ist das Gehirn eines der faszinierendsten Dinge der Evolution und die Liebe das Tollste am Menschen. Gott und Religion braucht er nicht, Gipfelkreuze stellt er dennoch auf. Warum wir alle Sterne sind, erfragte Renate Graber.

STANDARD: Haben Sie Ihre Alpaka-Bemmerl mit? Sie tragen ja immer ein Glas mit Kot von den Alpakas bei sich, die Sie züchten.

Oberhummer (sucht in seinen Taschen): Nein, heute nicht. Aber sonst immer, weil sie meine Glücksbringer sind.

STANDARD: Am Alpaka-Kot fasziniert Sie das darin lebende Deinococcus radiodurans, ein Bakterium, das sogar intensive Gammastrahlung überlebt. Sie sind Atomphysiker und Atheist – und abergläubisch?

Oberhummer: Daran sieht man nur, dass auch rational orientierte Menschen wie Physiker ihre Spleens haben. Ich glaube ja nicht wirklich, dass mir die Bemmerl Glück bringen, aber es gibt mir ein besseres Gefühl. Auch Wissenschafter dürfen Gefühle, Emotionen und Phantasien haben – aber man darf sie nicht nach außen projizieren. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass es in der Welt mit rechten Dingen zugeht.

STANDARD: Muss angenehm sein.

Oberhummer: Das ist sehr angenehm: Man hat seine Phantasien, weiß aber, dass es in der Welt keine Monster, Geister, Götter gibt. Von dem, was sich der Mensch in seiner Phantasie ausdenkt, ist nur ein ganz geringer Teil in der Wirklichkeit, der Natur, im Universum realisiert. Und das ist gut so. Sonst fände man sich nicht zurecht in der Realität. Würde ich glauben, da draußen ist ein strafender Gott, verhielte ich mich ganz anders.

STANDARD: Er könnte Sie auch beschützen.

Oberhummer: Und dann liefe ich über den Ring, ohne zu schauen, ob ein Auto kommt.

STANDARD: Sie landeten jüngst wegen eines Rehs im Straßengraben ...

Oberhummer: Das wissen Sie schon? Ja, ich denke halt oft an andere Dinge, deswegen fahre ich möglichst wenig mit dem Auto.

STANDARD: Weil Sie für den Alltag völlig unbrauchbar sind, wie Sie sagen? Oder kokettiert da der Fast-Nobelpreisträger und emeritierte TU-Professor mit dem Klischee des zerstreuten Professors?

Oberhummer: Nein. Ich bin patschert, vollkommen ungeeignet fürs Praktische. Meine Frau beschützt mich da.

STANDARD: So gesehen ist es ideal, dass Sie in Ihrem Kabarett Science Busters den Experimentalphysiker Werner Gruber zur Seite haben.

Oberhummer: Ja: Er die Bühnensau und ich der Theoretiker und Analytiker eher im Hintergrund.

STANDARD: Sie wollen mit Ihren Programmen lustvoll für die Wissenschaft interessieren. Laut einer Umfrage hielten die Österreicher 2007 Ex-ORF-Moderator und Ex-Politiker Josef Broukal, Quantenphysiker Anton Zeilinger und Ex-Opernchef Ioan Holender für die berühmtesten Wissenschafter des Landes. Haben Sie diesbezüglich schon etwas bewirkt?

Oberhummer: Nein. Es ist ein großes Defizit Österreichs, dass die Naturwissenschaften einen sehr geringen Stellenwert haben. Diese Aversion gegen Technik und Naturwissenschaft hat historische Gründe, liegt auch daran, dass in Österreich die Aufklärung als Teil der Wissenschaft verschlampt wurde. Und daran, dass unsere Bildungspolitik katastrophal ist.

STANDARD: Ihr radioaktivitätsresistentes Bakterium fliegt heuer zum Marsmond Phobos. Wozu?

Oberhummer: Da fliegen die zehn widerstandfähigsten Wesen der Erde mit; neben dem Bakterium etwa eine Flechte und ein Hefepilz. So wird getestet, ob Leben von einem Planeten zum anderen gelangen kann. Durch den Weltraum, der lebensfeindlich ist: Vakuum, sehr kalt, sehr radioaktiv.

STANDARD: Was, wenn Ihr Bakterium überlebt?

Oberhummer: Stellen Sie sich's so vor: Am Mars schlägt ein Meteor ein, Gestein davon landet auf der Erde. Darin könnte in dem Fall Leben vom Mars sein.

STANDARD: Sie haben mit einem TU-Lehrer gewettet, dass bis 2020 außerirdisches Leben entdeckt wird.

Oberhummer: Länger gilt die Wette nicht, weil irgendwann muss auch ich ins Jenseits.

STANDARD: Sie und Jenseits?

Oberhummer: Irgendwann bin ich nicht mehr auf dieser Erde.

STANDARD: Oder tiefer drin.

Oberhummer: Nein: Ich habe meinen Körper der Anatomie vermacht. Die Studenten brauchen Leichen zum Lernen. Als Humanist bin ich nämlich für Menschendienst, nicht für Gottesdienst.

STANDARD: Sie lehnen ja auch die Homöopathie ab?

Oberhummer: Ja, und ich unterscheide auch nicht zwischen Schul- und Alternativmedizin. Wenn in der Medizin die Wirkungsweise eines Medikaments oder einer Heilmethode nachgewiesen ist, ist es Medizin. Ist es nicht nachgewiesen, ist es Pfusch oder Pseudowissenschaft.

STANDARD: Wie stehen Ihre Chancen bei der Wette?

Oberhummer: Gar nicht so schlecht. Am Mars hat man riesige Methanwolken entdeckt, die im Sommer aus dem Boden dampfen. Bei uns entsteht Methan hauptsächlich aus Bakterien im Verdauungstrakt von Rindern, allerdings auch aus geophysischen Vorgängen. Darum fliegt heuer ein Labor zum Mars, das analysiert, ob das Methan von Bakterien stammt oder chemischen Ursprungs ist. Kommt es von Lebewesen, gewinne ich eine große Flasche Sekt.

STANDARD: Es geht dabei aber nicht um intelligentes Leben?

Oberhummer: Nein.

STANDARD: Ist eigentlich der Mensch intelligentes Leben?

Oberhummer: Gute Frage. Wir haben Kernwaffen, mit denen wir uns selbst acht Mal ausrotten könnten. Wäre ich im galaktischen Rat einer anderen Zivilisation, riete ich vom Kontakt mit den Menschen ab: "Sie sind primitiv und aggressiv, betrachten wir sie lieber wie einen Zoo." Zum intelligenten Leben zählt die Menschheit dann, wenn sie die Möglichkeit überwindet, sich mit Kernwaffen selbst auszulöschen.

STANDARD: Apropos galaktisch. Sie lieben Kino, analysieren Filmszenen etwa aus Spiderman auf physikalische Plausibilität. Ihr Lieblingsfilm?

Oberhummer: Contact. Jodie Forster entdeckt außerirdisches Leben.

STANDARD: Wie passt Science Fiction zum Wissenschafter?

Oberhummer: Science Fiction kann uns auf neue Ideen bringen. Die Naturwissenschaft beruht auf Fortschritt, überprüft und korrigiert ihre Ergebnisse ununterbrochen selbst. Wissenschaft modifiziert, im Gegensatz zum Glauben: Der ist starr, fundamental und dogmatisch. Alles Wissen ist vorläufig, der Glaube ist statisch.

STANDARD: Darum sind Sie Atheist?

Oberhummer: Ich bin Atheist, weil man mit Wissen mehr über die Welt lernen kann als mit Glauben. Das Wissen hat längst den Glauben überflügelt: Esoterik oder Religion haben noch keine einzige Glühbirne zum Leuchten gebracht. Theologen sagen, Gott habe das Universum erschaffen. Aber wer hat Gott erschaffen? Theologen sagen, Gott erschuf sich selbst. Aber das hat das Universum auch getan, mit dem Urknall.

STANDARD: Erschafft sich das Universum selbst, so kann sich doch auch ein Gott selbst erschaffen.

Oberhummer: Das Universum können wir aber nachweisen. Gott wurde noch nirgendwo da draußen ausgemacht. Es gibt ihn nur als Fiktion im Kopf der Menschen.

STANDARD: In Ihrem Kopf gar nicht?

Oberhummer: Der Kosmos ist so riesig, ich könnte vor Freude an die Decke springen, wie toll das alles gemacht ist! So viele Welten, so viele Formen von Planeten, Sternen, Universen. Was will ich denn noch mehr? Da brauch' ich keinen Gott. Das Universum ist mir das Höchste.

STANDARD: Sie gehen ja davon aus, dass es unendlich viele Universen gibt: das Multiversum.

Oberhummer: Ja, weil man aus den Eigenschaften unseres Universums ableiten kann, dass es eine riesige Vielfalt anderer Universen gibt. Diese Theorie glauben übrigens auch junge Theologen, die sehen, dass unser Universum ein wenig schlampig gearbeitet ist. Sie meinen, Gott habe den großen Wurf gemacht und viele Universen geschaffen, unsres ist nur eins davon.

STANDARD: Dafür, dass Sie Atheist sind und sagen, dass Ihnen das Universum Gott genug ist, beschäftigen Sie sich schon viel mit Religions- und Gottesfragen.

Oberhummer: Atheisten kennen auch oft die Bibel besser als Gläubige. Zudem war ich in einem katholischen Internat in Salzburg, und aus solchen Leuten werden die besten Atheisten. Es war schlimm: Zwar kein Missbrauch, aber ständig war die Rede von Sünde, Folter, Märtyrern. Da wurden uns jungen Menschen nur die negativen und depressiven Seiten des Lebens eingetrichtert.

STANDARD: Wenn nun aber verzweifelte Menschen auf Gott setzen: Verstehen Sie das?

Oberhummer: Sicher, emotionales Glauben hilft ja auch, und jeder soll glauben, was er will. Wäre ich in Todesangst, wer weiß, vielleicht würde ich auch glauben.

STANDARD: Ich wollte nochmal kurz zum außerirdischen Leben zurück. Welche Frage würden Sie einem Außerirdischen denn stellen?

Oberhummer: "Haben Sie einen Nachweis für Gott gefunden?"

STANDARD: Sie sind also doch nicht sicher, dass es ihn nicht gibt?

Oberhummer: Man kann sich nicht ganz sicher sein. Könnte ja sein, dass wir ein Computerspiel von uns überlegenen Lebewesen sind. Für diese These spricht, dass Mensch und Erde nicht perfekt sind. Stellen wir uns also vor, da draußen gäbe es eine Olympiade von Wesen, die versuchen, möglichst tolle Universen zu kreieren. Auf dem Podest stünden wir Menschen mit unserer Erde nicht.

STANDARD: Stichwort fehlerhafte Erde und fehlbare Menschen. Sie waren Leiter des Instituts für Kernphysik der Technischen Universität Wien, wie sehen Sie die Bedrohung aus dem japanischen Atomkraftwerk Fukushima und die daraus resultierende Diskussion über die Atomenergie?

Oberhummer: Die in Fukushima frei gesetzte Radioaktivität entspricht rund zehn Prozent der von Tschernobyl. Aber verglichen mit den Verwüstungen und Opfern, die die Erdbeben und der Tsunami in Japan angerichtet und gefordert haben, ist der Schaden aus dem Atomkraftwerk gering. Und die Sache mit der Atomenergie ist eigentlich einfach: Aus wirtschaftlicher Sicht bleibt uns nichts anderes übrig als Atomenergie zu nützen, so lange niemand massiv Energie einspart.

STANDARD: Zurück zu Ihnen. Auf dem Berg in Obertauern stellen Sie aber Gipfelkreuze auf. Dafür kämpfen Sie gegen Kreuze an öffentlichen Orten. Wieso?

Oberhummer: Das war auf der Wurmwand, und das ist Brauchtum. Dagegen kann nicht einmal ich etwas haben. Ich bin gegen Kreuze in staatlichen Schulen oder Kindergärten, wo alle Kinder hingehen müssen. Das ist ein Machtsymbol der Katholischen Kirche, das ich ablehne. Aber wenn ich da oben auf dem Berggipfel stehe, dann freu' ich mich, wie toll dieses Universum ist, wie schön Berge, Natur und Erde sind. Wahrscheinlich habe ich da oben religiöse Gefühle, aber ich brauche keinen, der das erschaffen hat.

STANDARD: Waren Sie eigentlich eines der Ski fahrenden Doubles für die Beatles, die in Obertauern 1965 "Help" gedreht haben?

Oberhummer: Ich war dabei, aber kein Double. Einmal habe ich die Beatles im Wirtshaus getroffen und sogar mit ihnen geplaudert.

STANDARD: Ihre beiden Geschwister sind ja Hoteliers in Obertauern ...

Oberhummer: Die haben es zu was gebracht (lacht). Meine Mutter hat immer gesagt: "Alle bis auf dich haben's zu etwas gebracht". Damals war ich schon TU-Professor.

STANDARD: Als Sie eine Heurigenwirtin heirateten, hat's gepasst?

Oberhummer: Ja, sie sagte: "Heinz, das hätte ich dir nicht zugetraut."

STANDARD: Für Ihre Theorie von der kosmologischen Feinabstimmung hätten Sie fast den Nobelpreis bekommen. Warum denn nur fast?

Oberhummer: Weil man diese Theorie nicht experimentell nachweisen kann. Da geht es mir wie Stephen Hawking. Die Hawkingsche Strahlung, die von Schwarzen Löchern ausgeht, hat man auch noch nicht entdeckt. Ich habe errechnet, dass, wenn die Kernkraft, die den Atomkern zusammen hält, um weniger als ein Prozent anders wäre, die Sterne keinen oder wenig Kohlenstoff erzeugten. Dann gäbe es nirgendwo im Universum Kohlenstoffwesen, somit auch nicht uns.

STANDARD: Ich finde die Vorstellung so hübsch, dass wir alle aus Sternenstaub bestehen.

Oberhummer: Ja, das ist schön. Ohne die Sterne gäb's den Menschen nicht. Sagt also jemand zu seiner Liebsten: "Du bist mein Stern", dann stimmt das wirklich. Auch wenn es nicht stimmt.

STANDARD: Welche Rolle spielt das Kohlenstoffwesen Mensch im Weltbild des Astro-, Kern- und Atomphysikers Oberhummer?

Oberhummer: Der Mensch beeindruckt Physiker schon sehr. Dass so komplexe Strukturen entstehen, obwohl im Universum sonst alles der Unordnung zustrebt...

STANDARD: Tut mein Sohn auch ...

Oberhummer: Mein Schreibtisch auch. Verblüffend ist, dass das Universum Platz hat für diese hochkomplexen Lebewesen, die so viel Energie brauchen. Und das Gehirn ist eines der faszinierendsten Dinge der Evolution, und eines der tollsten Dinge am Menschen ist die Empathie, die Liebe.

STANDARD: Liebe: eine physikalische Kategorie?

Oberhummer: Insofern, als man Verliebtsein an den Gehirnströmen messen kann. Basis für Liebe sind physikalische und chemische Vorgänge. Die Liebe ist in unserem Gehirn, und gäbe es den Menschen nicht, gäbe es die Liebe nicht.

STANDARD: Sie lieben Sterne. Welcher ist Ihr Favorit?

Oberhummer: Sirius: hellster Stern am Nachthimmel. Er ist nur dreißig Lichtjahre von uns entfernt.

STANDARD: Auch nicht ganz nahe.

Oberhummer: Nein, aber der näheste Stern ist vier Lichtjahre von der Erde entfernt.

STANDARD: Wenn man in Ihren Dimensionen denkt, nimmt man da das Leben nicht ganz so tragisch?

Oberhummer: Wissen Sie, wir müssten eigentlich alle an Bewusstseinsspaltung leiden. Einerseits verstehen wir mit unserem kleinen Gehirn unser Universum bis an die Grenze. Andrerseits gibt es unendlich viele Universen, ist jeder von uns nur einer von sieben Milliarden Menschen – und trotzdem kommen wir uns sehr wichtig vor. Rational betrachtet gilt: Jeder Mensch ist eine Null. Unser Gehirn ist ein großer Schummler: Macht uns vor, wir seien wichtig.

STANDARD: Passt zur letzten Frage: Worum geht's im Leben?

Oberhummer: Es geht darum, möglichst viel zu wissen und gut zu den Menschen zu sein. Und: sich selbst nicht so wichtig zu nehmen. (Langfassung des Interviews; DER STANDARD, Print-Ausgabe, 23./24./25.4.2011)