Italiens Atomausstieg ist ein Lehrstück in Sachen Berlusconi: eine von vielen vollmundigen Ankündigungen, die sich förmlich im Nichts auflösen. Die Liste der "grandi opere", der unvollendeten oder nie begonnenen Großprojekte, die Italien zu einem modernen und konkurrenzfähigen Staat machen sollten, ist lang.

Im Jahr 2000 kündigte der Cavaliere den Bau "epochaler Werke" wie der Brücke von Messina an, die 2014 eröffnet werden sollte. Auf den Spatenstich wartet man noch heute. Der Hochgeschwindigkeitszug Turin-Lyon wartet ebenso auf seine Verwirklichung wie die Strecke Messina-Palermo oder die Autobahn Salerno - Reggio Calabria. Und zwei Jahre nach dem Erdbeben gleicht L'Aquila noch immer einem trostlosen Trümmerhaufen.

Das jetzt - zumindest vorläufig - begrabene Atomprogramm demonstriert nicht nur die Ineffizienz von Politik und Verwaltung, sondern auch die wachsenden Widersprüche im Regierungsbündnis: Die Präsidenten der von Berlusconis Allianz regierten Regionen lehnen Atomkraftwerke auf ihren Gebieten gegen den Willen des Regierungschefs kategorisch ab. Die Mitglieder der neuen Agentur für atomare Sicherheit müssen sich in einem Café treffen, weil sie über kein eigenes Büro verfügen.

"Wir haben eine neue Moral in die Politik gebracht", versicherte Berlusconi in Mailand. "Auch weil wir alle unsere Versprechen halten." Und wie sieht es wirklich aus? (Gerhard Mumelter /DER STANDARD, Printausgabe, 21.4.2011)