Ein Kiefernwäldchen in Sichtweise des Katastrophenreaktors

Foto: Universität Göttingen

Göttingen - Die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl hat offenbar zu Ausleseprozessen in der lokalen Pflanzenwelt geführt. Nach wie vor sind die im Gebiet um den Reaktor wachsenden Bäume einer enorm hohen Strahlenbelastung ausgesetzt. Forstgenetiker der Universität Göttingen haben in Zusammenarbeit mit Kollegen aus der Ukraine untersucht, wie sich die Folgen des Reaktorunfalls auf Kiefern auswirken, die nur wenige hundert Meter vom explodierten Kernkraftwerk wachsen. Dabei fanden die Wissenschafter heraus, dass die Bäume unterschiedlich auf hohe Strahlendosen reagieren; einige Kiefern wurden krank, während andere sich offenbar anpassen. Erste Forschungsergebnisse wurden in der Zeitschrift "Environmental Pollution" veröffentlicht.

Erhöhte Mutationsrate

Die Forscher untersuchten zum einen Kiefern, die bereits lange vor dem Unfall in der Nähe des Reaktors gepflanzt wurden und daher direkt nach der Reaktorkatastrophe einer extrem hohen akuten Strahlung ausgesetzt waren. Zum anderen wurden Bäume analysiert, die nach dem Unfall in unmittelbarer Umgebung des Reaktors auf extrem verstrahlten Böden gepflanzt wurden. Als Vergleichsbäume dienten jeweils gleichaltrige Kiefern gleichen Ursprungs, die in unbelasteten Gebieten der Ukraine wachsen. Wie die Wissenschafter herausfanden, wachsen die Kiefern um Tschernobyl langsamer und zeigen vielfältige Abweichungen vom normalen Wuchs eines Nadelbaums wie beispielsweise Nadelverfärbungen oder geänderte Verzweigungsmuster. Auffällig ist dabei, dass die Bäume unterschiedlich auf die Strahlung reagieren. Einige Kiefern zeigen keine oder nur geringe Krankheitssymptome, bei anderen treten diese gehäuft auf. Außerdem können sich viele Pflanzen nicht anpassen und sterben ab.

Bei den Kiefern rund um den Reaktor konnten die Forstgenetiker erhöhte Mutationsraten nachweisen. Aber auch andere genetische Prozesse veränderten sich durch die hohe Radioaktivität. So wurde bei Genen, denen eine Bedeutung für Anpassungsprozesse an allgemeinen Stress und an erhöhte Strahlung zugeordnet wird, eine erhöhte Aktivität beobachtet. Diese kann für die Pflanzenzellen einen verbesserten Schutz bewirken. Zudem fanden die Forscher heraus, dass sich die strahlungsempfindliche Erbsubstanz im Zellkern bis zu einem gewissen Grad selbst vor Radioaktivität schützen kann. "Für uns war es sehr überraschend, dass wir an vielen Regionen des großen Genoms der Kiefer Veränderungen beobachten konnten, die offenbar als Anpassung auf die erhöhte Strahlung zu sehen sind", so der Leiter des Forschungsprojekts, Reiner Finkeldey. (red)