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Die hellen Flecken zeigen Langerhans'sche Inselzellen der Bauchspeicheldrüse, die beim gesunden Menschen Insulin produzieren.

Foto: Corbis

Es wäre eine große Erleichterung für Diabetespatienten: Statt sich Insulin mit der Spritze zu verabreichten, schluckt man es. Das ist auf molekularer Ebene aber nicht leicht. Denn der Wirkstoff wird meist im Darm rascher abgebaut, als er über die Darmschleimhaut aufgenommen wird. Das Insulin gelangt so nicht in die Blutbahn und bleibt wirkungslos.

Ein Tiroler Unternehmen forscht daran, diese Hürde zu nehmen. Der mögliche Schlüssel zum Erfolg steckt in Hilfsstoffen des Medikaments. Diese bekämpfen zwar nicht Krankheit und Leiden, beeinflussen aber dessen Wirksamkeit. Konkret geht es um kettenartige Moleküle, "Polymere". Sie bilden eine schwammartige Struktur, in der der Wirkstoff steckt. Die Moleküle lagern sich an den Schleimhäuten an und diffundieren von dort passiv hindurch. Je mehr Moleküle sich an der Schleimhaut ansammeln, desto mehr gelangen in den Körper.

Moleküle als Hilfsarbeiter

Ein erfolgversprechender Weg, dies zu erreichen, sind sogenannte Thiomere, die die Tiroler Firma ThioMatrix des Pharmazeuten Andreas Bernkop-Schnürch vom Institut für Pharmazie der Universität Innsbruck erforscht. Bei den Thiomeren wird an die kettenförmigen Moleküle des Hilfsstoffs eine sogenannte Thiolgruppe angehängt. Sie besteht aus einem Schwefel- und einem Wasserstoffatom. Die Schwefelatome der Thiomere verbinden sich besonders leicht mit ebensolchen aus den Schleimhäuten. Daher konzentrieren sich diese Moleküle an der Darmschleimhaut, können vermehrt hindurchdiffundieren, und so gelangt der Wirkstoff ins Blut. Bernkop-Schnürchs Firma arbeitet derzeit mit einem Pharmaunternehmen zusammen, um ein Diabetesmittel zum Schlucken zu entwickeln. Als Wirkstoff dient dabei jedoch nicht Insulin, sondern eine ähnliche Substanz, die aber besser verträglich sein soll und weniger Probleme beim Dosieren bereitet: das Protein Glucagon-like Peptide 1 (GLP-1).

Obwohl die Ergebnisse von Bernkop-Schnürchs Firma mittlerweile internationale Aufmerksamkeit erregt haben, hätten Pharmafirmen ihm zufolge auf die Arbeit zu den Thiomeren nicht sofort begeistert reagiert. Schließlich waren die aufwändigen Produktionsabläufe für die gängigen Medikamente bereits eingespielt. Neue Technologien wie die Thiomere müssen erst mit einem hohen Aufwand an Zeit und Kosten firmentauglich gemacht werden.

Chemische Prozesse, die im Labor funktionieren, müssen auch im industriellen Maßstab klappen, und die Abweichungen bei den Eigenschaften der Produkte dürfen nur gering sein. Europäische Forschungseinrichtungen und westliche Firmen seien aber angesichts der Konkurrenz aus Asien unter Zugzwang und arbeiten nun ebenfalls an Diabetesmedikamenten zum Schlucken, sagt Bernkop-Schnürch. Im April sollen bereits eine Tropfen gegen trockene Augen auf den Markt kommen, für deren Entwicklung eine Wiener Pharmafirma ebenfalls auf seine Arbeiten zurückgegriffen hat. Denn Thiomere reagieren mit dem Sauerstoff der Luft und bilden einen künstlichen Schleim, der sich mit dem natürlichen Schleim der Augen verbindet.

Laut Bernkop-Schnürch wird derzeit erst eine Handvoll Produkte erforscht, die auf Patente seiner Firma zurückgreifen. Diese hat Bernkop-Schnürch im Jahr 2003 gegründet. Er sei durch Gründerprogramme an der Universität dazu motiviert worden. Doch Österreich habe, sagt Bernkop-Schnürch, die Sache mit den universitären Firmengründungen im internationalen Vergleich ein wenig verschlafen. Bei den ersten Gründungen hierzulande hätten Kollegen noch Kämpfe ausfechten müssen, um überhaupt eine Firma gründen und ihre Forschungsarbeiten dort verwerten zu dürfen.

Gründungen fördern

Er habe die Firma auch deshalb gegründet, erläutert Bernkop-Schnürch, weil die Kosten für die angemeldeten Patente sehr hoch seien. 100.000 Euro kämen schnell zusammen, wenn man in vielen Ländern der Welt nationale Patente halten möchte - Kosten, die sich für Forscher nur dann rechnen, wenn über die Firma auch wieder Geld ins Haus kommt.

Universitäre Firmengründen werden hierzulande finanziell gefördert. Bernkop-Schnürch zufolge ein Verfahren, das sich auch für den Staat rechnet. Er habe ausgerechnet, dass er an Steuern für seine Firma mittlerweile mehr an den Staat zurückgezahlt habe, als er an Förderung erhalten hatte. Bernkop-Schnürch und sein Team haben für ihre Arbeit in den letzten Jahren mehrere Preise erhalten, beispielsweise 2008 den österreichischen Nano-Award des Verkehrsministeriums, 2007 den Staatspreis Innovation des Wirtschaftsministeriums und 2006 den Houska-Preis, der universitäre Forschungsinitiativen fördert, die in Unternehmen umgesetzt werden.

Der Houska-Preis 2010 wird am 28. April 2011 im Museumsquartier in Wien vergeben. (Mark Hammer, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20. April 2011)