Der Terrorrabe oder: Komik als Waffe gegen eine alarmistische Öffentlichkeit: In Chris Morris' "Four Lions" wählt eine britische Terrorzelle merkwürdige Angriffsmittel. Ab Freitag im Kino.

Foto: Polyfilm

Chris Morris sucht die Komik des Begreifens.

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Wien - Als am 7. Juli 2005 in London vier Bomben explodierten und 56 Menschen bei einem islamistischen Anschlag starben, sah England sich mit der verdrängten Realität radikaler Muslime im Land konfrontiert. Eigentlich würde man nicht erwarten, dass diese Ereignisse jemals den Stoff für eine Komödie abgeben könnten. Doch der britische Fernsehautor Chris Morris hat mit Four Lions genau das gemacht: einen Film, der Jihadisten der Lächerlichkeit preisgibt. Im Interview erweist sich der unerschrockene Erfinder haarsträubender Pointen als grundvernünftiger Mann. Die Komödie ist für ihn ein Genre geschärfter Realitätswahrnehmung.

Standard: Welche Rolle spielten die Ereignisse in London 2005 für Ihren Film?

Morris: Keine unmittelbare, denn ich hatte schon davor an diesem Projekt gearbeitet. Wenn man sich in das Thema des militanten Islams und vor allem Al-Kaida einliest, dann stößt man unweigerlich auf komische Ereignisse. Nehmen Sie zum Beispiel eine Gruppe Jihadisten aus dem Jemen, die ein Boot mit Sprengstoff gefüllt hatten, mit dem sie ein Schiff angreifen wollten. Sie stehen um drei Uhr morgens am Ufer und müssen mitansehen, wie ihr Boot untergeht. Oder nehmen wir Khaled Sheik Mohammed, den Kopf hinter den Anschlägen von 9/11, und zugleich ein Mann, der vor einem Interview eine geschlagene Stunden nach Gewändern sucht, die ihn nicht dick aussehen lassen, und der dann im Interview den Koran ständig falsch zitiert. Leute, von denen wir nur ein sehr beschränktes Bild haben, wirken plötzlich sehr menschlich. Darin liegt ein Moment des Begreifens - neben dem Witz.

Standard: Sie haben sehr viel recherchiert - und sind am Ende bei einer fast klassischen Viererzelle angekommen. Wie kam das zustande?

Morris: Durch Beobachtung und Verallgemeinerung. In solchen Gruppen gibt es Anführer und Mitläufer. Es gibt einen Typus, den man oft trifft: der militante Konvertit. Da gibt es eine bestimmte Geisteshaltung, die wir in Barry verkörpert sehen. Ihm ist jede radikale Ideologie recht, solange sie destruktiv ist. Ich habe Leute von der extremen Rechten zum Islam stoßen sehen. Andererseits gibt es Leute wie Omar, die gute Gründe haben. Der Anführer der "London Bombers" hatte ein ähnliches Selbstbild.

Standard: Omar hat Frau und Kind, das ergibt eine besondere Form von Komik.

Morris: Nun, manche dieser Leute sind eben verheiratet, und da möchte man auch wissen, wie das nach Feierabend weitergeht. Es ist ein Mythos, dass radikale Muslime immer nur isolierte junge Männer sind. Was erzählt ein Jihadist zu Hause? Der Leader der London Bombers filmte sich selbst und sprach für seine neun Monate alte Tochter, als er seinen Entschluss begründete, nach Afghanistan zu gehen: Ich muss tun, was ich tun muss. Das drückt, wenn man die richtige Musik unterlegt, auf die Tränendrüse wie in einem Hollywoodfilm.

Standard: Inwiefern lässt sich "Four Lions" auf frühere Arbeiten von Ihnen beziehen, in denen Sie die britischen Medien stark aufs Korn genommen haben?

Morris: Mein Prinzip ist: Ich mache etwas lächerlich, um Autorität zu unterminieren. Im Falle von Four Lions geht es gegen einen bestimmtem Mainstream des Umgangs mit dem radikalen Islam, in dem sich Ignoranz mit Didaktik unheilvoll vermischt. Four Lions ist komisch, weil er real ist - und gerade deswegen den Erwartungen zuwiderläuft.

Standard: Wie entsteht nun aber konkret die Komik? Es geht dabei ja doch um Zuspitzung?

Morris: Ja, aber die entsteht daraus, dass man Sachen genau durchdenkt. Wie läuft man eigentlich, wenn man vollbeladen mit Sprengstoff ist? Da muss man ja jede Erschütterung vermeiden. Man muss also wie ein olympischer Geher laufen, und damit hatten wir eine sehr konkrete komische Szene. Andere entwickeln sich aus der Bildlichkeit der religiösen Rede: Das Herz weiß um die Wahrheit, der Teufel flüstert das Falsche in den Kopf. Was nun aber, wenn Waj plötzlich im Herzen verspürt, dass es falsch ist, was sie tun? Dann muss der Teufel die Organe vertauscht haben, anders lässt es sich nicht erklären.

Standard: Zentrales Motiv im Film ist die Idee eines Anschlags auf eine Moschee - also Terrorismus, der sehr um die Ecke gedacht ist.

Morris: Dahinter steckt etwas ganz Klassisches: Denn was macht ein Agent Provocateur denn sonst? Ein Anschlag auf eine Moschee würde die Muslime zu den Waffen rufen. Es hat etwas Komisches, wenn Barry das vorschlägt, aber wenn man es genau durchdenkt, hat es seine Logik. Omar sagt immer: Es muss etwas Unvergessliches sein, es muss in die Geschichte eingehen. Wir dürfen nicht vergessen: Terrorakte müssen auch "verkauft" werden, und heute stehen sie unter dem Druck des ikonischen Ereignisses von 9/11.

Standard: Interessanterweise hat "Four Lions" bisher keinen neuen Karikaturenstreit ausgelöst.

Morris: Viele Muslime mögen den Film, weil er nichts beleidigt, was ihnen wirklich wichtig ist. Ich beleidige ja nicht die Religion, dies ist eine Satire auf eine verblasene Ideologie, die mit der Religion nichts mehr zu tun hat. Die Karikaturen wurden ausdrücklich als Provokation veröffentlicht und nachgedruckt, sie stellten eine Herausforderung dar und wurden auch als solche angenommen. Four Lions fordert nicht die Muslime heraus, sondern unseren massenmedialen Mainstream. (Bert Rebhandl/DER STANDARD, Printausgabe, 20. 4. 2011)