Die griechische Regisseurin Athina Tsangari bekam für "Attenberg" den Hauptpreis.

Foto: Frauenfilmfestival Dortmund Köln 2011

Die Kampstraße ist eine Geschäftsstraße im Herzen Dortmunds. Doch wo auf den breiten Gehwegen sonst steinerne Ödnis herrscht, stand am Wochenende ein Kastenwagen mit Solarmodul, daneben waren Stühle und Arbeitsflächen aufgestellt, Teppiche lagen auf dem Boden. Dazwischen werkeln meist junge Leute an Fahrrädern oder Blumentöpfen. PassantInnen machen vorsichtig einen Bogen. Andere aber schauen sich die Sache genauer an und finden auf einem Schild am Boden die Ursache der Wegelagerei.

"Internationales Frauenfilmfestival Köln/Dortmund" steht da. Die Macherinnen des bedeutendsten deutschen Frauenfestivals haben sich mit der "Oase in Beton" eine neue öffentliche Spiel- und Aktionsstätte geschenkt, um gemeinsam mit dem §Labor für sensorische Annehmlichkeiten" den urbanen Raum jenseits der Festivalkinos zu erobern. Ein kluger Schritt, der das Festival nicht nur regional vernetzt, sondern auch von der Verortung in den wenig inspirierenden und mittlerweile von bürgerlichen Politikformen okkupierten Debatten um Quotierung etc. befreit.

Seit 2006 findet die aus den traditionellen Festivals Femme Totale (Dortmund) und Feminale (Köln) fusionierte Veranstaltung alternierend in beiden Städten statt. Dabei sind neben einem Wettbewerb für Spielfilmregisseurinnen (Attenberg von Athina Tsangari erhielt den Hauptpreis) und dem weltweit einzigen Preis für Bildgestalterinnen (Eva Maschke und Hanne Klaas) jeweils ein regionaler (Köln) und ein thematischer Schwerpunkt (Dortmund) zentrale Komponenten.

Der heißt dieses Jahr "Was tun - Filme zur Situation" und trifft sich mit dem politisierten Lebensgefühl vieler nach Banken- und Atomcrash. Doch im Unterschied zu anderen oft symbolischem Goodwill und Agitprop geopferten Veranstaltungen gelang Kuratorin Betty Schiel ein Programm, das praktische Möglichkeiten des Eingreifens und der Veränderung untersucht und reflektiert und damit trotz fehlenden Fragezeichens gar nicht so weit von Lenins Vorlage entfernt ist.

Utopische Zustände

Guerilla-Gardening-Workshops also und Vorträge in Aktionismus. Selbstverständlich gab es auch Kino, auch einige der üblichen Awareness-Filme wie Kim Longinottos Pink Sari, der den Kampf indischer Aktivistinnen gegen Frauenmisshandlungen dokumentiert. Interessanter aber die Arbeiten, die nicht fremde Kämpfe heroisieren, sondern Verhandlungs- und Willensbildungsprozesse in ganz unterschiedlich verrechteten Räumen untersuchen.

So das kamerunische Dorf Koundi, wo die BewohnerInnen autonom Waldwirtschaft und offene Streitkultur betreiben und als nachhaltige Zukunftsinvestition gemeinsam ein Kakaofeld roden. Regisseurin Ariane Astrid Atodji war selbst von den utopischen Zuständen bezirzt, gibt aber in "Koundi et le jeudi national" (Publikumspreis) auch den Schattenseiten des Dorflebens Raum.

In Wistful Wilderness beschreibt Digna Sinke ein europäisches "Zukunftsprojekt", das bewusst Ackerfläche vernichtet: Ein landwirtschaftlich genutzter Polder vor der niederländischen Küste wird mit immensem bürokratischen und materiellen Aufwand in eine "renaturalisierte" Touristenattraktion verwandelt.

EU-Gelder flossen auch in den Umbau der ehemaligen Union-Brauerei in ein kolossales Kulturzentrum in Dortmund, das neben diversen Ausstellungsräumen mit dem "RWE-Forum" auch einen Kinosaal beherbergt. Dass auch der Hauptpreis des Festivals von dem in Dortmund ansässigen Atomstromriesen gesponsert wird, steht in pikanter Dissonanz zum Festivalschwerpunkt und anderen Partnern wie Greenpeace.

Der Protest blieb bisher aber auf ein paar Flyer in den Festivalkinos beschränkt. So sieht europäische Kulturpolitik eben ganz konkret aus: Widersprüche, die sowohl Festivalbetreiber wie RWE aushalten müssen, wie Leiterin Silke Räbiger betonte.

Es gab auch unerwartete Konvergenzen. So fand die erstmalige Verleihung eines Dokumentarfilmpreises für ein Lebenswerk an die widerständige Dokumentarfilmerin Helga Reidemeister ein schönes Spiegelbild in einem Kurzfilmprogramm mit herrlich kämpferischen Filmheldinnen aus den 10er-Jahren des letzten Jahrhunderts. Solche Synergie-Effekte sind neben der Vernetzung der größte inhaltliche Mehrwert einer solchen Veranstaltung.

Am Sonntagabend zeigte sich allerdings auch die Relativität frauenbewegten Tuns. Da spielte nämlich Liga-Favorit Borussia Dortmund im heimischen Westfalenstadion. Im Unterschied zum 100m2-Camp in der Kampstraße dominierten die Fans flächendeckend die Stadt. Da bleibt noch einiges zu tun. (Silvia Hallensleben aus Dortmund/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 20.4. 2011)