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Ein junger Mann hält bei einer Zeremonie zum Jahrestag der "Operation Sturm" in Knin ein Foto seines Vaters, der während des Kriegesgetötet wurde. In der kroatischen Stadt versteht kaum einer das Urteil des Haager Tribunals gegen Ex-General Ante Gotovina.

Foto: AP/Horvat

Von den Verbrechen an der serbischen Bevölkerung will man nichts wissen.

"Er ist nicht nur wie Superman, er ist wie Superman und Batman in einem", sagt Ante S. über seinen Namensvetter Ante Gotovina, den ehemaligen kroatischen General, der vergangene Woche vom Haager Kriegsverbrechertribunal zu 24 Jahren Haft verurteilt wurde. In Knin ist der große Ante nicht nur beim kleinen Ante der größte Held. In dem Kiosk vor den Cafés auf dem Hauptplatz gibt es Zeitungen, auf denen Rosenkranz betende Kroatinnen zu sehen sind, die das Urteil beweinen.

Auch Ante, 19 Jahre alt, der eine Landwirtschaftsschule besucht, und sein Freund Stipe, 20 Jahre alt, sind "zornig, traurig, enttäuscht". Weil "Gotovina nur unser Land und unsere Leute verteidigt hat", weil das "Urteil alle Kroaten beleidigt", weil Gotovina von der Regierung "verkauft wurde, damit Kroatien der EU beitreten kann". Und das, obwohl seine Operation Sturm 1995 "eine der strategisch besten Schlachten in der Geschichte der Menschheit" war. Das wisse doch jedes Kind.

Kampf um die Deutung

Und die Plünderungen, Morde, Vertreibungen von zehntausenden Krajina-Serben? "Das kann ich nicht glauben", sagt Ante. Stipe wirft ein, dass seine Großmutter von serbischen Soldaten in einen Brunnen geworfen worden sei. In Knin ist es nicht anders als irgendwo sonst in Ex-Jugoslawien: Wenn es um Kriegsverbrechen geht, beginnt jede Seite sofort mit der Aufrechnung. Das Leid der anderen wird nicht anerkannt, um jeden Zentimeter Geschichtsdeutung gekämpft. Das Gotovina-Urteil verstört besonders in Knin das Bild vom Befreiungskrieg der Kroaten.

"Vor dem Urteil war alles klar", sagt Ante. "Da waren die Serben die Aggressoren und wir haben uns verteidigt – jetzt ist gar nichts mehr klar." Serbische Studienkollegen hätten Kroaten bereits verlacht. Wenn Ante jetzt einen Serben sehe, bekomme er Wut. Wie lange die Wut bleiben wird? Er überlegt: "Ein paar Tage schon."

Das Gotovina-Urteil könnte nachhaltiger wirken. Bislang waren Ante und Stipe stolz auf ihre Väter, die Knin "verteidigt" haben. "Ohne sie und Gotovina wäre hier wahrscheinlich Serbien", meint Ante. Jetzt, nach dem Urteil, fürchtet er, könne man beginnen, schlecht über Knin zu sprechen.

Knin war während des Kroatienkrieges von 1991 bis 1995 unter serbischer Kontrolle und die Hauptstadt der damals von vor Ort lebenden Serben proklamierten Republik Serbische Krajina (RSK), die zeitweise bis zu einem Drittel des kroatischen Staatsgebietes ausmachte. In Knin waren 80 Prozent der Bevölkerung serbisch. Heute ist das Verhältnis umgekehrt.

Am 4. und 5. August 1995 wurde Knin unter dem Kommandanten Gotovina unter Beschuss genommen. Die großteils serbischen Zivilisten flohen, weil sie gar keine andere Chance hatten. Das Gericht in Den Haag spricht von Deportation.

Vom Krieg sind in Knin nur mehr ein paar Einschusslöcher zu sehen. Leute gehen mit Olivenbaumzweigen in der Hand vom Palmsonntagsgottesdienst nach Hause. Auf den Häuserwänden ist "Hajduk Split" oder "Gebt uns Geld" zu lesen. Der Flieder blüht, die Arbeitslosigkeit ist immens, nach dem Krieg hat Knin den Anschluss an größere Städte wie Split und Zadar nicht geschafft. Nach der Deportation der Serben kamen tausende kroatische Flüchtlinge aus Bosnien in die leer stehenden Wohnungen. Die Stadt war wieder voller Leute, aber ist eine ganz andere geworden.

"Gotovina war moralischer"

"Ich hatte so viele Freunde hier vor zwanzig Jahren", erzählt Paško (Name von der Red. geändert). "Wenn ich heute durch die Straßen gehe, sehe ich niemanden, zu dem ich ‚Hallo' sagen kann." Paško lehnt an der Mauer der Festung, die über der Stadt thront. Er erinnert sich an all die Mädchen, mit denen er in seiner Jugend hier heroben war. "Ich wollte nie Soldat werden", sagt er. Als der Krieg kam, fand er sich in einer Uniform wieder. "Das Schlimmste ist, dass ich noch immer Soldat bin", meint der Mann, der gerade von einem Afghanistan-Einsatz bei der Isaf zurückgekehrt ist. Paško überlegt, ob er nun mit 38 Jahren in Pension gehen soll. Möglich wäre das.

Er hat im Kroatien-Krieg "viel Bullshit" gesehen und versteht nicht, weshalb Gotovina verurteilt wurde und kein Soldat. "Gotovina war viel moralischer als ich, er hat immer erklärt, weshalb er was tut." Er, Paško, habe aber keinen Hass gegen Serben, obwohl er gegen sie gekämpft hat. "Hass ist wie Liebe, beide vergehen von selbst", sagt er. Dann wirft Paško sein Fernrohr über die Festungsmauer. (Adelheid Wölfl aus Knin/DER STANDARD, Printausgabe, 19.4.2011)