Bild nicht mehr verfügbar.

Glücksindex nach pakistanischer Version: Hochwasseropfer Mohammed Yusuf (80) hat soeben ein Zelt für seine Familie erhalten.

Foto: Reuters

Würden Sie sagen, dass Ihr Leben einen Zweck verfolgt? Haben Sie vieles, worauf Sie stolz sind? Würden Sie gern woanders leben? Mit solchen und ähnlichen Fragen sehen sich in diesen Tagen viele Briten konfrontiert.

Ergänzend zur jüngsten Volkszählung fragt das nationale Statistikamt ONS rund 200.000 Bewohner der Insel nach ihrem Wohlbefinden. Die US-Firmen Gallup und Healthways präsentierten jetzt das erste britische Quartalsergebnis ihres Glücksindex WBI (Well Being Index). John Copps vom Thinktank NPC, der Kindern und Jugendlichen die oben angeführten Fragen stellt, fasst den Sinn der diversen Initiativen prägnant zusammen: "Wir wollen Gefühle in Zahlen fassen."

Dass das Wohlbefinden einer Nation nicht unbedingt mit Wirtschaftswachstum einhergeht, beobachten Wissenschafter schon seit längerem. Auf der Insel machte erstmals Professor Richard Layard von der London School of Economics (LSE) Schlagzeilen mit der Idee eines Glücksindex, vergleichbar dem rein wirtschaftlichen Parameter des Bruttoin-landsprodukts (BIP).

Cameron biss an

Bei Labour-Premier Tony Blair, der Layard ins Oberhaus beförderte, konnte der Ökonom damit nicht landen. Doch dessen konservativer Nachfolger David Cameron interessiert sich für das Thema. Im Herbst ermunterte der Regierungschef das ONS sowie Stiftungen und Thinktanks zur Debatte über den Glücksindex. Natürlich bleibe die Schaffung von Arbeitsplätzen "erste Priorität" seiner Regierung. Der Glücksindex werde aber über die reinen Wirtschaftsdaten hinausweisen: "Wir wollen unsere Arbeit an all den Themen ausrichten, die unser Leben lebenswert machen."

Da neben Cameron auch Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy und die kanadische Regierung Interesse am Wohlfühl-Index angemeldet haben, gibt es erste kommerzielle Ansätze. Der Gallup-Healthways-WBI geht dem emotionalen Haushalt der Befragten in verschiedenen Aspekten auf den Grund: Gefragt wird nach der Selbsteinschätzung des eigenen Lebenswertes, Gesundheitsfaktoren wie ausreichende Bewegung und Fitness, psychisches Gleichgewicht und Arbeitswelt.

Amis fühlen sich besser

Dem ersten Quartalsergebnis zufolge stufen sich 49 Prozent der Briten als erfolgreich (thriving) ein, der Anteil sinkt mit zunehmendem Alter. Gerade einmal 42 Prozent melden ein "kollegiales Verhältnis" mit ihrem Vorgesetzten. Im Vergleich zu den Amerikanern erfreuen sich die Briten besserer Gesundheit, stufen ihr eigenes Wohlbefinden insgesamt aber deutlich niedriger ein.

Das entspricht gängigen Klischees: Glücklich zu sein gilt im Mutterland ironischer Selbstdistanz als unfein. Sollen doch die Amerikaner ihrem "Streben nach Glück" (pursuit of happiness) nachgehen, das sie einst zur Begründung ihrer Unabhängigkeitserklärung anführten.

Diese Einstellung will nun Glücksprophet Layard gemeinsam mit Blair-Biograf Anthony Seldon und Geoff Mulgan von der Young-Stiftung ändern: Das Trio hat eine neue Organisation mit dem schönen Namen Action for Happiness gegründet. Sie soll, wie es bei der offiziellen Vorstellung in London hieß, "eine globale Massenbewegung für tiefgreifenden kulturellen Wandel" werden.

Die 4500 Mitglieder aus 60 Ländern sollen mit kleinen persönlichen Schritten mehr Frohsinn weltweit erzeugen. Mitgliedsbeiträge oder Clubversammlungen gibt es nicht, aber eine Art Gelübde: "Ich verspreche zu versuchen, mehr Glück in die Welt zu bringen und weniger Trübsal." Das wirkt ein bisschen wie eine Mischung aus Pfadfindern und Pfingstlergemeinde, hat aber, wie die Initiatoren beteuern, weder religiöse noch kommerzielle oder politische Ambitionen. Auf Zyniker sei man eingestellt, sagt Layard: "Aber die Kritiker haben keine Alternative anzubieten."

Zyniker gibt es im Land des Nieselregens tatsächlich reichlich, über Premier Cameron ergossen sich Kübel von Spott. Der Regierungschef wolle nur vom brutalen Sparprogramm der konservativ-liberalen Koalition ablenken, lautete der Vorwurf. Thinktanker Mulgan mahnt Cameron zwar, nun "Schlussfolgerungen für die praktische Politik zu ziehen". Der Glücksindex selbst stehe zwar derzeit noch in der Kritik, werde aber schon in einigen Jahren selbstverständlich sein.

Bhutans Bruttonationalglück

Im Himalaya-Königreich Bhutan ist er das schon seit mehr als drei Jahrzehnten: als "Bruttonationalglück", das der damalige König Jigme Singye Wangchuk Anfang der 1970er-Jahre als wichtigstes Entwicklungsziel des Landes formulierte. Es misst neben der wirtschaftlichen Entwicklung auch Faktoren wie die Lebenszufriedenheit der Menschen, den Schutz kultureller Werte und der Umwelt. Dazu kann jede und jeder beitragen. Beispiel: Wer in Bhutan einen Baum fällt, muss zwei Bäume nachpflanzen. (Sebastian Borger, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19.4.2011)