Benghasi - Die Lage der Menschen in der seit sieben Wochen eingekesselten libyschen Rebellenbastion Misrata wird immer dramatischer. Soldaten von Machthaber Muammar Gaddafi nahmen die Küstenstadt am Montag nach Angaben von Aufständischen den fünften Tag in Folge unter Raketen- und Artilleriebeschuss. Der Hilfsorganisation IOM gelang es dennoch, knapp 1000 überwiegend geschwächte und dehydrierte Menschen mit einem Schiff aus der Stadt zu schaffen. "Wir wollten mehr Menschen rausholen, aber es war nicht möglich", sagte der Einsatz-Leiter Jeremy Haslam. Der Beschuss Misratas sei nur für kurze Zeit unterbrochen worden.

Größtenteils handelt es sich bei den Geretteten um Migranten aus Ghana, den Philippinen und der Ukraine, aber IOM zufolge auch um 100 Libyer, darunter ein Kind mit einer Schussverletzung im Gesicht. Niemand habe eine Vorstellung von dem Ausmaß dessen, was sich in Misrata abspiele, sagte die Nothilfekoordinatorin der Vereinten Nationen, Valerie Amos, bei einem Besuch der Rebellenhochburg Benghasi. Die Stadt im Osten Libyen ist auch Ziel des von der Internationalen Organisation für Migration gecharterten Schiffs. "Wir haben ein sehr, sehr kleines Fenster, um alle rauszubekommen. Wir haben nicht den Luxus von Tagen, sondern Stunden", sagte Pasquale Lupoli von IOM. "Und die Migranten, die noch in Misrata sind, können so nicht viel länger überleben." Bereits am Freitag hatte die Organisation 1200 Menschen aus der strategisch wichtigen Stadt - es ist die westlichste Hochburg der Aufständischen - mit einem Schiff gerettet.

 

"Wir wollen Waffen"

Eine Entspannung des Konflikts deutete sich trotz der Nato-Luftangriffe nicht an. Allein durch die Angriffe am Sonntag in Misrata seien 25 Menschen getötet und etwa Hundert verletzt worden, die meisten von ihnen Zivilisten, sagte ein Rebellen-Sprecher. Auch Adschdabijah nahmen die Gaddafi-Truppen zum Wochenauftakt abermals ins Visier. "Die Lage ist nicht sehr gut", sagte ein 25-jähriger Aufständischer. "Wir wollen Waffen, moderne Waffen", forderte ein 21-jähriger Mitstreiter. "Wenn wir die hätten, dann könnten wir gegen (die Gaddafi-Truppen) vorrücken."

Die Rebellen wollen von Adschdabija aus versuchen, den Ölhafen Brega zurückzuerobern. Einen Monat nach Erteilung des UN-Mandats zum Schutz von Zivilisten haben die Aufständischen aber bislang dauerhaft keinen Boden im Kampf gegen Gaddafi gutmachen können. Auch die Luftangriffe internationaler Streitkräfte haben den Aufständischen noch keine entscheidenden Vorteile verschafft. Experten sprechen von einer Patt-Situation. Die Nato hat zwar angekündigt, bis zum Sturz Gaddafis weiterzukämpfen. Den Einsatz von Bodentruppen schließen westliche Staaten jedoch strikt aus.

Gaddafis Sohn Saif al-Islam unterstrich, dass sich die Führung Libyens im Recht sieht. Die Welt habe einen Krieg mit dem nordafrikanischen Land basierend auf nichts anderem als Grüchten und Propaganda begonnen, sagte er der "Washington Post". Sobald man sich der "Terroristen und bewaffneten Milizen" entledigt habe, werde "alles gelöst". Die Regierungstruppen machten Jagd auf "Terroristen" in Misrata, so wie das seinerzeit die US-Truppen in Falludscha im Irak-Krieg getan hätten. "Das ist exakt das Gleiche." Die libysche Armee habe keine Zivilisten getötet. "Das ist nicht passiert. Es wird nie passieren."

Der in London ausgebildete Sohn Gaddafis galt einst als potenzieller Reformer. Doch seine Äußerungen legten nahe, dass sein Vater trotz des internationalen Drucks nicht vorhat, Kompromisse zu schließen. Die Rebellen haben erklärt, eine Lösung des Konflikts sei nur möglich, wenn Gaddafi und seine Familie künftig keine Machtrolle mehr innehaben. (Reuters)