Die Begrüßung ist angemessen für die Besucher des Bauernhofes von Andreas Gugumuck in der Rosiwalgasse 44. Hier eröffnet sich das Reich der "Wiener Schnecke". Durch eine Geschichte im "Rondo" ist Gugumuck 2007 auf die Weinbergschnecke gekommen. Er begann zu recherchieren, entdeckte das Schneckenkochbuch von Gerd W. Sievers und eine lange Schneckentradition in Wien, die mit dem Aussterben der Weinbergschnecke und dem Artenschutzgesetz in den 1980er-Jahren ein Ende gefunden hatte.

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Bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts war Wien eine Hochburg für Schneckenliebhaber. 1858 findet man sie im Katharina Prato-Kochbuch in der Rubrik ,"Andere Fastenthiere" neben Hummer, Krebsen und Austern, denn die Helix Pomatia galt mehr als Fisch denn als Fleisch. Am Schneckenmarkt hinter der Peterskirche konnte man sie gekocht und gezuckert als "Wiener Auster" im Stanitzel erstehen.

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Gugumucks Interesse war geweckt, Grund und Boden vorhanden. Der Wirtschaftsinformatiker übernahm die seit 400 Jahren im Familienbesitz befindliche Landwirtschaft von Großmutter Leopoldine in Rothneusiedl im Nebenerwerb. Im Herbst 2007 begann er mit den Investitionen. Die ersten Schnecken - Helix Pomatia und ihre gefleckte Verwandte Helix Aspersa - wurden aus französischer Zucht importiert. Auf der 1.200 Quadratmeter großen Weide fanden sie zwischen Klee, Raps, Mangold, Fenchel und Thymian eine neue Heimat.

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Sachte lüftet Gugumuck den Deckel der Holzkiste und setzt die Helix Pomatia einem milden Frühlingslüfterl aus. "Im Spätherbst verschließen sie ihre Hausöffnung mit einem Kalkdeckel, der Schutz vor dem Frost bietet", weiß der Begründer der "Wiener Schnecke". Im Freien gräbt sie sich bis zu zwei Zentimeter ins Erdreich ein und überdauert so den Winter. Bis zu zehn Jahre alt kann sie in der Zucht werden.

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2009 wurde Gugumuck mit dem Innovationspreis der Jungbauern ausgezeichnet. Er sagte sich: "Du kannst nur wissen, ob es funktioniert, wenn du es im Vollerwerb machst" und widmete sich von da ab ausschließlich seiner Passion. Auch heute, nach zwei Jahren intensiver Aufbauarbeit, bezeichnet Gugumuck seine Arbeit als "Hobby".

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Derzeit ist der Schneckenzüchter mit dem Umbau des ehemaligen Schweinestalls in ein Liebesnest für seine Weinbergschnecken beschäftigt. Damit soll die Kaviarproduktion angekurbelt werden, denn die Nachfrage seitens der Gourmetszene steigt. Schneckenkaviar ist transparent naturweiß und schmeckt nach frischer Erde, Moos, Spargel, Gras oder schwarzen Ribiseln. Für 30 Gramm bedarf es der Jahresleistung von fünf bis sechs Weinbergschnecken.

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Die Wiener Schnecke ist Mitglied der Slow Food-Bewegung und für Gugumuck eine Verkörperung des Entschleunigungsgedankens, "auch wenn sie ganz schön schnell werden kann, vor allem bei Regen." Damit sich die Schnecken nicht auf die nachbarlichen Gärten ausbreiten und sich umgekehrt Schädlinge wie Wühlmäuse nicht an der Zucht vergreifen, hält Gugumuck alle Beteiligten mit einem elektrischen Zaun von angemessener Spannung in Schach.

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"Namen gebe ich ihnen keine, aber meine Schnecken sind für mich mehr als ein Produkt", antwortet Gugumuck auf die Frage nach der Beziehung zu den rund 100.000 Weichtieren. Ihr Leben verläuft in ökologischer Freilandhaltung, auch ihr Tod gestaltet sich artgerecht. Zwei Mal im Jahr, im Mai und Oktober, werden die Schnecken "geerntet" und fünf Tage lang in Kisten "entlüftet". Dabei entleeren sie ihren Darm und fallen in die natürliche Trockenstarre. In diesem schlafenden Zustand werden sie in wallend kochendem Wasser in Sekundenschnelle abgetötet. Die Garzeit beträgt drei Stunden.

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Die Abfüllung in Gläser überlässt Andreas Gugumuck der Pastetenmanufaktur Hink. Schnecken im Weißweinfond, Schneckenleber und -kaviar sind die Ergebnisse. Der umtriebige Unternehmer setzt auf Kooperation statt Konkurrenz und bezieht zwei Favoritner Nachbarn in die Produktion ein: Die Schneckenleber bettet er in Erwin Gegenbauers kaltgepresstes Sonnenblumenöl und in René Ringsmuth hat er seinen persönlichen Schneckenkoch gefunden.

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Ringsmuth bringt in seinem gleichnamigen Edel-Wirtshaus die Wiener Schnecke in Form einer Trilogie unter die Gäste. Mit Schneckengulasch, Schneckenbeuschel und Schneckenkrenfleisch erkocht er der Helix Pomatia einen Ehrenplatz inmitten österreichischer Klassiker.

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Und so präsentiert sich die fertige Schneckentrilogie.

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Die Belebung der regionalen Vielfalt und die Rückeroberung ihres Platzes in der österreichischen Küche will Gugumuck mit seiner Wiener Schnecke erreichen. Immerhin 70 Küchenchefs - darunter Christian Domschitz, Johanna Maier und Walter Eselböck - hat er nach nur drei Jahren Aufbauarbeit dazu motiviert, an neuen Schneckenrezepten zu feilen. Derzeit lässt Gugumuck die "Fastenschnecke" gemeinsam mit den Köchen von gut einem Dutzend österreichischer Restaurants wieder aufleben. Bis zum 22. April dauert die Aktion. Von 6. bis 8. Mai ist er am Wiener Genussfestival im Stadtpark präsent. 

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Online:

Wiener Schnecke: www.wienerschnecke.at
Gugumucks Onlineshop: www.schneckenperlen.com
Schneckenkochkurse mit Erich Bauer: www.artcooking.at

(Eva Tinsobin, derStandard.at, 19.04.2011)

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