ÖVP-Hochburg Radlbrunn, Epizentrum der Pröll-Dynastie: "Der Erwin ist halt ein kleiner Diktator."

Foto: STANDARD/Scheuch

Johann Gartner zeigt das Display seines Handys. Herzlich hat sich der Sepp bedankt, so wie er das immer tat, wenn ihm der Hans ein SMS geschickt hat. Gartner war unter den ersten, die Josef Pröll am Mittwoch zum Rücktritt gratulierten. Nicht nur dafür, dass der Vizekanzler auf seinen Körper und Ehefrau Gabi gehört hat. Sondern weil er endlich jenen den Krempel hingeschmissen habe, "die immer nur seine Gutmütigkeit ausgenützt haben" .

Gartner hat Prölls Abgang mit den Augen des Insiders beobachtet. Seit zwölf Jahren ist er Bürgermeister von Ziersdorf, einer Weinviertler Ortschaft, wo Silos wie Kathedralen in den Himmel ragen. Weil zu den neun Kleingemeinden unter seiner Ägide auch das Pröll'sche Epizentrum Radlbrunn zählt, hat der massige ÖVP-Mann Einblick in das Innenleben von Niederösterreichs berühmtester Politikerdynastie. Gartner muss deshalb lachen, wenn Medien den Onkel als Förderer des Neffen darstellen: "Unter Mentor verstehe ich etwas anderes. Der Josef hat gelitten wie ein Hund, doch da ist nie ein Hölzl gekommen."

Respekteinflößend schaut Landesvater Erwin vom Porträt hinter dem Schreibtisch, aber Gartner nimmt sich kein Blatt vor den Mund. "Fulminant" sei Josef Pröll gestartet, "doch die Aufbruchstimmung haben sie ihm flott ausgetrieben" . Für die Bremser hält er Beamtengewerkschafter, Bündechefs, Landespolitiker - "all jene, die erste Reihe fußfrei Reformen fordern, selbst aber nicht nachgeben. Und dazu zählt auch unser Landeshauptmann, der sich ja viele Verbalattacken geleistet hat."

Wer in Radlbrunn nach den Hintergründen der ÖVP-Krise fragt, kommt an der Beziehungsgeschichte der beiden Prölls nicht vorbei. Begonnen hat diese am Küchentisch eines graugetünchten Weinbauernhofes, wo der Neffe dem Onkel in jungen Jahren beim Politisieren zuhörte. Während sich Josef Pröll mittlerweile mehr als Wiener fühlt, wohnt Erwin immer noch im zwischen Feldern und Weinbergen, Bildstöcken und Hochspannungsmasten eingebetteten 400-Einwohner-Dorf - gleich neben einem Geschäft mit der Aufschrift "Autoverwertung Scheuch" . Seit die zwei Greißler und Wirtshäuser zugesperrt haben, ist dies der einzige Ort, wo man Radlbrunnern wochentags über den Weg laufen kann.

"Richtig beweisen hat er's nicht können, der Pepi" , sagt ein Mitvierziger im ÖBB-Kittel, der sich gerade einen Luftfilter für seinen VW holt: "Dafür sind ihm die Granden in den Ländern zu sehr auf die Zehen gestiegen. Der Erwin ist halt ein kleiner Diktator." Für den Neffen sei das nicht erfreulich gewesen - für die Region, wo sich der Landeshauptmann für jeden einzelnen Arbeitsplatz hineinhaue, hingegen schon.

"Es gibt keinen besseren als den Erwin" , ergänzt Geschäftsinhaberin Eva Scheuch. Vom Personal der Bundesregierung behauptet das hier niemand. Europapartei ÖVP? Damit fangen die beiden Radlbrunner wenig an. "Wir sind doch die Hinternkräuler der EU" , schimpft der Eisenbahner und zitiert die jüngste "dumme" Vorschrift aus Brüssel: Stets hätten die Ortsbürger Bauschutt im alten Ölteich aus dem Weltkrieg entsorgt - "bis plötzlich die EU sagt, das Grundwasser werde verseucht" . Weil auch die offenen Grenzen ein Ärgernis seien, hätte er sich Maria Fekter als Pröll-Nachfolgerin gewünscht: "Die spricht dem Volk am ehesten aus der Seele."

Ein anderer Passant, einer mit ÖVP-Vergangenheit, ist mit dem neuen Parteichef ebenfalls unglücklich. "Erzkonservativ" sei Michael Spindelegger, und ein "Hardliner wie der Erwin" - etwa, wenn es um Personalwünsche des eigenen Parteiflügel geht: "Josef Pröll hätte frischen Wind bringen können. Es ist nur traurig, dass er die klaren Worte erst beim Abgang ausgesprochen hat."

"Der Josef hätte einmal laut sagen müssen, wer der Chef in der Partei ist" , meint auch Bürgermeister Gartner: "Was er weggesteckt hat, war unmenschlich."
(Gerald John, DER STANDARD, Printausgabe, 15.4.2011)