Der Henker von Adolf Eichmann schneidet heute Tieren die Kehle durch: Netalie Braun erzählt in "Hatalyan (The Hangman)" dessen Geschichte.

Foto: Visions du Réel

Nachdem Adolf Eichmann gehenkt worden war, befand sich noch Luft in seiner Lunge. Als man den Strick entfernte, gab sein Leichnam deshalb einen letzten, unverständlichen Laut von sich. Der Henker Eichmanns, der diese schaurig-skurrile Erinnerung erzählt, hat nach dessen Hinrichtung den Beruf gewechselt: Heute schneidet der alte Shalom als ritueller Schlächter Tieren die Kehle durch. Mit jedem Opfer verheißt er Kunden eine gute Zukunft. Sein eigenes Leben, das die Filmemacherin Netalie Braun in Hatalyan / The Hangman in Form von Archivaufnahmen mit der Geschichte Israels verbindet, ist hingegen von der Vergangenheit bestimmt.

In das diesjährige Programm des renommierten Dokumentarfilmfestivals von Nyon passte Hatalyan nahezu perfekt: Einerseits weil er eine außergewöhnliche und dennoch unbekannte Lebensgeschichte präsentiert, andererseits weil er mit der Darstellung von Shaloms heutiger Arbeit wie viele andere Festivalfilme das ambivalente Verhältnis des Menschen zum Tier als Nahrungsmittel, Beute oder Opfer beobachtet. Jedoch nicht als Globalisierungsdokumentation über "unsichtbare" Viehmärkte und Massentierhaltung, sondern als Teil einer konkreten Lebensgeschichte.

So war etwa in der vom neuen Festivalleiter Luciano Barisone ins Leben gerufenen Reihe "Spuren filmen" ein später Meilenstein des Direct Cinema zu sehen, in dem ebenfalls das Schlachten eine wichtige Rolle spielt: In La bête lumineuse, 1982 vom frankokanadischen Regisseur Pierre Perrault festgehalten, macht sich eine Gruppe von Städtern auf den Weg in die Wildnis Québecs. Bevor von einer kleinen Hütte aus täglich Jagdausflüge unternommen werden, treffen die Männer letzte Vorbereitungen: Eine Ziege wird auf den Pickup geladen, Hühner und Hasen bei einem Bauern gekauft.

Psychokrieg unter Männern

Die Kamera scheint sich dem rauen Umgangston anzupassen, hält auf ebenso grobem 16mm-Material alle männlichen Derbheiten fest. Wie sehr die Gruppe bald in einen Psychokrieg schlittern wird, erkennt man jedoch zum ersten Mal beim unterschiedlichen Umgang der Männer mit den mitgebrachten Tieren: Während die anderen mit ihren Hasen kurzen Prozess machen, schafft es einer nicht, seinem Abendessen das Fell abzuziehen, muss sich übergeben - und schlüpft selbst in die Rolle des Opfers.

Diese Männer von der Natur nicht weniger entfremdet als die anonymen Konsumenten vor den Fleischvitrinen im Supermarkt. Die Entfremdung ist hier nämlich nicht Folge der Industrialisierung, sondern einer fehlenden Wahrnehmung - eine Haltung, die auch in Cochon qui s'en dédit (1979) von Jean-Louis Le Tacon zu beobachten ist. Eine knappe halbe Stunde lang begleitet der Film den Alltag eines Schweinezüchters in der Bretagne, und während die Super-8-Kamera Geburt, Fütterung, Reinigung, Krankheit und Tod der auf engstem Raum eingesperrten Tiere festhält, berichtet der Bauer von seinem Kampf mit der Bank, die ihn zur Kreditrückzahlung und damit in immer größere Abhängigkeit von der Massenhaltung drängt. Mithilfe surrealer Verfremdungseffekte erzählt Cochon qui s'en dédit mehr über Ausbeutung als alle gegenwärtigen Arbeiten über globale Nahrungsmittelproduktion und Kapitalismus.

Und nicht zuletzt wurde auch in zwei aktuellen Wettbewerbsfilmen geschlachtet: Thomas Heise folgt in seinem Film Sonnensystem dem Leben einer kleinen Gemeinde im Norden Argentiniens. Während hier das minutenlange Schlachten einer Kuh zur reinen Veranschaulichung von Tradition dient, genügt dem israelischen Filmemacherpaar Adi Barash und Ruthie Shatz in Rechokim / The Collaborator and His Family die kurze Darstellung einer Schlachtung in einem Hinterhof von Tel Aviv. Hier hat der Palästinenser Ibrahim, Ex-Informant des Mossad, nach seiner Enttarnung Unterschlupf gefunden. Doch ohne Rechte und offizielle Aufenthaltsbewilligung fühlt er sich so ohnmächtig wie das Schaf, das durch ihn sein Leben lässt. (Michael Pekler, DER STANDARD - Printausgabe, 15. April 2011)