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Wir werden verstärkt arbeiten, um zu leben - und nicht umgekehrt, meint ...

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... Sozialwissenschafter Peter Zellmann. Ein paar Kleinigkeiten gibt es am Weg dorthin aber noch zu erledigen. Eine davon: "Wir müssen die Dienstleistung-Berufe aufwerten."

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Peter Zellmann leitet das Institut für Freizeit- und Tourismusforschung (IFT) in Wien und forscht dort unter anderem über zukünftige Lebensstile in Arbeit und Freizeit. Im Vorjahr brachte er das Buch "Die Zukunft der Arbeit" heraus, kürzlich stellte er eine neue Studie zum Thema vor.

Der Wandel vom Industrie- ins Dienstleistungszeitalter sei voll im Gange, sagt Zellmann im Interview mit derStandard.at. Die Jungen werden am Weg dabei seiner Ansicht nach von den beharrenden Mächten "mächtig" behindert. Und: Die Falschen verdienen viel. Wer die Richtigen wären, erklärt er im Gespräch mit Regina Bruckner.

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derStandard.at: Sie haben sich vor einem Jahr in Ihrem gleichnamigen Buch "die Zukunft der Arbeit" angeschaut und von veralteten Rezepten in Sachen Arbeitsmarkt gesprochen. Jetzt haben Sie sich in einer Studie wiederum dem Thema gewidmet. Gibt es Fortschritte?

Peter Zellmann: Naja. Das Problem ist der grundsätzliche Wandel in der Gesellschaft, der vollkommen neue Rahmenbedingungen braucht. Meine Arbeitshypothese lautet: Wir beschäftigen uns in der Sozialpartnerschaft viel zu sehr mit Symptomen und übersehen, dass die Rahmenbedingungen so neu gestaltet werden müssen, dass diese Einigung darauf, was in dieser Gesellschaft notwendig sein wird, wichtiger ist als manche aktuellen und oberflächlich wichtigen Themen. Das Verständnis dafür wächst.

derStandard.at: Das bedeutet, wir dürfen nicht hoffen, dass wir wieder einmal in jene Zeiten zurückkehren, wo Arbeit für die Eliten einen absolut geringen Stellenwert hatte?

Zellmann: Die Leistungsbereitschaft der Menschen ist wissenschaftlich an sich unbestritten, wenn auch unterschiedlich. Was aber wichtig ist: Die Freizeit, das Außerberufliche hat an Wertigkeit gleichgezogen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist den Menschen wichtig. Arbeit und Freizeit, Spaß und Leistung, weiblich und männlich, ökologisch und ökonomisch: Dieses Aufholen führt uns vom Lebensstandard-Denken des Industriezeitalters ins das Lebensqualitäts-Denken der Zukunft. Da spielt die Arbeit unverändert eine große Rolle. Wir leben aber nicht mehr, um zu arbeiten, sondern wir arbeiten auch und gerne, um zu leben. Das ist ein Paradigmenwechsel, der zumindest für rund zwei Drittel der Bevölkerung gilt. Unabhängig davon muss aber eine Gesellschaft, die sich dieses Niveau leisten kann, die benachteiligten, weniger begüterten, diskriminierten Randgruppen mitnehmen.

derStandard.at: Die Arbeitslosigkeit bleibt in etwa stabil. Jedes Land lässt sich ein paar Tricks einfallen, um die Zahlen ein bisschen zu behübschen. Aber im Endeffekt steigt die Automatisierung weiter. Wird uns nicht irgendwann doch einmal die Erwerbsarbeit ausgehen?

Zellmann: Das hängt eben mit dem notwendigen Verständnis der Zeitenwende und des Paradigmenwechsels zusammen. Es geht uns die industriezeitalterlich definierte Erwerbsarbeit aus, aber nicht die Arbeit als solche. Wir müssen uns nur in die Dienstleistungsberufe, insbesondere in die persönliche Dienstleistung hineindenken. Dort wird die Wertschöpfung der Zukunft passieren, und dort werden die Arbeitsplätze entstehen.

derStandard.at: Das klingt schlecht bezahlt und nicht so richtig sexy.

Zellmann: Wir müssen uns von der Dienstbotengesellschaft des Industriezeitalters, wo alle diese Berufe schlecht beleumundet und bezahlt waren, verabschieden. Jetzt werden sie zum prägenden Merkmal der Arbeitstätigkeit vieler Menschen werden. Diesem Leisten an Wissenstransfer, Pflege, Betreuung, Information, also alles was mit "Mensch" zu tun hat, haben wir viel zu wenig Bedeutung zugemessen. Kategorien wie BIP-Wachstum oder Arbeitslosenrate - industriezeitalterliche Parameter - werden sich in den nächsten zwanzig Jahren überholen. Die Wertschöpfung einer Gesellschaft kann nicht nur durch das Bruttoinlandsprodukt ausgedrückt werden. Menschen leisten und arbeiten so viel auch im nicht-klassischen Erwerbsarbeitsbereich - Familie, Ehrenamt, Kultur, Vereine -, dass diese Leistungen in das Bruttosozialprodukt mit einberechnet werden müssen. Dieser Paradigmenwechsel überfordert die meisten Verantwortlichen und Weichensteller.

derStandard.at: Welche Fertigkeiten fehlen uns?

Zellmann: Diese Dienstleistungen werden weit in das produzierende Gewerbe hineingehen. Das mit den Augen eines Kunden, eines Schülers, eines zu Betreuenden sehen und mit den Ohren der Betroffenen hören zu lernen, diese emphatischen und persönlichen Fähigkeiten werden in Zukunft in Aus- und Weiterbildung entscheidend werden. Wir sind auf der Anbieter- und Ausbildungsseite noch lange nicht so weit, um den jungen Menschen diese Fähigkeiten auch weiterzugeben. Alles mündet in der Bildungsfrage. Der Übergang dauert zwei Generationen. Er hat etwa in den 1970er-Jahren begonnen und wird in den 2030er-Jahren abgeschlossen sein.

derStandard.at: Wenn ich mir meine Tochter ansehe, so habe ich großes Vertrauen, dass diese Generation sich diese Fertigkeiten aneignet. Die Frage, die sich in der Folge stellt: Bezahlt das auch jemand?

Zellmann: Sie bringen es auf den Punkt. Die jungen Menschen leben das, die junge Generation findet wie von selbst auf diesen Weg. Sie wird nur auf dem Weg behindert von gestrigen Vorgaben. Mit Methoden von vorgestern bilden wir für Berufe von übermorgen aus, wo wir noch gar nicht wissen, ob es diese Berufe geben wird. Das Problem ist nicht die Zukunft. Das Problem ist das Verharren der Mächtigen auf diesen industriezeitalterlichen Wertvorgaben. Die Probleme, die wir jetzt haben, lassen sich alle auf die geschilderte Polarität zurückführen. Es braucht eine neue Generation an Politikern und Wirtschaftsverantwortlichen, die diesen scheinbar abstrakten Zusammenhang auch lebt.

derStandard.at: Man kann natürlich auch hoffen, dass sich die Sache durch den demografischen Wandel von selbst erledigt?

Zellmann: Das ist nicht richtig. Der demografische Wandel ist ein Beispiel einer Zukunftsfalle, in die wir tappen. Er wird vollkommen falsch dargestellt. Nicht die Gesellschaft altert, sondern die Menschen altern. Das ist nicht dasselbe, sondern in vielen Bereichen sogar das Gegenteil. Mit den gestrigen Wertmaßstäben gehen in 30 Jahren ein Drittel der Bevölkerung am Stock. Das ist eine dümmlich verkürzte, klassisch gestrige Herangehensweise. Die Menschen werden älter, das heißt, sie bleiben auch länger leistungsfähig und gesünder und nehmen ihre Lebensgewohnheiten mit ins Alter. Es ist selbstverständlich, dass in 20 bis 30 Jahren die Menschen bis 68, vielleicht sogar 70 arbeiten und das auch gerne tun werden, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Es werden nicht mehr Arbeitsplätze dadurch entstehen, dass die Alten mit 55 endlich aus den Betrieben ausscheiden. Ganz im Gegenteil. Wir erleben diesen Gegensatz ja täglich. Auf der einen Seite sollen sie länger arbeiten, damit sie den Pensionskassen nicht zur Last fallen, auf der anderen Seite nehmen sie den jungen Menschen den Job der Zukunft weg. Da müssen wir uns jetzt langsam entscheiden, was wir wollen.

derStandard.at: Was täte uns gut, zu wollen?

Zellmann: Das wird sich von selbst regeln, wenn wir endlich erkennen, dass zwar das Durchschnittsalter der Bevölkerung steigt, dies aber keine Bedrohung der Gesellschaft ist. Es ist eine vierte leistungsbereite Generation - zwischen 55 und 70 - im Entstehen, die mit neuen Rahmenbedingungen am Arbeitsplatz und im Leben zu versorgen sein wird.

derStandard.at: Wir haben in der jüngeren Arbeitswelt die Junk-Jobs, die Generation Praktikum, die Dequalifizierten und die älteren Arbeitslosen kennengelernt. Alles also nur Phänomene der Zeitenwende?

Zellmann: Das ist in einer Übergangsphase nicht anders möglich, wird sich aber lösen, wenn wir nicht die Symptome, sondern die echten Ursachen erkennen. Ein Beispiel ist die ungleiche Bezahlung von Männern und Frauen. Auch ein falsch gehandeltes Paradoxon mit den falschen Überschriften. Ich gehe davon aus, dass es eine Selbstverständlichkeit ist, dass zwei Menschen - egal, ob Mann oder Frau, oder jung oder alt -, wenn sie das Gleiche tun, gleich entlohnt werden müssen. Das müssen wir selbstverständlich ausbessern. Aber die eigentliche Ursache der derzeitigen statistischen Öffnung der Schere zwischen Männer- und Fraueneinkommen ist eine ganz andere Frage: Die Berufe, die von Frauen in diesen sich neu auftuenden Feldern in erster Linie ausgeübt werden, sind schlecht bezahlt. Es sind die Dienstleistungstätigkeiten und nicht die Frauen, die schlecht bezahlt sind. Es wird den Männern, wenn sie in der Dienstleistungsgesellschaft zunehmend solche Tätigkeiten ausüben, auch nicht anders gehen. Dann wird sich für oberflächliche Statistiker die Schere schließen, aber der Gesellschaft insgesamt wird es schlechter gehen.

derStandard.at: Was muss geschehen?

Zellmann: Wir müssen diese Berufe aufwerten. Dazu kommt: Solche Dienstleistungsberufe werden nicht nur häufig von Frauen, sondern eben auch häufig in Teilzeit ausgeübt. Das wollen viele durchaus auch, statistisch gemittelt ergibt das aber wieder eine scheinbare Diskrepanz zwischen Mann und Frau, die so groß gar nicht ist. Größer ist die unterschiedliche Bezahlung der Berufe.

derStandard.at: Ein ganz wesentlicher Punkt ist also die Frage nach dem gerechten Lohn?

Zellmann: Ja. Die Kindergärtnerinnen und Volksschullehrerinnen, die quasi das wichtige Animieren für die Zukunft leisten sollen, müssen hochbezahlt sein. Das ist der pädagogisch wichtigste Auftrag. Ein Hochschullehrer, der nicht mehr viel verhauen kann, wird mit dem Vielfachen bezahlt und hat eigentlich, was die Persönlichkeitsentwicklung der Einzelnen betrifft, eine viel geringere Verantwortung.

derStandard.at: Der Kuchen wird ja nicht größer. Wenn die einen mehr verdienen sollen, müssen wir das jemand anderem wegnehmen. Wer bietet sich an?

Zellmann: Natürlich müssen wir umverteilen. Das ist gar keine Frage. Nur: Da sind wir mit Vermögenssteuer, Erbschaftssteuer gleich wieder beim Symptom. Da geht es wieder nicht um ein grundsätzliches Neuordnen unseres Haushaltes. Natürlich müssen die, die besonders viel verdienen, die besonders hohe Überschüsse erzielen, in diesen gemeinsamen Topf in Zukunft viel mehr einbringen. Und natürlich muss der Staat nicht in erster Linie bei den Transferzahlungen, sondern bei sich selbst sparen. (Regina Bruckner, derStandard.at, 11.4.2011)