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Nach stundenlanger Überfahrt in wackeligen Booten: Ungewisse Zukunft für Flüchtlinge aus Nordafrika

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Silvio Berlusconi kommt die Krise gelegen: Er nutzte die Debatte für ein bisschen Selbstmarketing auf Lampedusa

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Italien hat mit der Entscheidung, Flüchtlinge aus Nordafrika mit Visa auszustatten, in der EU heftige Kritik ausgelöst. Mit den Visa erhalten die rund 23.000 Flüchtlinge Reisefreiheit im Schengenraum. Dies widerspreche "dem Geist von Schengen", protestierte der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU). Deutschland werde notfalls Kontrollen an der südlichen Grenze durchführen. Auch Österreichs Innenministerin Maria Fekter kündigte am Sonntag an, die Grenzen kontrollieren zu wollen. Verstärkte Kontrollen im Landesinneren, etwa in Reisezügen, seien bereits seit einiger Zeit im Gange, hieß es.

Fekter: "Staubsaugereffekt"

Innenministerin Maria Fekter wirft Italien vor,  eine "unsolidarische Maßnahme" ergriffen zu haben. "Das hat eigentlich einen enormen Staubsaugereffekt auf alle Migranten, die nach Italien gelangen. Italien putzt sich hier ab", empörte sich Fekter.

Die Italiener rechneten nämlich damit, dass "diese Menschen in andere EU-Länder gehen. Wenn nach drei Monaten das Visum abläuft, haben die anderen EU-Länder das Problem der Rückkehr und der Kosten und des Prozederes für die Heimreise", meint die Innenministerin. Sollte Italien weiterhin Schengen-Visa für Flüchtlinge aus Tunesien ausstellen, "muss man Schengen andiskutieren. Wenn Bayern andenkt, die Schengen-Grenzen wieder dicht zu machen, müssen wir Österreicher das selbstverständlich auch".

Jedenfalls werde sich Österreich "anschauen, inwiefern wir die Visa von Italien auch tatsächlich anerkennen, ob wir die Menschen einreisen lassen, die sich nicht selbst ernähren können und die nicht nachweisen können, dass sie ihren Unterhalt hier haben". Eine derartige Einreise "würde den Boden für Kriminalität bedeuten und das kann ich als Sicherheitsministerin nicht zulassen".

Wifo: "Politik des Chaos"

Dem hält Karl Aiginger, Chef des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo, entgegen, die EU übe sich in einer "Politik des Chaos": "Die Menschen kommen in Booten, man weiß nicht, gehen sie unter oder nicht, dann sind sie hier, man weiß nicht, dürfen sie bleiben oder nicht, dann erteilt Italien ihnen Visa, man weiß nicht, dürfen sie arbeiten oder nicht. Die EU sollte sich überlegen, wie man diese Menschen langfristig integriert. Das ist eine humanitäre Frage", sagte Aiginger am Rand einer Pressekonferenz Montag vormittag gegenüber derStandard.at.

Berlusconi: "Europäische Lösung"

Auch Italien pocht auf "eine europäische Lösung". "Europa kann sich der Sache nicht entziehen", hatte der italienische Regierungschef Silvio Berlusconi am Samstag bei einem Besuch auf der Mittelmeerinsel Lampedusa gemeint. Am Donnerstag hatte Italien Zehntausenden tunesischen Flüchtlingen Visa gewährt, mit denen sie in alle Länder des Schengen-Raums reisen könnten. Es handle sich um befristete Aufenthaltsgenehmigungen zu "humanitären" Zwecken, sagte der italienische Innenminister Maroni. "Die meisten Einwanderer wollen zu Freunden und Verwandten in Frankreich oder anderen europäischen Ländern", erklärte der Minister.

Zugleich startet Italien mit der Rückführung Hunderter Migranten nach Tunesien. Zwei Maschinen starten am Montag direkt aus Lampedusa, um etwa 120 Einwanderer nach Tunesien zurückzufliegen. Weitere 1.000 Einwanderer befinden sich noch auf der Insel, das Auffanglager ist wieder überfüllt.

EU-Innenminister beraten

Die Flüchtlings-Frage steht am Montag im Mittelpunkt von Beratungen der EU-Innenminister in Luxemburg. Der deutsche Innenminister meinte, Italiens Vorgehen würde das Verhältnis zwischen Deutschland und Italien erheblich belasten. Er erwarte von Berlusconi, "dass sein Land das Einwandererproblem selbst regelt und nicht auf andere EU-Länder ablädt."Während die Regierungschefs weiter streiten, will EU-Innenkomissarin Cecilia Malmström anregen, mehr Solidarität bei der Aufnahme von Flüchtlingen zu zeigen.

Nun sei der Moment gekommen, Fortschritte bei der gemeinsamen EU-Asylpolitik zu erzielen, stößt Malmström in eine offene Wunde der EU-Agenda. Einige Länder seien bereit, schutzbedürftige Menschen aufzunehmen. 

Weitere Flüchtlinge kamen an

Unterdessen kamen weitere Flüchtlinge auf der süditalienischen Insel Lampedusa an. Seit Sonntagabend erreichten rund 700 Migranten die 20 Quadratkilometer große Insel zwischen Sizilien und Tunesien, berichtete die italienische Küstenwache.

Das UNO-Flüchtlingskommissariat (UNHCR) appelliert an die EU-Staaten, politische Flüchtlinge aus Nordafrika aufzunehmen. Die meisten Flüchtlinge, die jetzt nach Europa gekommen sind, seien junge Männer, die einfach die Gunst der Stunde nützen und versuchen, in Europa Arbeit zu bekommen, sagte UNHCR-Sprecherin Melitta Hummel-Sunjic am Montag im Ö1-Morgenjournal. Vergleichsweise wenige von ihnen seien politische Flüchtlinge: In Libyen seien es 8.000 bis 10.000 Menschen, etwa aus Somalia und Eritrea, die jetzt zum zweiten Mal flüchten. "Und für diese Leute bitten wir als UNHCR um Aufnahme. Die haben eine solche Odyssee hinter sich, da kann Europa nicht wegschauen."

Hummel-Sunjic rief die EU-Staaten dazu auf, sich ihrer humanitären Traditionen zu besinnen. Die EU solle zudem Ägypten und Tunesien unterstützen, denn diese beiden Nachbarländer Tunesiens hätten die meisten Flüchtlinge aufgenommen - Ägypten 200.000, Tunesien weit mehr als 200.000 Menschen. Nur ein Bruchteil, rund 25.000, seien nach Malta und auf die italienische Insel Lampedusa gekommen. (mas, APA, derStandard.at, 11.4.2011)