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Bis ins hohe Alter ein begeisterter Verfechter des engagierten Kinos: US-Regisseur Sidney Lumet im Jahr 2007 am Filmfestival von Deauville.

Foto: Reuters/Kessler

Wien/New York - Eine Standardsituation mit Twist: Der Polizist will auf den Bankräuber einwirken, sein Unternehmen friedlich abzubrechen. Er lockt ihn langsam heraus auf die Straße, wo sich neben einer Armada an Polizisten auch eine große Menge Schaulustiger eingefunden hat. Plötzlich kippt die Situation, Sonny (Al Pacino) verliert das Vertrauen in die Worte des Cops und beginnt "Attica, Attica" zu rufen - in Erinnerung an den blutig beendeten Gefängnisaufstand von 1971. Die Menge applaudiert ihm begeistert zu.

Es handelt sich um eine der intensivsten Szenen aus Sidney Lumets "heist-movie" Hundstage (Dog Day Afternoon, 1975) - gut geeignet, die zahlreichen Qualitäten des 1924 geborenen US-Filmemachers zu demonstrieren. Lumet war ein hochbegabter Schauspieler-Regisseur, der Darsteller wie Rod Steiger (Der Pfandleiher/ The Pawnbroker, 1964), Peter Finch (Network, 1976), River Phoenix (Die Flucht ins Ungewisse/ Running on Empty, 1988) und natürlich Pacino (Serpico, 1973) zu Höchstleistungen treiben konnte. Mit der Ausrichtung seiner Filme bewies er Mut, Moral und Standfestigkeit. Hundstage war eben nicht nur ein energetischer Genrefilm, sondern lieferte auch ein Zeitbild. Es war die tragische Geschichte eines schwulen Mannes, der eine verzweifelte Tat begeht, um die Geschlechtsoperation seines Freundes zu finanzieren.

Schule des Fernsehens

Lumet wurde in eine Schauspielerfamilie hineingeboren, sein Vater spielte am Yiddish Art Theater, und wenn er über ihn auch wenig Gutes sprach, blieb die Begeisterung für die Bühne. Nach dem Armeedienst wechselte der junge Schauspieler beim TV-Sender CBS ins Regiefach. Wie für andere Regisseure seiner Generation eine gute Schule: Lumets Faible fürs Proben, für die Feinarbeit mit Script und Darstellern, ging auf diese Zeit zurück.

Obwohl Lumet bereits mit seinem Debüt, dem Gerichtssaaldrama Die 12 Geschworenen, für einen Oscar nominiert wurde (er sollte erst 2004 einen Ehrenoscar erhalten), blieb er ein Hollywood-Flüchtling. Zu sehr war er mit seiner Stadt New York, dem Schauplatz vieler seiner Filme, verwurzelt, auch ideell gehorchte der an sozialen Realitäten interessierte Filmemacher nicht dem Credo der Industrie. Höchstens sein persönliches Arbeitsethos entsprach der Studiologik - lieber einen Film mit Handicaps drehen als keinen.

Seine stilistische Wendigkeit wurde Lumet manchmal vorgeworfen. Doch zeigte sich darin nur die Neugierde eines Regisseurs, sich immer wieder Herausforderungen stellte: Nach dem ersten US-Drama um einen Holocaust-Überlebenden (Der Pfandleiher) konnte er einen Kriegsfilm (The Hill) drehen; danach das aufwändige (und viel geächtete) Frauendrama nach Mary McCarthy, The Group (1966), das sich mit Empfängnisverhütung, lesbischer Liebe und Abtreibung beschäftigte.

Die 1970er-Jahre wurden zu Lumets wohl wichtigstem Jahrzehnt: Die New-York-Filme Hundstage, Serpico und Prince of the City (der 1981 nachfolgte) sind Meilensteine des New-Hollywood-Kinos, die auf eine vibrierende Weise mit der äußeren Wirklichkeit der Stadt kommunizieren. Lumet war ein Filmbesessener, der nie in den Ruhestand ging. Mit 83 Jahren überraschte er noch mit dem Thriller Before the Devil Knows You're Dead, in dem erneut ein Raubüberfall schrecklich misslingt. Am Samstag ist Sidney Lumet 86-jährig an einer Lymphomerkrankung in Manhattan gestorben. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD; Printausgabe, 11.4.2011)