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Gegenseitige Anziehung ist ein hochkomplexer Prozess.

Foto: APA/Jörg Carstensen

Euphorische Zustände, ein Flattern in der Magengegend, wenig Schlafbedürfnis und kaum Appetit - typische Symptome bei Verliebten. Wodurch sie verursacht werden, erforscht die Neurowissenschaft. Dabei sollen es keineswegs Schmetterlinge im Bauch sein, die Kribbeln und Erregung auslösen, sondern vielmehr ein Cocktail an Botenstoffen im Gehirn. Diese bewirken einen Zustand, der einem Drogenrausch oder einer Zwangserkrankung ähneln kann. Besonders wichtig dürfte dabei eine vermehrte Dopamin-Ausschüttung sein.

Dopamin ist ein wichtiger Neurotransmitter, der auf das Belohnungszentrum im Gehirn wirkt und der auch bei Missbrauch von putschenden Drogen wie Kokain und Amphetaminen verstärkt gebildet wird. Wie eine körpereigene Droge versetzt Dopamin frisch Verliebte in eine Art Glücksrausch. Gleichzeitig sinkt bei Verliebten der Serotoninspiegel ähnlich stark wie bei Zwangsneurotikern, sodass die beiden Auserwählten nur noch an die Eine, den Einen denken können. Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol beschleunigen die Herzfrequenz. Damit aus der Verliebtheit irgendwann Liebe werden kann, kommt das Hormon Oxytocin, das "Bindungshormon" , ins Spiel. Neben seiner wichtigen Rolle im Geburtsprozess und bei der Bindung zwischen Mutter und Kind, sorgt es auch für die längerfristige Zuneigung zwischen zwei Geschlechtspartnern.

"Grundsätzlich muss man vorsichtig sein zu glauben, dass die Wissenschaft alle Antworten hat. Wir wissen einige Dinge, wir kennen aber keineswegs die ganze Geschichte" , sagt der südafrikanische Neuropsychoanalytiker Mark Solms, "die neurologische, endokrinologische Wallung bei Verliebtheit ist parallel zu anderen großen Prozessen und nicht einzigartig." Gesichert gilt für Solms, dass bei Liebe einige Hirnregionen zusammenspielen. Verlangen und Sehnsüchte sind, so wie Hunger und Durst, im Hypothalamus angesiedelt. Dort wird das vegetative Nervensystem gesteuert. "Ein Verlangen entsteht, weil es ein Bedürfnis gibt. Dann kann man nur noch daran denken" , erklärt Solms, "weil es dopaminfokussiert ist, ist das wie eine Abhängigkeit, die der Verliebtheit ziemlich ähnlich ist." Insgesamt scheint die Liebe in ähnlichen Zentren des Gehirns zu wirken wie eine Abhängigkeit, etwa von Drogen.

Liebe als Rausch

Neben dem Dopaminkick im Belohnungszentrum, spielt auch das Bindungszentrum im Gehirn eine Rolle. "Dieses Bindungszentrum ist opioidgetrieben, es erzeugt ein angenehmes Gefühl, so wie Morphium gegen Schmerz" , sagt Solms. Da eine Trennung Schmerz auslöse, lasse uns das Bindungszentrum bei jenen Menschen bleiben, mit denen wir uns gut fühlen. In dieser Hirnregion entsteht bei Babys und kleinen Kindern die Bindung zur Mutter. Dasselbe System wird auch bei der romantischen Liebe aktiviert. Ist die frühkindliche Bindung zur Mutter gestört, ist der Erwachsene meist in seiner Liebesfähigkeit beeinträchtigt. Und auch bei Opiatsüchtigen ist die Aussicht auf erfüllte, romantische Liebe gering. "Wer süchtig nach Opiaten wie Heroin ist, kann sich nicht in eine Person verlieben, da man sich nicht in zwei Dinge verlieben kann" , sagt Solms. "Leute mit schlechter Liebesfähigkeit neigen eher zu Süchten. Es gibt eine Umkehrkorrelation zwischen Liebe und Sucht" , sagt Solms. Ähnlich wie Verliebtheit in vielem einer Sucht gleicht, ähnelt Liebeskummer einem Entzug. Das hat auch Helen Fisher, Forscherin an der Rutgers University in New Jersey, in Experimenten mit Magnetresonanz herausgefunden. Die Gehirnscans von unglücklich Verliebten zeigten deutlich, dass bei ihnen jene Gehirnregionen besonders aktiv waren, die auch mit starker Abhängigkeit verbunden werden.

Für Matthäus Willeit von der Universitätsklinik für Psychiatrie an der Med-Uni Wien lassen die bisherigen Forschungsergebnisse keine sicheren Rückschlüsse darauf zu, was bei Verliebtheit biochemisch im Gehirn passiert. Man könne mit Magnetresonanzbildern sehen, welche Areale im Gehirn aktiv sind, und dann indirekt daraus schließen, welche Neurotransmitter dabei involviert seien: Eine Aktivierung von dopaminhaltigen Gehirnstrukturen lässt sich immer dann nachweisen, wenn das Gehirn neue oder bedeutsame Reize verarbeitet. "Tatsache ist, dass es für den Zustand der Verliebtheit wenige gesicherte Daten gibt" , sagt Willeit, "auf neurochemischer Ebene ist Verliebtheit derzeit nicht wirklich erklärbar."

Die Botenstoffe

Wiederholt nachgewiesen wurden erhöhte Spiegel des Stress-Hormons Cortisol, ein Marker für Stress oder Aktivierung des gesamten Organismus. Nachgewiesen ist auch, dass es im Verlauf der Jahreszeiten zu Veränderungen im Neurotransmittersystem komme. "Im Frühjahr ist die Impulsivität höher" , erklärt Willeit, "die Impulse werden stärker, die Bremskraft schwächer." Das könne erklären, warum der Volksmund von Frühlingsgefühlen spreche, bei denen ja immer die Liebe mitschwingt.

"Die Neurotransmitter sind sehr grobe Marker für ein sehr komplexes System" , sagt Michael Musalek, Psychiater und ärztlicher Leiter des Anton-Proksch-Instituts, "es ist ein Zug unserer Zeit, dass wir aus wunderbaren Geheimnissen Probleme machen." Man müsse genau unterscheiden zwischen den begleitenden Umständen und der Ursache: "Ob die Dopamin-Ausschüttung die Ursache für Verliebtheit ist, ist zweifelhaft. Verliebtheit entsteht ja nicht durch Dopamin-Gabe."

Dabei gehört es zu den alten Utopien, einen wirksamen Liebestrank zu finden. Aphrodisiaka zielen seit der Antike darauf, die sexuelle Lust zu steigern, die laut einhelliger Meinung der Wissenschafter aber nicht zwingend mit Verliebtheit verbunden ist. Verlieben könne sich am ehesten, wer im Zustand der Offenheit ist und von positiven Gefühlen getragen sei, meint Musalek.

Matthäus Willeit schlägt stattdessen vor: "Eine Hochschaubahnfahrt mit jemandem, der einem gut gefällt, könnte helfen." Bereits in den 1970er-Jahren konnten die Wissenschafter Donald Dutton und Arthur Aron im berühmten Hängebrücken-Experiment nachweisen, dass sich eine unspezifische Erregung im Gehirn an anderen Menschen festmachen kann. Anders gesagt: Erlebt man eine riskante Situation gemeinsam, schreibt man Menschen, die man unmittelbar danach sieht, eine höhere Attraktivität zu, weil man sie dann eben mit der erhöhten Erregung in Verbindung bringt.

Neurowissenschafter sind dem Phänomen des Verliebtseins auf der Spur. Sie haben eine Reihe von Botenstoffen im Gehirn im Visier, die für drogenähnliche Gefühle, für Fixierung und Bindung zuständig sind. (Konstanze Wagenhofer, DER STANDARD Printausgabe, 11.04.2011)