Bild nicht mehr verfügbar.

Essen heißt: Sich wohl fühlen. Oft entgleist diese Beziehung.

Foto: APA/Michael Probst

Fasten führt selten zu langfristiger Gewichtsreduktion. Der Grund: "Emotional Eating". Übergewicht hängt sehr oft mit Kummer oder Stress zusammen, zeigen Beobachtungen aus der Praxis. Was Abnehmwillige über Diäten wissen sollten.

Frage: In welchem Ausmaß sind Gewichtsschwankungen normal?

Antwort: Bei normalgewichtigen Personen ist eine Gewichtsschwankung von einigen Kilos im Zeitraum von einigen Monaten normal. Viele Menschen wiegen im Winter mehr. Bei Frauen gibt es auch zyklusbedingte Schwankungen. Wer jedes Jahr 15 Kilo ab- und wieder zunimmt und in wechselnden Hunger- und Essphasen lebt, zeigt Anzeichen von Essstörung.

Frage: Gibt es gute und schlechte Verwerter?

Antwort: Ja. Der Grundumsatz des Körpers ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich. Das Körpergewicht hängt auch von der Darmfunktion, dem Stoffwechsel und ganz wesentlich vom Aktivitätsniveau ab.

Frage: Was ist "Emotional Eating"?

Antwort: Essen und Emotionen stehen in einem komplexen Zusammenhang. "Wir kennen es alle: Bei seelischen Belastungen, Stress oder Traurigkeit haben wir Lust auf Schokolade", sagt Gabriele Haselberger von intakt, dem Zentrum für Essstörungen. In einem gewissen Ausmaß sei das normal. Viele ihrer Klientinnen, so die Expertin, können aber nicht mehr zwischen richtigem Hunger und emotionalem Hunger unterscheiden. Diese Koppelung von psychischem Stress und Kalorienzufuhr wird als "emotionales Essen" bezeichnet.

Frage: Wer ist ein emotionaler Esser?

Antwort: Menschen, denen die Nahrungsaufnahme in belastenden Situationen Erleichterung bringt, ohne vorher hungrig gewesen zu sein. Emotionale Esser konsumieren oft große Mengen an hoch kalorischen Nahrungsmitteln, die stark fett- oder zuckerhältig sind. Der Grund: Sie wirken gegen das bei Belastungen ausgeschüttete Stresshormon Cortisol.

Frage: Was ist der Grund für emotionales Essen?

Antwort: Die amerikanische Autorin Geneen Roth unterscheidet zwei Formen von Stress-Esserinnen: die "Verbieterinnen", Frauen, die versuchen, durch Selbstkontrolle das Chaos in ihrem Leben in Griff zu bekommen. Der dahinterliegende Schluss: Wenn ich mein Körpermaß begrenze, begrenze ich mein Leiden. Der andere Typus: "Erlauberinnen", die so lange essen, bis sie nichts mehr spüren. "Beide Typen glauben, dass nicht genug da ist, um über die Runden zu kommen, um zu bekommen, was sie brauchen", so Roth. Worum es beim Abnehmen geht: sich selbst zu akzeptieren, Selbstliebe. (Buchtipp: Geneen Roth, Essen ist nicht das Problem, Kailash 2011)

Frage: Lassen sich Essimpulse beeinflussen?

Antwort: Ja, durch verhaltenstherapeutische Maßnahmen. Wichtige Fragen, die es zu klären gilt: Wann esse ich? In welchen Situationen esse ich? Was esse ich? Wofür steht Essen? Wann bin ich satt? In einem angeleiteten Training werden unbewusst ablaufende Muster aufgedeckt und Strategien zur Veränderung entwickelt. "Wir erleben immer wieder, dass Essen funktionalisiert wird", sagt Kathrin Draxl, Leiterin von sowhat - Institut für Menschen mit Essstörungen. Viele essen, weil sie müde, traurig oder durstig sind, und nicht, weil sie Hunger haben.

Frage: Warum sind Diäten kontraproduktiv?

Antwort: Häufige Diäten führen wegen des Jo-Jo-Effekts langfristig zu einer Gewichtszunahme. Der Grundumsatz ist der entscheidende Faktor. Das ist jene Energie, die der Körper in vollkommener Ruhe verbraucht. Er macht zwei Drittel des Kalorienverbrauchs aus. Durch eine Diät wird der Grundumsatz gesenkt. Deshalb nimmt man nach Diäten dann umso schneller wieder zu. Experten sagen unisono: Nur durch Bewegung und damit verbundenem Muskelaufbau gelingt es, dieser Tendenz entgegenzuwirken. Für die Psychologin Katrin Draxl haben Diäten noch einen weiteren Nachteil. Sie zwingen jeden in ein Korsett an vorgegebenen Regeln, die es einzuhalten gilt. "Die wichtige Frage, warum jemand zu viel isst", rückt dadurch in den Hintergrund. Zudem weiß Draxl: Diäten sind sehr oft der Einstieg in Essstörungen, Gewichtsschwankungen fördern auch eine Reihe von anderen Erkrankungen wie Diabetes oder Osteoporose. Der Jo-Jo-Effekt, sagen neueste Forschungen, verändert nämlich den gesamten Stoffwechsel in den inneren Organen und beeinträchtigt Magen, Darm, Bauchspeicheldrüse Leber, Herz, Lunge und Gehirn.

Frage: Wie gelingt nachhaltiges Abnehmen?

Antwort: Durch eine Kombination aus Psychotherapie, einer Ernährungsumstellung und einem Bewegungsprogramm. Eine Ernährungsumstellung heißt übrigens nicht: nie mehr Pommes frites, Schokolade oder Butterbrote. Vielmehr ginge es darum, ein Bewusstsein für Gesund-sein-Wollen aufzubauen, sagt Draxl. Statt einer Tafel Schokolade reicht dann auch ein Stück. Wer lieber zu Hause trainiert, kann aus einem vielfältigen Bewegungsprogramm (9,90 Euro / Monat) wählen.

Frage: Geht Abnehmen im Schlaf?

Antwort: Besonders beeinträchtigend ist mangelnder Schlaf für Menschen, die nachts arbeiten müssen, denn ihr Biorhythmus ist gestört. Tatsächlich reguliert der Schlaf eine Reihe von Hormonen, die für Hunger (Ghrelin) und Sättigung (Leptin) verantwortlich sind. Wer schlecht schläft, zu Übergewicht neigt und schwer abnimmt, kann im Salzburger Schlaflabor Helios Zusammenhänge untersuchen lassen.

Frage: Wann leidet jemand an einer Essstörung?

Antwort: Die meisten Patienten mit Essstörungen haben eine lange Geschichte von Diäten mit auffallenden Gewichtsschwankungen. "Ihr Hauptaugenmerk liegt auf ihrem Gewicht und ihrem Aussehen, Dünnsein gilt als Lösung aller Probleme, wobei Wahrnehmungsstörungen dem eigenen Körper gegenüber auffallend sind", sagt die Allgemeinmedizinerin Renate Kastner-Fried. Patienten mit Essstörungen haben darüber hinaus oft ein geringes Selbstwertgefühl. Je nach Art und Ausprägung der Essstörung kommen bei Fortschreiten der Erkrankung auch spezifische, körperliche Symptome dazu. "Eine Krankheitseinsicht ist oft nicht gegeben", ergänzt Gabriele Haselberger von intakt. Am 12. 4. findet bei sowhat (15., Gerstnerstr. 3) um 19 Uhr ein Info-Abend statt. Anmeldung unter b. scherer@sowhat.at. Am 13. 4. veranstaltet intakt (9., Grundlg. 5/8) um 19 Uhr einen Angehörigenabend zum Thema "Wohin mit der Aggression".

Frage: Können Abnehmplattformen helfen?

Antwort: Auf den meisten Abnehmplattformen wird eine Reihe von Tools wie ein Esstagebuch, Abnehm- und Bewegungspläne angeboten. Oft steht ein Coach für schwache Momente zur Verfügung. Zudem versuchen manche Plattformen, Abnehmwillige zu motivieren, gemeinsam mit anderen Diäten durchzuhalten. Das kann eine wichtige Unterstützung sein, muss aber nicht: "Oft lenken die stark auf Kontrolle ausgerichteten Plattformen den Blick vom Wesentlichen, nämlich der psychologischen Komponente des Zu-viel-Essens, ab", sagt Gabriele Haselberger von intakt. (Karin Pollack, DER STANDARD Printausgabe, 11.04.2011)