Wiener Neustadt - Am 23. Verhandlungstag im Libro-Prozess drehte sich erneut alles um die umstrittene Bewertung der notorisch defizitären Deutschland-Tochter. Als Zeuge nach allen Regeln der Kunst befragt wurde Gottwald Kranebitter, Chef der notverstaatlichten Hypo Alpe Adria.

Darauf hatten sich die Verteidiger, das war offensichtlich und unüberhörbar, schon lang gefreut. Schließlich war Kranebitter selbst 8,5 Jahre als Beschuldigter geführt, aber nicht angeklagt worden. Dem früheren Chef der Wirtschaftsprüfungskanzlei KPMG kommt in der Causa Libro eine Schlüsselrolle zu. Denn mit seiner 1999 verfassten Expertise über die hochtrabenden Expansionspläne der Buchhandelskette in Deutschland legitimierte das damalige Libro-Vorstandsduo Andre Rettberg und Johann Knöbl die Aufwertung von Libro Rosenheim von einem "Erinnerungsschilling" auf 140 Millionen (zehn Mio. Euro).

Das wiederum begünstigte die Ausschüttung der berüchtigten Sonderdividende an die Libro-Altaktionäre - und brachte den fünf Angeklagten letztlich den Vorwurf der Untreue und Bilanzfälschung ein.

Rechenknecht rechnete

Wiewohl Kranebitter KPMG bei seiner ersten Einvernahme vor ein paar Wochen als "Rechenknecht" von Libro bezeichnet hatte, der Rechnungswesen und Controlling für den Libro-Börsengang auf Vordermann bringen sollte, betonte er am Donnerstag mehrfach, für die Stellungnahme zum Deutschland-Geschäft "keine Vorgaben" seitens Libro bekommen zu haben. "Als Berater sind sie nie unabhängig", sagte Kranebitter, "als Abschlussprüfer müssen Sie es sein." KPMG sei nicht Abschlussprüfer gewesen. Das war Auditor Treuhand.

"Warum haben Sie dann zwei Versionen abgeliefert?", fragte Richterin Birgit Borns, um daran zu erinnern, dass eine einen Unternehmenswert von 182,2 Millionen Schilling errechnete und Version II mit 73,6 Millionen. "Das sieht so aus, als hätte sich Libro was aussuchen können. War das so?" Solche Planungsrechnungen seien hochsensitiv, konterte Kranebitter, kleinste Abweichungen hätten Riesenauswirkungen. Zwischen einem Ebit von vier Prozent des Umsatzes und einem von 2,5 Prozent lägen Welten, nämlich Gewinne oder ein tiefrotes operatives Geschäft.

Mini-Gutachten

Dass das KPMG-Papier nur eine einfache Stellungnahme gewesen sei, aber kein offizielles Gutachten, ließe sich allein daran ablesen, dass es "nicht einmal 10.000 Euro gekostet hat und bestehe nur aus wenigen Seiten", sagte Kranebitter. Für eine vollumfängliche Begutachten hätten die Unterlagen gefehlt. Ein Freibrief für Aufwertung und Dividendenausschüttung sei die "Stellungnahme" - die Verteidiger sehen darin sehr wohl ein einschlägiges Gutachten - schon gar nicht gewesen.

Denn der Wertansatz in der Bilanz obliege ausschließlich dem Vorstand - wie auch die Entscheidung, ob und in welcher Höhe der Hauptversammlung eine Dividende vorgeschlagen wird. Diese Verantwortung nehme dem Vorstand niemand ab. Dass der KPMG ihre Unterstützung für Planungsrechnungen von Libro mit weiteren 475.000 Schilling Honorar vergütet wurde, ändere nichts an der Bewertungsstellungnahme. (ung, DER STANDARD; Print-Ausgabe, 8.4.2011)