Alpine Pflanzen - etwa der Bayrischer Enzian (Gentiana bavarica) - vertragen gelegentlichen Schneefall und Frost, während nivale Pflanzen - beispielsweise Alpen-Mannsschild, Moos-Steibrech oder Schneehahnenfuß - auch deutlich längere Schneebedeckung aushalten.

Foto: Michael Gottfried

Wien - Dass sich die jährlichen Durchschnittstemperaturen in den letzten Jahrzehnten stetig nach oben bewegen, ist mittlerweilen unbestritten. Die Auswirkungen des Klimawandels zeigen sich inzwischen aber nicht nur im hohen Norden, wo das Eis schwindet und die Natur sich stellenweise schwer tut mit der Anpassung an die raschen Veränderungen. Sichtbar und durch Messungen eindeutig belegbar ist der Temperaturanstieg auch hierzulande in hochalpinen Landschaften. Wissenschafter der Universität Wien konnten nun mit einer neuen, sehr feinen Methode ermittelt, wie weit sich Hochgebirgspflanzen aufgrund des Klimawandels bereits in höhere Regionen zurückgezogen haben.

Die Forscher haben erstmals am Schrankogel (3.497 m) in Tirol den Grenzbereich zwischen alpiner und sogenannter nivaler Vegetation sowie die sommerliche Schneegrenze quantitativ untersucht. Alpine Pflanzen vertragen gelegentlichen Schneefall und Frost in der Vegetationsperiode; nivale Pflanzen dagegen sind an längere Schneebedeckung angepasst: sie sind Schneeschützlinge. Die Wissenschafter warnen, dass sich der Verlust von nivaler Vegetation auf die Biodiversität der alpinen Regionen auswirken könnte. Ihre Ergebnisse haben sie aktuell in der Meteorologischen Zeitschrift und in den Environmental Research Letters (ERL) veröffentlicht.

Empfindlicher Indikator

Der Grenzbereich zwischen alpiner und nivaler Vegetation wird in der ökologischen Fachsprache als alpin-nivales Ökoton bezeichnet. Ökotone gibt es in verschiedenen Höhenlagen. Ein allgemein bekanntes Ökoton ist die Baumgrenze, der Übergang vom Wald zur baumfreien alpinen Vegetation. Für Michael Gottfried vom Department für Naturschutzbiologie, Vegetations- und Landschaftsökologie und Michael Hantel vom Institut für Meteorologie und Geophysik sowie ihre KollegInnen von der Forschungsplattform ist das alpin-nivale Ökoton ein empfindlicher Indikator, der den Einfluss von Klimaänderungen auf die Biodiversität der Ökosysteme im Hochgebirge anzeigt.

Zur quantitativen Festlegung des Ökotons verwendeten die Forscher ein statistisches Modell, das sie schon für die Schneegrenze eingeführt hatten. Die sog. 'Schneelinie' verbindet die Orte, an denen man mit 50 prozentiger Wahrscheinlichkeit im Sommer Schnee antrifft. Das alpin-nivale Ökoton verbindet hingegen die Orte, an denen 50 Prozent alpine und 50 Prozent nivale Pflanzen wachsen. "Wir haben Vegetation und Schnee mit einer belastbaren und mathematisch einwandfreien Methode unabhängig voneinander ausgewertet", sagt Michael Gottfried und weiter: "Die meisten Leute kennen nur die Baumgrenze. Wir zeigen, dass das alpin-nivale Ökoton im Bereich um 3.000 m eine weniger auffällige, aber ebenso wichtige Grenzlinie ist."

In zehn Jahren um 20 Meter gewandert

Alpine Pflanzen dominieren ausgedehnte Regionen von Zwergstrauchheiden und Grasländern (alpine Tundra) oberhalb der Waldgrenze. Dagegen haben die kälte- und schneetoleranten nivalen Pflanzen ihren Verbreitungsschwerpunkt im darüber liegenden offenen Schutt und Felsbereich. Die Grenze zwischen beiden Vegetationszonen ist nicht konstant. "Von 1994 bis 2004 ist das alpin-nivale Ökoton am Schrankogel etwa 20 m aufwärts gewandert", sagt Gottfried.

Um die Lage des Ökotons zu bestimmen, untersuchten die Ökologen die Vegetation am Schrankogel während der Sommermonate in ca. 150 Plots. Es handelt sich dabei um je ein Quadratmeter große, genau abgesteckte Untersuchungsflächen. Die Forscher bestimmten das Flächenverhältnis der nivalen Pflanzen zur Gesamtvegetation in jedem Plot, den sogenannten Nivalitätsindex."Der Nivalitätsindex folgt dem gleichen Gesetz, das auch die Schneewahrscheinlichkeit in einer gegebenen Höhe und dadurch die sommerliche Schneelinie bestimmt", sagt Hantel. Bemerkenswert daran ist, dass die vertikale Halbwertsbreite des Nivalitätsindex (214 m) viel kleiner ist als die Halbwertsbreite der alpinen Schneekurve (992 m).

Grenzlinie in 3.000 m Höhe

Das alpin-nivale Ökoton ist also eine recht scharf definierte Grenzlinie, während die mittlere Schneelinie deutlich breiter ist, da sie von Jahr zu Jahr schwankt. Die Forschungsergebnisse zeigen, dass das Ökoton am Schrankogel und die Schneelinie in den Alpen praktisch in der gleichen Höhe - knapp 3.000 m - liegen. "Die auffällige Übereinstimmung von alpin-nivalem Ökoton und sommerlicher Schneegrenze deutet darauf hin, dass die beiden grundverschiedenen Prozesse letzten Endes der gleichen Dynamik gehorchen", resümiert Hantel.

Das voneinander unabhängige Monitoring des alpin-nivalen Ökotons und der Schneelinie soll zeigen, ob die Gefahr besteht, dass die nivalen Pflanzen ihren Lebensraum verlieren und aussterben. Das Verschwinden dieser Pflanzen mag keine unmittelbaren ökonomischen Auswirkungen haben. Aber der Ökologe Gottfried meint, dass "ihr Verlust einen erheblichen Einfluss auf den Biodiversitätsschatz und die genetische Vielfalt der Hochgebirgsregionen hätte". Die Untersuchungen wurden im Rahmen der Forschungsplattform Mountain Limits der Universität Wien und als Teil des Projektes Global Observation Research Initiative in Alpine Environments (GLORIA) durchgeführt. (red)