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"Der Tod ist natürlich Scheiße, und zwar in jeder Hinsicht: Zuerst entleeren wir ein letztes Mal unseren Enddarm. Und dann nähert sich unser Körper jenem Verwesungszustand an, den uns der Kot tagtäglich vormacht." (Florian Werner)

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Der Autor Florian Werner.

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Florian Werner, Autor von "Dunkle Materie - Eine Geschichte der Scheiße", Literaturwissenschafter und Rapper im Gespräch mit derStandard.at über flutschende Textabsonderung und anale Fixierung.

derStandard.at: Ihr letztes Buch "Die Kuh: Leben, Werk und Wirkung", ist von der Zeitschrift "Bild der Wissenschaft" als originellstes Wissenschaftsbuch des Jahres ausgezeichnet worden. Wie sind Sie vom Rap auf die Kuh und von der Kuh auf den Kot gekommen?

Florian Werner: Der Viervierteltakt des Rap ist der Rhythmus einer trabenden Kuh und wenn die Kuh lange genug herum gerannt ist, muss sie irgendwann einen Fladen fallen lassen... Das wäre die assoziative Verbindung zwischen diesen drei äußerlich zunächst doch etwas unterschiedlich anmutenden Themen. Rein biographisch gesehen ist es schlicht so, dass ich an meiner Doktorarbeit über Rap werkelte und dabei zufällig in der Bibliothek auf wunderbare Quellen zum Thema Kuhkultur stieß. Danach flüchtete ich immer, wenn mir bei der Doktorarbeit eine Schreibblockade drohte, im Geiste auf eine Alm und betrieb Rinderrecherche. Als die Promotion abgeschlossen und das Kuhbuch geboren war, setzte mir die Muse offenbar einen dampfenden Haufen auf den Schreibtisch, jedenfalls war plötzlich die Idee für eine Kulturgeschichte der Scheiße da. Nicht zuletzt eint die drei Themen natürlich ihre Randständigkeit: Raptexte haben im Bereich der Literatur ja ungefähr dieselbe Stellung wie Kühe im Reich der Haustierrassen und Scheiße innerhalb der westlichen Zivilisation insgesamt.

derStandard.at: Wie lange haben Sie an diesem Buch gearbeitet?

Werner: Ungefähr zwei Jahre: Ein Jahr Bücher verschlingen, zwei Monate Verdauen, dann zehn Monate Textabsonderung.

derStandard.at: An welchem "Ende" begannen Sie mit Ihrer Arbeit beziehungsweise mit Ihren Recherchen?

Werner: Ich habe bei der Recherche jedenfalls sehr viel mehr Zeit im Lesesaal der Berliner Staatsbibliothek verbracht als in öffentlichen Toiletten, wenn Sie das meinen... Naturgemäß muss auch ein Buch über Scheiße dort beginnen, wo die Verdauung anfängt - nämlich im Kopf. Das erste Kapitel, das ich geschrieben habe, war jenes über Kunstkacke - darin geht es um die Verwendung von Fäkalien im Kunstbetrieb, von den Wiener Aktionisten bis zu Paul MacCarthy und anderen Gegenwartskünstlern. Danach flutschte es.

derStandard.at: Sie vereinen in "Dunkle Materie" zahlreiche wissenschaftliche Disziplinen: Bestand das Risiko in psychologischen, psychotherapeutischen, psychoanalytischen Ansätzen hängen zu bleiben? Denn alleine mit der Heranziehung von Theorien aus diesem Bereich in Bezug auf Exkremente könnte man ja hunderte Seiten füllen...

Werner: Natürlich kommt man bei einem solchen Thema um psychoanalytische Ansätze nicht herum. Die Grundthese meines Buches, dass die "Renaissance des Analen", die wir derzeit in Kino, Kunst und Literatur erleben - man denke an Filme wie "Borat" oder an Bücher wie Charlotte Roches "Feuchtgebiete" - sich der zunehmenden Verdrängung der Fäkalien aus dem Alltag verdankt, ist ohne die Freudschen Theorien gar nicht denkbar. Und auch unsere Vorstellung vom anal-retentiven Charakter, der in der Kindheit seinen Kot hortet, um dann später als Erwachsener geizig, ordnungsliebend und pedantisch auf seinem prall gefüllten Geldsäckel und seinen Prinzipien herumzusitzen wie ehedem auf seinem prallen Enddarm, ist stark Freudianisch geprägt. Trotzdem habe ich mich bemüht, nicht an diesen einschlägigen Theorien kleben zu bleiben, sondern sie durch Beispiele aus Kunst und Alltag zu veranschaulichen und weiterzudenken. Alles andere wäre ja auch arg anal-retentiv (anal-fixiert, Anm.).

derStandard.at: Ihr Schlusssatz lautet: "Nachdem wir gestorben sind, gebären wir häufig noch ein finales Häuflein. Dies ist unsere letzte Äußerung, unser letzter Text. Der Rest ist Scheiße." Das würde bedeuten, dass alles Scheiße ist: sowohl das letzte Häuflein als auch der Rest. Ist das so zu verstehen?

Werner: Nicht ALLES ... aber der Tod ist natürlich Scheiße, und zwar in jeder Hinsicht: Zuerst entleeren wir ein letztes Mal unseren Enddarm. Und dann nähert sich unser Körper jenem Verwesungszustand an, den uns der Kot tagtäglich vormacht. Scheiße ist ja in gewisser Weise ein kleiner Leichnam: Zuerst ist sie ein Teil unserer selbst, ein Bestandteil unseres Körpers. Dann wird sie abgesondert, ausgeschieden und führt uns dabei unerbittlich den Weg alles Irdischen vor Augen. Mit Friedrich Schiller bzw. Franz Moor aus den "Räubern" gesprochen: "Der Mensch entsteht aus Morast, und watet eine Weile im Morast, und macht Morast, und gährt wieder zusammen in Morast, bis er zuletzt an den Schuhsohlen seines Urenkels unflätig anklebt. Das ist das Ende vom Lied". Der Rest ist Schweigen. Scheiße.

derStandard.at: Was ist Ihr nächstes Projekt? Vielleicht Kannibalismus, denn in Dunkle Materie reißen Sie immer wieder die Einverleibung an?

Werner: Ich bin durchschaut... In der Tat organisiere ich gerade eine Lesung in Berlin, die sich dem Thema Kannibalismus widmet. Mein nächstes Buch wird sich aber einem sehr viel stilleren, dezenteren Thema widmen: der Schüchternheit. Keine 'schmutzigen Wörter' kommen darin vor. Kein Gangsta Rap. Wahrscheinlich noch nicht einmal Kühe.

derStandard.at: Planen Sie in nächster Zeit nach Österreich zu kommen?

Werner: Ich überlege gerade, den nächsten Sommerurlaub auf einer österreichischen Berghütte zu verbringen. Hoffentlich ergeht es mir dabei besser als dem Privatdetektiv Brenner aus dem letzten Wolf Haas-Krimi: Der wird auf einer Kitzbüheler Alm vom Bösewicht in einer Jauchegrube versenkt. Aber immerhin trifft er dort unten dann den lieben Gott! Auch ein Aufenthalt in der Scheiße kann also etwas Gutes haben. (Eva Tinsobin, derStandard.at, 06.04.2011)