Zaha Hadid und ihr jüngstes Architekturprojekt, das Opernhaus von Guangzhou in China: 

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Standard: Die meisten Ihrer Kulturprojekte werden derzeit in Fernost realisiert. Liegt dort die neue Keimzelle der Architektur?

Hadid: Ich arbeite derzeit an mindestens genauso vielen Kulturbauten in Europa wie in Asien. Aber eines stimmt gewiss: Bei den großen Projekten in China hat es sich früher hauptsächlich um kommerzielle Bauten gehandelt. Erst jetzt beginnt ein Umdenken, China erkennt nun die Wichtigkeit kultureller Einrichtungen.

Standard: Wie kam der Wandel?

Hadid: Die Chinesen haben eine steile Lernkurve. Sie haben schnell von uns gelernt. Sie haben gelernt, dass man mit kommerziellen Bauten alleine keine Gesellschaft bauen und erweitern kann. Also fangen sie jetzt an, Kultur zu machen.

Standard: Und was lernen wir von den Chinesen?

Hadid: Geschwindigkeit! In China geht alles Schlag auf Schlag. Man gewinnt den Wettbewerb, erhält den Auftrag, baut, kurz darauf ist Eröffnung. Das ist die Besonderheit in asiatischen Kulturkreisen wie China, Taiwan oder Südkorea. Es gibt keine so große Schwerkraft im Bauen wie bei uns.

Standard: Planung und Errichtung des neuen Opernhauses in Guangzhou, Ihres jüngsten Projekts, haben acht Jahre lang gedauert.

Hadid: Ja, und für eine völlig neue Kulturinstitution ist das gar nicht lange. Sie dürfen nicht vergessen: Früher war hier grüne Wiese. Man kann nicht einfach anfangen zu bauen und während des Baus die Grundrisse planen wie bei einem Bürohaus. Das ist viel komplexer.

Standard: Der Saal erinnert an eine futuristische Auster. Woran dachten Sie, als Sie die Grundstruktur entworfen haben?

Hadid: Sicher nicht an eine Auster! Aber ja, ich hatte eine organische Morphologie im Sinn. Ich wollte eine weiche, intime, lebendige und pulsierende Gebäudelandschaft schaffen. Das ist eine sehr gute Methode, um ein großes Volumen planerisch in den Griff zu kriegen. Außerdem finde ich, dass man mit organischen, asymmetrischen Strukturen nicht nur die interessanteren Räume bauen kann, sondern auch eine interessantere Akustik erzielt. Der Schall bricht sich nicht so erwartungsgemäß.

Standard: Aktuell bauen Sie in Wien das Library and Learning Center (LLC) auf dem WU-Campus im Prater. Viele bezeichnen das Gebäude jetzt schon als das neue Wahrzeichen von Wien.

Hadid: Es ist definitiv ein neues Wahrzeichen für den Universitätsbau. Ich bin froh, dass so ein innovatives Projekt auf einem Campus realisiert werden kann. Im angloamerikanischen Raum sind die Campus-Anlagen nämlich alle sehr konservativ. Hier in Wien entsteht etwas völlig Neues.

Standard: Das Neue daran?

Hadid: Lernen und Studieren bekommt einen neuen Stellenwert. Ein derart innovatives LLC auf einem Campus ist mir nicht bekannt.

Standard: 2010 wurden Sie zum "Unesco Artist for Peace" ernannt. Warum?

Hadid: Ich habe keine Ahnung, was das ist. Aber es ist nett, dass man das Gefühl vermittelt bekommt, helfen zu können, oder wie auch immer.

Standard: Gleichzeitig listet Sie das "Time Magazine" unter die "100 einflussreichsten Menschen der Erde". Sind Sie's?

Hadid: Architektur ist ein toughes Business. Wenn man mittendrin steht und den ganzen Tag nur kämpft, dann kommt man sich nicht besonders einflussreich vor. Man will alles nur besser machen. Einfluss hin oder her.

Standard: Früher wurden Sie oft dafür kritisiert, dass Ihre Projekte unbaubar seien. Heute bauen Sie. Was ist passiert?

Hadid: Meine Projekte waren niemals unbaubar. Es ist nur eine Frage des Standpunkts. Was sich geändert hat, ist die dogmatische Haltung der Kritiker.

Standard: Welche Träume haben Sie heute?

Hadid: Ich möchte mich von Zwängen nicht einschüchtern lassen. Am Ende des Tages siegen Modernität und Zukunftsgeist. Darum und nur darum geht es. (Wojciech Czaja/DER STANDARD, Printausgabe, 6. 4. 2011)