Dirk Stermann und Christoph Grissemann auf der Kaffeehausstegterrasse des Schlosshotels - dort war noch alles gemütlich, im Villacher Shopping-Center dann nicht mehr.

Foto: Thomas Rottenberg

Bisher dachte ich, dass Austria eben "a too small country" sei, um Ex-Kollegen nicht ständig zu treffen - bis ich in Villach Flipflops kaufen wollte. Denn als eine Durchsage durch die Shoppingmall dröhnte, gab es keinen Zweifel mehr: Das galt mir. So viele Zufälle kann es nicht geben: Stermann stalkt mich. Seit Jahren. Jahrzehnten - im Wortsinn. Und auch wenn ich das nicht wahrhaben, nicht sehen, nicht akzeptieren wollte - und nicht verstehe, wieso Stermann das tut: Seit der Durchsage im Shoppingcenter ist klar: Ich habe einen deutschen Verfolger.

Dabei war ich nur für den schlagartig ausgebrochenen Sommer nicht gerüstet. Und als ich mich dann im Schuhgeschäft des um diese Zeit gähnend leeren Villacher Shoppingcenters wunderte, wieso man Supermodels als Designerinnen von Flipflops ausloben kann und irgendjemand deshalb 40 Euro für Einwegschuhe hinlegt, die es bis vor kurzem um drei Euro gab, kam die Durchsage: Der Kabarettist, Buchautor und TV-Star Dirk Stermann würde in wenigen Augenblicken hier, in der Mall, aus seinem aktuellen Buch lesen - und Autogramme geben.

Erkenntnis

Außer mir, einer Verkäuferin und einer Handvoll Mall-Bums, die mit trüben Augen die Schaufensterdekorationen hypnotisierten, war da niemand. Aber Stermann würde kommen. Und dann kam die Erkenntnis. Der Gedanke war bereits wenige Minuten zuvor aufgeblitzt, als ich im Buchsupermarkt vor der Bestsellerwand gestanden hatte und mir der Deutsche gleich zweimal (als Einzelautor in der Riege von Glavinic, Geiger und Beckett ganz oben und mit Grissemann bei den Neueinsteigern) entgegengegrinst hatte. Jetzt war der Gedanke wieder da - und blieb: Es ging um mich. Ausschließlich um mich. Wohl seit Jahren - aber nun setzte Stermann zum Frontalangriff an.

Ich rekapitulierte: Auf der Autobahn hatte ich dreimal den Sender gewechselt - und jedes Mal war ich auf Stermann gestoßen (worden): Zweimal als Werbestimme. Dann bei den Berufsjugendlichen von FM4 nicht als Mietling, sondern als er selbst - so, wie kurz davor in Velden.

Da hatte ich nämlich nichtsahnend auf der Kaffeehausstegterrasse des Schlosshotels gesessen. Otto Retzer gab drei Tische weiter irgendwem ein Fernsehinterview. Unsere Glatzen spiegelten um die Wette. Plötzlich senkte sich eine Pranke auf meine Schulter. An der hing ein Arm - und an dem Stermann. Er sei, erklärte er, heute hier. Im Casino träte er auf. Mit Grissemann. Und - hoffentlich - vor Publikum. Ob ich denn auch ...? Ich winkte ab, und erläuterte meinen Fluchtplan. Stermann nickte. Dann plauderten wir von jetzigen und alten, gemeinsamen Zeiten.

Biographie-Hopping

Kurz nur. Weil es alt macht, an "Vor-20-Jahren"-Geschichten zu denken, etwa an die Radio-Lehrredaktion von Musicbox und Zick Zack. Und die Geschichten, wie sich Wege dann trennten, sich aber doch - und da grinste Stermann, ohne dass ich es zu diesem Zeitpunkt verstand - immer wieder ge- und überkreuzt hätten.

Wir haben unseren Geschichten-Kanon: Wie skurril es heute klingt, dass es vor 20 Jahren ein echter Kampf war, eine deutsche Stimme on Air gehen zu lassen. Wie erstaunt wir jenen jungen Mann namens Robert Kratky aus dem Landesstudio Salzburg beäugten, dessen omnipräsenter Eifer und Perma-Fröhlichkeit erste Sendboten einer Epoche waren, die vor allem die Leute von der Musicbox schon damals mit nachgerade seherischem Entsetzen erfüllte.

Wie wir einst die erste Signation für Grisse- und Stermann bastelten: "Du, Rottenberg, hast ,Hänschenklein' gepfiffen, die Doris Glaser oder die Angelika Lang sagte 'Salon Helga' - und Mirjam Unger, Elisabeth Scharang und noch zwei Frauen riefen im Chor 'mit Hans-Herbert und Hans-Christoph' - dann kam der Föhn." An dieser Stelle lacht man über die damaligen Low-Tech-Späßchen - die aber funktionierten.

Wiedersehen

Dann erinnert man sich an die diversen Wiedersehen: Bei Drehs, in diversen Talkshows ("Du warst bei uns - aber wann sind wir denn mal bei dir? Wir können schreiben!"), in Studios, auf Charity-Laufstegen, Flughäfen, Parties, Preisverleihungen und Gästelisten von Events, auf denen man nie war. Und in 1001 Beisl-Situationen wie dieser: "The world in Austria is too small ..." kommt da unweigerlich. Ich habe mir dabei nie etwas gedacht. Bisher.

So auch diesmal. Doch weil Ster- und Grissemann halt doch als Promis durchgehen, wollte ich dann ein Foto. Die beiden mit Otto Retzer. "Ob...", grinste ich. Grissemann lachte. Aber Stermann fuhr mich an: "Unverschämtheit ... Privatsphäre ... Paparazzi ... In den See ..." und so weiter. Wir kuderten - und ich knipste dezent vor mich hin. Ohne Retzer. Aber wurscht.

Er werde mich schon erwischen, feixte mich Stermann an, als ich die Bilder dann online stellte. Er zeigte auf "Lisa", den aktuellen Glavinic, der vor mir auf dem Tisch lag: Das, was Glavinics Phantom Lisa mit ihren Opfern tue, sei gar nichts - und dass jener Mann, der bei Glavinic versuche, Lisa zu entkommen, meinen Vornamen trage, solle mir zu denken geben. Grissemann lachte wieder. Ich auch. Dann fuhr ich nach Villach - und beim Flipflop-Kauf verging es mir dann. (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 5.4.2011)