Wie viele Glaserl waren es denn gestern Abend? Dies wäre jemand vor vier Wochen noch gefragt worden, hätte er ernsthaft erklärt: Bald schaltet die deutsche Kanzlerin Atomkraftwerke ab, demnächst wird ein Grüner Ministerpräsident.

Doch dann kamen die Atomkatastrophe von Fukushima und etliche deutsche Landtagswahlen. Und nun ist in der deutschen Politik vieles ganz anders als noch vier Wochen zuvor. Bundeskanzlerin Angela Merkel, oft als zu zaudernd und zu zögerlich kritisiert, bleibt gar nichts anderes übrig, als zum großen Besen für den Frühjahrsputz zu greifen und Althergebrachtes zu entstauben.

Zunächst muss sich Merkel auf neue Köpfe einstellen. Das mag sie nicht besonders gern, davon zeugen ihre spärlichen Kabinettsumbildungen. Dennoch ist auch ihr klar, dass der Rückzug von Guido Westerwelle als FDP-Chef unausweichlich war. Eine Partei, die bloß noch mit einer Obmanndebatte beschäftigt ist, gibt keinen guten Partner ab und beschädigt die ganze Regierung.

Äußerst fraglich jedoch ist, ob Westerwelles Verbleib im Außenamt noch gerechtfertigt ist. Seit seinem Amtsantritt im Herbst 2009 konnte er nur mit einer Initiative punkten: Er verhalf Deutschland zu einem nicht-ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat. Doch diesen Erfolg hat er gerade erst durch die Isolation Deutschlands bei der Resolution für eine Flugverbotszone über Libyen wieder zunichte gemacht.

Jetzt steht seine Partei nicht mehr hinter ihm, wie soll da Merkel vertrauensvoll mit ihm zusammenar- beiten? Vielleicht wird sie ihm persönlich klarmachen müssen, wofür die Kraft der jungen FDP-Nachrücker nicht reicht: Es ist nicht nur halb vorbei, sondern ganz.

Nicht einfach wird für Merkel auch die bevorstehende inhaltliche Neuausrichtung. Natürlich wird sich die FDP jetzt, nach Westerwelles Abgang, mühen, sich breiter aufzustellen und ein paar Worte mehr als "Steuersenkung jetzt!" zu vermitteln. Das birgt gleich beim aktuell brisantesten Thema Konfliktstoff. Zwar rückt auch Merkel gerade von der Atomkraft ab, aber der Feuereifer, mit dem dies nun manche Liberale tun, empfinden viele in der Union als beunruhigend.

Unruhe und Konflikte kann Merkel jedoch keine mehr brauchen. Ihre wahltaktische atompolitische Kehrtwende haben ihr die Deutschen sehr übel genommen, das barsche "Drüberfahren" im Konflikt um den Stuttgarter Superbahnhof Stuttgart 21 ebenso. Daraus hat die Kanzlerin gelernt. Sie will diesmal eine AKW-Lösung, die nicht nur von ihrer schwarz-gelben Koalition und den AKW-Betreibern akzeptiert wird, sondern sucht auch Konsens mit der Opposition.

Apropos Opposition. Auch hier ist einiges im Fluss. Es ist ja nicht gesagt, dass sich die FDP rasch von ihrer Krise erholt. Aus zwei Landtagen (Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz) flog sie heuer schon, in Baden-Württemberg reichte es nicht mehr für eine schwarz-gelbe Regierung. Bleibt die FDP auf diesem Abwärtstrip, braucht Merkel einen neuen Koalitionspartner, um sich selbst an der Macht zu halten.

Kühl analysierend wird sie daher ein Auge auf die Grünen werfen, erst recht nach Fukushima. Dort gibt es ja auch für CDU-Leute wählbare Pragmatiker wie Winfried Kretschmann, den neuen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg. Als "Hirngespinst" jedenfalls bezeichnet Merkel die schwarz-grüne Option nicht mehr. Das kann sie sich momentan nicht leisten. (Birgit Baumann /DER STANDARD, Printausgabe, 5.4.2011)