Geplantes Outfit: Die vom ORF vorgesehene Songcontest-Garderobe hat Alf Poier verschmäht und wieder zurückgeschickt.

Foto: STANDARD/Cremer

(Zum Vergrößern)

Ein vom Kabarettisten verfasster Blick in die Zeit nach dem großen Auftritt.

Foto: DER STANDARD
Wien - Wie schaut Alf Poier aus, nachdem er den Songcontest gewonnen hat?

"Das ist der Zeitpfeil." Der Kabarettist deutet auf die vor ihm liegende Zeichnung (siehe das von ihm gemalte Bild links) und erklärt: "Die ganze Welt steht auf Wellen, das ist die wahre Welt unter Wasser, dort, wo alles hingeht. Ich steh' ganz hoch droben auf einem Stipfl in einem Kübel. Alle Leute unten können mich sehen, weil ich ja gewonnen habe. Ich kann aber die Leute nicht sehen. Vom Himmel fliegen die Geldscheine herunter, da steht 'The Wiener takes it all', weil ich in Wien lebe. Ich kann aber nicht so viel damit anfangen, deshalb habe ich auch die Hände verschränkt. Es entsteht eine gewisse Leere, deswegen kommt seitlich der 'Lautsprecher des Nichts'."

Botschaft

Alf Poier wird den Songcontest sicher gewinnen. Glaubt Alf Poier. Als ob das nicht schon Sensation genug wäre, hat sich der 36-jährige Kabarettist aus dem steirischen Judenburg auch eine Botschaft zurechtgelegt, die in die Welt getragen werden will. Und die der Komiker nun lautstark und nicht immer geschmackssicher vermittelt. Den Songcontest befindet er als "musikalischen Holocaust" und Europa als "geistiges und spirituelles Hiroschima". Immer schon habe er das Gefühl gehabt, er sei ein Auserwählter, ein "heiliger Clown, der dazu geboren ist, die Wahrheit zu sagen".

Und die lautet: "Ich wollte nie europäische Musikgeschichte schreiben, aber als Künstler, Philosoph und Visionär ist es meine heilige Pflicht, Europa eine geistige Ohrfeige zu erteilen, die es so schnell nicht vergessen wird. Ich bin die geile Amme, die ihre reinigende Milch in den stöhnenden Mund einer verkommenden Gesellschaft spritzen wird. Wenn Europa dazu bereit ist, sich der kollektiven Versumpfung hinzugeben, dann hat es keinen besseren Songcontest-Sieger als mich verdient."

Geile Amme

In einer seiner Visionen hat der "Messias des europäischen Stumpfsinns" gesehen, dass er den Bewerb gewinnen würde. Bisher hätten sich alle seine Visionen bewahrheitet. Insofern hat Poier nichts zu befürchten, auf Lettland freut er sich dementsprechend, dort hat er einiges vor. Den Bürgermeister von Riga will er aufsuchen in einem speziell angefertigten Kostüm: am Kopf trägt er einen Hut mit sieben Zylindern und an den Beinen eine aus sechs Paar Füßen bestehende Spezialkonstruktion. Rigas Stadtvater erhält als Gastgeschenk einen Ameisenhaufen. Mit dem Hinweis, dass die gesamte Ameisenpopulation genauso viel wiege wie die der Menschen.

Als Kasperl der Nation sieht sich der Steirer nicht. Stefan Raab? Nicht sein Humor, weil er sich nur "auf Kosten anderer lustig macht". Und Gildo Horn gehöre als Schlagersänger in eine andere Kategorie.

Vom ORF wenig Unterstützung

Der ORF habe ihn insgesamt wenig unterstützt. Ganz im Gegenteil, im Radio werde sein Lied überhaupt nicht gespielt. Poiers Wunsch, ein Fest vor seiner Abreise nach Riga im Chelsea oder im Flex zu veranstalten, wurde ignoriert. Einen Manuel Ortega wollten sie aus ihm machen, mit einem ganzen Karton von Auftrittskostümen. Hübsche Jäckchen und T-Shirts, nur leider nichts nach Poiers Geschmack. "Ich habe es zurückgeschickt. Mein Showgewand habe ich eigentlich schon jetzt an." Rote Jeansjacke, schwarzer Pulli, ausgewaschene Jeanshose, Bergsteigerschuhe. Das missfällt nicht nur dem ORF.

Mit seinem Individualismus ist Poier bereits mit so mancher TV- oder Wochenillustrierten aneinander geraten. Der Kabarettist verweigerte Interviews und wurde postwendend vom einen Blatt zum "Aufreger" stilisiert, vom anderen geflissentlich übersehen. Immerhin: Michael Jeannée habe umgeschwenkt und sei jetzt für ihn, erzählt Poier. In der "Kronen Zeitung" liest man plötzlich "ungewöhnliche Interviews" - im Gegensatz zu vor ein paar Monaten, als Poier noch "Schande" der Nation war.


Taubenbeschützer

Sein Lied "Weil der Mensch zählt" kümmert sich um Zwei-und Vierbeiner. Beide sind ihm gleich lieb, warum der Mensch sich selbst so wichtig nimmt, verstehe er nicht. Was Poier damit meint, veranschaulicht er an einer Geschichte: Unlängst erst sei er mit dem Auto durch die Stadt gefahren. Vor ihm vier Tauben. Poier bremste ab und nötigte das Fahrzeug hinter ihm zu einer Notbremsung. Der Lenker sei ausgestiegen und habe ihn wüst beschimpft, weil er ein Kind im Auto mitführe.

"Darauf habe ich gesagt: Na und? Wer weiß, vielleicht hat die Taube auch ein Kind daheim." Beruhigen konnte er den Erbosten mit dieser Erklärung freilich nicht.

Und wie verhält sich ein Messias nach dem großen Auftritt? Ob sich die 6000 Zuschauer in der Skonto Olympic Hall und das internationale Fernsehpublikum, das bis zu 300 Millionen Menschen umfassen kann, noch lange an seinen Auftritt erinnern werden, ist Poier trotz allen Sendungsbedürfnisses ziemlich egal. "Zuerst gehe ich zweieinhalb Monate auf Urlaub." (Doris Priesching/DER STANDARD, Printausgabe, 16.5.2003)