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Japan ist eine Nation von Fischessern. Ob Radioaktivität beeinträchtigt, ist noch nicht abzusehen.

Foto: Reuters/ Matko Biljak

64 Kilo Fisch, Muscheln, Garnelen und dergleichen - soviel Meeresgetier verzehrt ein Japaner durchschnittlich pro Jahr. Beim havarierten Reaktorkomplex von Fukushima drohen jedoch immer größere Mengen radioaktiven Materials in den Pazifik zu gelangen. Wird der Verzehr ihrer traditionellen Lieblingsspeisen für die Menschen des Inselreichs nun zum Risiko?

„Es kommt darauf an - auf die Menge, und auf das jeweilige Isotop", erklärt Internist und Nuklearmediziner Anton Staudenherz von der Universitätsklinik für Nuklearmedizin in Wien gegenüber dem STANDARD. Die Halbwertszeiten und die Radioaktivität seien eben sehr unterschiedlich. Jod-131 zum Beispiel ist zwar tückisch, weil es bevorzugt von der Schilddrüse aufgenommen wird und dort vergleichsweise schnell Krebs auslösen kann, doch diese Gefahr währt nicht lange.

Das radioaktive Jod hat lediglich eine Halbwertszeit von 8 Tagen. Andere Isotope strahlen dafür wesentlich länger. Die Halbwertszeiten von Sr-90 und Cs-137 liegen bei 28- und 30 Jahren. Und sie verhalten sich im Körper ganz anders. „Strontium-90 geht in die Knochen", so Staudenherz. Dort wird es ähnlich wie Kalzium fest eingebaut. So hat es alle Zeit, um mögliche Spätfolgen zu verursachen. Cäsium-137 dagegen lagert sich in erster Linie im Muskelgewebe ab und wirkt von da aus auf die Knochen und umgebenden Organe ein.

Bei der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl gelangten große Mengen Cs-137 in die Umwelt, auch in Seen, Flüsse und Meere. Wie an Land tauchten die strahlenden Partikel dort rasch in der Nahrungskette auf und reicherten sich darin an. Untersuchungen an finnischen Seen zeigten, dass von den Fischen zuerst planktonfressende Arten wie Maränen betroffen sind. Ein, zwei Jahre nachdem der radioaktive Fallout über die Gewässer niedergegangen war, erreichten die Cäsium-Konzentrationen in Raubfischen wie dem Hecht Höchstwerte. In einzelnen Fällen wurden bis zu 5800 Becquerel pro Kilo Fischfilet gemessen, die durchschnittliche Belastung für alle untersuchten Arten betrug, je nach See, 190 bis 3300 Becquerel pro Kilo.

Cäsium im Tunfisch

Die Konzentrationen des radioaktiven Cäsiums sind in den vergangenen 25 Jahren zwar kontinuierlich wieder gesunken, doch noch immer weisen Fische in vielen europäischen Gewässern und in der Ostsee erhöhte Strahlenwerte auf. Portugiesische Wissenschaftler fanden sogar in einem nahe der Insel Madeira gefangenen Großaugen-Thunfisch Cs-137, wenn auch nur 0,4 Becquerel pro Kilo. Solche Konzentrationen sind nicht mehr gesundheitsgefährdend. Zum Vergleich: Die alleine von Polonium-210 ausgehende natürliche Radioaktivität lag im selben Thunfisch bei 3 Becquerel pro Kilogramm Filet.

Wie stark sich Cäsium-137 in den japanischen Meeresgebieten und im Pazifik ausbreitet, lässt sich zurzeit nicht genauer beurteilen. Zumindest in der Region um Fukushima wird es vermutlich zu einer deutlich messbaren Anreicherung über die Nahrungskette kommen. Meeresströmungen können das radioaktive Material nach Osten transportieren, doch der Verdünnungseffekt dürfte dabei enorm sein.

Noch schwieriger einzuschätzen ist die Bedrohung, die von Plutonium (Pu) ausgeht. Es ist hochradioaktiv, giftig und in den Brennstäben des Fukushima-Reaktors Nr. 2 enthalten. Die Halbwertszeit für das Isotop 239 beträgt 24.000 Jahre. Aber: „Wenn Plutonium über das Essen aufgenommen wird, wird es kaum resorbiert und relativ schnell wieder ausgeschieden", sagt Anton Staudenherz. Problematischer ist die Inhalation von Plutoniumdioxid beladenem Aerosol. Beim Einatmen gelangt es zum Transfer in den Körper, zu 50 Prozent ins Skelett, etwa zu 30 Prozent in die Leber.

Die biologische Halbwertszeit liegt bei 50 bzw. 20 Jahren. Um tödlich zu sein, muss die Dosis im Bereich von 100 Millionen Becquerel liegen. In der Natur sieht das womöglich anders aus. Polnische Forscher fanden in Fischen aus der Danziger Bucht bis zu 2,34 Milli-Becquerel pro Kilo Pu-239-+240. Das meiste davon stammte aus Tschernobyl.

Interessante Messergebnisse kommen auch aus der Irischen See. Dort leitet die britische Wiederaufbereitungsanlage in Sellafield seit Jahrzehnten radioaktive Substanzen in das Meerwasser ein. Die irischen Behörden haben regelmäßig die Plutonium-Kontamination von Fischen, Muscheln, und Algen untersucht. Bei Dorschen und Schollen bleiben die Pu-Werte deutlich unter einem Milli-Becquerel/kg, bei Miesmuscheln von der ostirischen Küste wurden allerdings bis zu 43 Milli-Becquerel gemessen. Muscheln aus der direkten Umgebung von Sellafield strahlten sogar mit bis zu 35 Becquerel pro Kilo. Seetang kann ebenfalls relativ hohe Plutonium-Mengen aufnehmen. Hier zeigen die irischen Daten bis zu 3,26 Becquerel pro Kilo Trockengewicht. Für die Fischesser auf der grünen Insel bedeuten die Zahlen eine zusätzliche Strahlenexposition von jährlich bis zu 0,37 Mikrosievert. Ein geringer Wert.

Frage der Grenzwerte

Im Falle Fukushima ist laut Anton Staudenherz von einer akuten Gesundheitsgefährdung durch Fischkonsum nicht auszugehen. „Dann müsste man schon Tonnen verzehren, bis es Probleme gibt." Die Beurteilung von sich summierenden Wirkungen ist jedoch äußerst schwierig, betont Staudenherz. „Unter 100 Millisievert sind Spätfolgen der radioaktiven Strahlung wie die Entstehung von Krebs nicht gesichert nachweisbar, ab einem Sievert (1000 mSv) besthet ein Risiko von fünf Prozent, dass Krebs entsteht, so der Facharzt.

Für europäische Seafood-Fans dürfte die japanische Katastrophe keine Gefahr darstellen. Die von dort importierten Fischmengen sind minimal, Kontrollen können eine eventuelle radioaktive Kontamination wirksam nachweisen, meint Anton Staudenherz. Die vor gut einer Woche erfolgte Anhebung der EU-Grenzwerte bezeichnet der Nuklearmediziner aber als „bürokratischer Irrsinn". „Das trägt nur zur Verwirrung bei."  (Kurt de Swaaf, DER STANDARD Printausgabe, 04.04.2011)