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Vor Prozess-beginn saß Alexander W. geknickt auf der Anklagebank. Dann berichtete er in aller Ruhe, wie er das laut Anklage "fast perfekte Verbrechen" geplant und durchgeführt hatte.

Foto: APA/ROBERT JAEGER

Wien - "Wissen Sie, wie das ist, wenn man auf der Straße geht und in jedem, der einem entgegenkommt, einen Perversen sieht? Das ist nicht lustig, das ist irrsinnig anstrengend."

Es ist einer der wenigen Momente, in denen der Angeklagte richtig emotional wird. Der nun 21 Jahre alte Alexander W. ist ein schmächtiges Bürschchen, lediglich 1,63 Meter groß, und wirkt in seinem Anzug, in den er locker zweimal hineinpassen würde, ein wenig verloren.

Innerlich scheint der Installateurlehrling das nicht zu sein, denn in aller Ruhe und Selbstverständlichkeit berichtet er dem Schwurgericht, warum und wie er in der Silvesternacht 2009 einem ihm unbekannten Mann ins Gesicht geschossen hatte.

"Affenartige Liebe"

Auslöser dieser Tat war eine Nacht im Mai 2009 gewesen - in der seine damals 19-jährige Verlobte nicht nach Hause gekommen war. Eine junge Frau, der der Angeklagte in "affenartiger Liebe" zugetan war, wie es sein Verteidiger Rudolf Mayer formuliert. Sie durfte sich nicht im Freibad im Bikini zeigen. Er verbot ihr sogar, sich tätowieren zu lassen, damit ja kein anderer Mann Kontakt mit ihrer Haut hätte.

Und dann sagte seine Verlobte nach jener Nacht im Mai, dass sie nach einer ausgedehnten Lokaltour bei einem Bekannten und einem anderen Mann übernachtet habe - aber sie könne sich nicht erinnern, was passiert sei.

Vergewaltigungsverfahren eingestellt

Alexander W. bestand auf eine Anzeige wegen Vergewaltigung. Doch das Verfahren wurde eingestellt. Denn im Zuge der Ermittlungen wurden zwar Verletzungen im Intimbereich festgestellt - aber die Frau hatte die beiden Männer bei den Einvernahmen nie belastet.

Ab diesem Moment hatte sich bei Alexander W. "der Verstand nach hinten verabschiedet. Ich war nur mehr angesteuert von der Wut", beschreibt er am Freitag im Wiener Straflandesgericht seinen damaligen Zustand.

Und er begann minutiös zu planen. Ein "fast perfektes Verbrechen" nennt Staatsanwältin Patricia Lendzian die Tat.

Videoaufnahmen

Die Adresse des Bekannten seiner Verlobten hatte Alexander W. vom Einstellungsbeschluss der Staatsanwaltschaft. Er besorgte sich ein Wertkartenhandy, rief den Mann an, sagte, er wolle ein Paket zustellen. Bei der Übergabe filmte er Harald W., sein späteres Opfer, mit einer Stiftkamera in seiner Brusttasche. Dieses Video zeigte er seiner Verlobten, um sicherzugehen, dass er ja den Richtigen im Visier habe.

Ein Freund besorgte ihm eine Waffe um 1000 Euro. Er selbst kaufte sich Kleidung, ein Handtuch, eine Sturmhaube und Einweghandschuhe - "wegen der Schmauchspuren".

Den Silvesterabend wählte er, damit der Schuss in der allgemeinen Knallerei nicht auffällt. Sein bester Freund besorgte ihm das Alibi: Jener fuhr mit dem Auto von Alexander W. nach Pressbaum, um dort eine Radarfalle auszulösen. Sogar das Handy des nun Angeklagten hatte der Freund im Auto - um nachweisen zu können, dass es an jenem Abend in Niederösterreich eingeloggt war.

Wortlos geschossen

Doch Alexander W. fuhr indes mit zwei weiteren Freunden zur Wohnung des Opfers. Mit einem "Z-Schlüssel" öffnete er das Haustor, ging zur Wohnungstüre, zog die Sturmmaske über - dann läutete einer seiner Freunde draußen bei der Gegensprechanlage an.

Als Harald W. die Wohnungstüre öffnete, schoss ihm Alexander W. wortlos ins Gesicht. Sah noch, wie der Mann nach hinten fiel. Dann lief er weg.

Aber auch nach der Tat blieb Alexander W. umsichtig. Holte sogar ein bereits weggeworfenes Wertkartenhandy noch einmal aus dem Mistkübel: "Es war noch aktiviert und der Akku drinnen. Das hätte man orten können."

"Nicht nur Rache"

Als die vorsitzende Richterin Beate Matschnig ihn nach dem Motiv fragt, erklärt der Angeklagte: "Es war nicht nur Rache. Es war auch, dass ich die ganzen Gedanken aus dem Kopf rauskrieg. Die Angstzustände, die Hilflosigkeit, das wollte ich alles loswerden."

Ob ihm die Tat leidtue? "Dazu gibt's eine ganz einfache Antwort: Ja, sicher. Wenn man daran schuld ist, wenn Eltern ihr Kind zu Grabe tragen müssen."

Und wie würde er jetzt reagieren? Würde er Harald W. nur eine Abreibung verpassen? "Ich habe dazugelernt", sagt Alexander W. "Egal, was man einem anderen antut, man fühlt sich nachher nicht besser. Nur schlechter."

Der Prozess wird kommende Woche fortgesetzt. (Roman David-Freihsl, DER STANDARD-Printausgabe, 2.4.2011)