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Unmut in Japan: Drei Demonstranten wurden am Donnerstag vor dem Hauptquartier des AKW-Betreibers Tepco in Tokio festgenommen. Auch in den Evakuierungslagern steigt der Frust.

Foto: Reuters/Kato

Tokio - Makiko Sato (Name geändert) ist verzweifelt. Sie sitzt im größten Flüchtlingslager Tokios und steht vor einem Dilemma. Soll sie nächste Woche mit ihren beiden Kindern zurück nach Iwaki oder nicht? Die 340.000-Einwohner-Stadt ist nur 40 Kilometer vom havarierten AKW Fukushima entfernt und liegt nur knapp außerhalb der Zone für Evakuierungen. Die Regierung hält die Lage in der Stadt für gesundheitlich unbedenklich.

Vor zwei Wochen war Sato aus Angst vor der Strahlung geflohen. Doch vor einer Woche sei schon ihr Mann zurückgegangen, um nicht seinen Job zu verlieren. Nächste Woche fange die Schule wieder an, und die Schule habe sie schon angerufen, erzählt Sato. "Ich habe das Gefühl, dass wir zur Rückkehr gezwungen werden."

Die Internationale Atomenergiebehörde hatte am Mittwoch noch empfohlen, innerhalb eines Radius von 40 Kilometern rund um das havarierte AKW Fukushima zu evakuieren. Also auch Iwaki. Nur Japan scheint 20 Kilometer als absolute Schutzzone und 30 Kilometer als freiwillige Evakuierungszone für ausreichend zu halten. Kabinettamtschef Yukio Edano lehnte eine Ausdehnung der Evakuierungen zum jetzigen Zeitpunkt ab.

Die Eltern fühlen sich von der Regierung im Stich gelassen. Denn sie müssen nun allein zwischen Strahlungsgefahr und vielleicht monatelangem Schulausfall abwägen. In beiden Fällen gefährden sie die Zukunft der Kinder. "Wir brauchen mehr Führung von der Regierung", sagt ein Flüchtling.

Langsam bricht der Frust durch den Panzer der Selbstkontrolle, durch den die Japaner die Katastrophen bisher so gefasst ertragen haben. Am Donnerstag kam es vor dem Hauptquartier des Betreibers der Krisenreaktoren, Tokyo Electric Power (Tepco), erstmals zu - für japanische Verhältnisse - gewalttätigen Protesten: Drei Studenten wurden festgenommen.

Die Regierung versucht weiter, mit internationaler Hilfe eine Verschlechterung der Lage an den Reaktoren zu verhindern. Dort steigt die Strahlung im Meer. Die USA wollen ein Team von 140 Spezialkräften schicken. Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy hat gestern bei seinem Besuch in Tokio weitere Hilfe angekündigt.

Der Besucher aus dem Élysée kam aber nicht, um vor nuklearen Gefahren zu warnen. Man solle die Atomkraft nicht mit "übereilten Entscheidungen" verurteilen, meinte er nach einem Treffen mit dem Ministerpräsidenten Naoto Kan. Vielmehr erlaube sie es allen Staaten, die energietechnische Unabhängigkeit zu wahren und gegen den Klimawandel vorzugehen. Er plädierte aber dafür, dass sich die Gruppe der 20 führenden Industrie- und Schwellenländer bis Jahresende auf weltweit einheitliche Sicherheitsstandards in AKWs einigen sollten. (Martin Kölling aus Tokio, DER STANDARD; Printausgabe, 1.4.2011)