Judith Denkmayr

Foto: Karola Riegler

"Journalisten lassen sich nur sehr schwer zur Medienkonvergenz erziehen", sagt Digital Affairs-Gründerin Judith Denkmayr, "bestenfalls sollten natürlich möglichst viele Redaktionsmitglieder im Social Web aktiv sein und auch medienübergreifend denken und arbeiten". Wie Journalisten mit Twitter umgehen und welche Medien auf Facebook ganz gut unterwegs sind, erklärt sie im derStandard.at-Interview.

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etat.at: Spiegel.de sucht derzeit Social Media-Redakteure. Macht es Sinn, dass in einem Medienunternehmen eigene Personen nur für Social Media zuständig sind oder soll jeder Redakteur im Netz aktiv sein?

Denkmayr:
Das hängt sehr stark vom bereits vorhandenen Personal ab - und vom Ausmaß der geplanten Social Media Aktivitäten. Bestenfalls sollten natürlich möglichst viele Redaktionsmitglieder im Social Web aktiv sein und auch medienübergreifend denken und arbeiten. Aus meiner eigenen Zeit als Online-Redakteurin weiß ich aber, dass dies in der Praxis so nicht funktioniert - es gibt immer ein "Stiefkind" unter den Kanälen - und Journalisten lassen sich nur sehr schwer zur Medienkonvergenz erziehen.

Meist sind auch die entsprechenden Kommunikationsstrukturen in den Häusern gar nicht vorhanden. Aus dieser Perspektive ist es durchaus vernünftig, jemanden mit dem Schwerpunkt Social Media zu engagieren, der einfach dahinter ist und die gewünschten Aktivitäten im Social Web nicht nur ausführt, sondern bestenfalls auch vorantreibt und weiterentwickelt.

etat.at: Apropos Medienkonvergenz: Die deutsche Twitter-Posse sorgte vergangene Woche für Diskussionen, wie beurteilen Sie die Einstellung des Journalisten?

Denkmayr: Ich würde sagen, dass der arme Mann sich vom Herrschaftswissen auf Twitter ausgeschlossen fühlt und darob so wütend und verzweifelt ist, dass er gar nicht in Betracht zieht, sich mal damit auseinander zu setzen, wie man eigentlich an Twitter-Infos rankommen könnte. Offensichtlich serviciert die Pressestelle ihre Kunden so gut, dass sie dadurch das Recherchieren aufgegeben haben.

etat.at: Können Tweets Aussendungen per Mail ersetzen?

Denkmayr: Ich denke nicht, das Tweets Aussendungen per Mail ersetzen können oder wollen. Mail ist immer noch das meistgenutzte Webfeature überhaupt, egal wo, egal in welcher Zielgruppe. Twitter ist ein Feature für jene, die noch mehr wissen wollen. Aber ich sehe die Kernzielgruppe des @regsprecher nicht in Hauptstadtjournalisten sondern in einer interessierten, nicht-journalistischen Zielgruppe. Außerdem ist es auch ein präventiver Krisenkommunikationskanal.  

etat.at: Und wie gehen heimische Journalisten mit Twitter um?

Denkmayr: Zu Twitter kann man sagen, dass beinahe von jedem Medium dort bereits Journalisten/Mitarbeiter der Medien aktiv sind und sich dort sehr intensiv vernetzen und echten Mehrwert schaffen. Einziger Kritikpunkt: Journalisten vernetzen und kommunizieren bevorzugt mit anderen Journalisten.

Auf Twitter ist die Peergroup, bestehend aus Journalisten, PR- und Medienmenschen, Bloggern und Brancheninteressierten quasi unter sich, plaudert über die Branche. Davon abgesehen ist Twitter aber auch ein guter Ideenlieferant für Storys, ein Gradmesser für den Stellenwert von Themen in einer Gruppe von Opinion Leaders, ein Verbreitungsmedium für die eigenen Anliegen und Links. Und eine hervorragende, schnelle Kommunikationsinfrastruktur, ähnlich einem Chat.

etat.at: Medien auf Social Media-Plattformen: Welche Regeln müssen hier Journalisten und Medienunternehmen beachten? Ihre Tipps?

Denkmayr: Social Media braucht einen Mehrwert. Es ist nicht genug, einfach Links auf die eigene Website zu posten. Außerdem gilt es, die Erwartungshaltung der User von den Social Media-Aktivitäten der Medienunternehmer und Journalisten auszuloten. Viele möchten zum Beispiel Einblicke in den Arbeitsalltag in den Medien bekommen.

Ebenfalls ist die Kommunikation auf Augenhöhe mit dem User wichtig, nie sollte "Überlegenheit" in der Tonalität spürbar sein. Sinnvolle Inputs aus der Community sollten auch verarbeitet werden. Interaktion, Dialog und Gesprächsbereitschaft soll auf beiden Seiten stattfinden. Das heißt auch, dass man auch mal an Gesprächen teilnimmt, die inhaltlich nicht relevant sind, sozusagen "Small Talk" führt. Wer eine interessierte Community um eine Medienmarke aufgebaut hat, kann dann auch die User noch viel mehr einbeziehen.

etat.at: Wo stehen hier die heimische Medien im internationalen Vergleich? An welchen Medien können wir uns hier ein Vorbild nehmen?

Denkmayr: Manche der heimischen Medien sind ganz gut unterwegs, richtige Innovationen hat allerdings noch keiner gebracht. International ist natürlich "The Guardian" ein großes Vorbild, mit Blogs zum Data Journalism, eigenen Twitter Correspondents, die auch als solche auf der Website der Plattform agieren.

Die heimischen Medien scheinen mehr auf den vermeintlichen Heilsbringer "Apps" zu hoffen - und auch wenn die mobilen Zugriffe immer mehr steigen und das Surfen über Mobile Devices immer wichtiger wird, sind Apps weder technisch noch monetär die Zukunft.

etat.at: Sie sagen, manche Medien in Österreich sind ganz gut unterwegs. Wer schafft es am besten, die Facebook-Freunde einzubinden? Wo gibt es Verbesserungspotenzial?

Denkmayr: derStandard.at hat die beste Social Media-Integration auf der Website. Die vielen eigenen Pages auf Facebook gehen meiner Meinung nach nicht auf, der Inhalt bietet zu wenig Mehrwert gegenüber der Website. Auch wenn die Fanzahlen okay sind, ist die Interaktion eher bescheiden. Mittlerweile ist derStandard.at auch auf Twitter sehr gut vertreten.

"Die Presse" hat sich auf Facebook und Twitter wohl die URLs gecheckt um einen "Evil Twin" zu vermeiden, arbeitet offensichtlich gerade an einer Strategie. Kurier.at hat keine Social Media Integration auf der Website, die Facebook-Seite von  kurier.at verfolgt keine eigenen Strategie außer ein weiterer Distributionskanal zu sein.

Die "Kleine Zeitung" macht den Facebook-Auftritt ganz gut, hat eine aktive Community, die Einträge sind medienadäquat formuliert. Die Einbindung auf der Website ist allerdings fast unsichtbar.

"Biber" hat übrigens eine sehr nette und aktive Facebook-Präsenz und Community, die die meisten Bemühungen der Tageszeitungen in den Schatten stellt.

etat.at: Mittlerweile wird schon ein relativ hoher Prozentsatz der Zugriffe auf eine Onlinemedienseite via Facebook generiert, wie schätzen Sie hier das Potenzial für die nächsten Jahre ein?

Denkmayr: Die User bekommen durch ihre Social Streams ein maßgeschneidertes Contentangebot frei Haus geliefert - da gibt es also wenig Grund, noch irgend eine URL einzutippen und direkt anzusurfen. Dieser Dezentralisierungtrend wird weitergehen. (Astrid Ebenführer, derStandard.at, 4. April 2011)