"Lithuania/Slaughter" (1982) von Rimaldas Viksraitis.

Foto: Viksraitis

Wien – Zwei Welten prallen aufeinander und ergeben ein so erschreckendes wie kurioses und wirkliches Ganzes. The Real World heißt die Ausstellung in der Anzenberger Gallery, die erstmals in Wien sowohl das britische Magnum-Mitglied Martin Parr wie auch den litauischen Extrem-Lichtbildner Rimaldas Viksraitis zeigt. Beide haben über Jahre in ihren Fotografien den sozialen Alltag in den weniger glamourösen Vierteln ihrer Umgebungen aufgezeichnet, aller Romantik entkleidet und damit mit neuen, komplexen emotionalen Komponenten aufgeladen.

Während Viksraitis konsequent bei Schwarz-Weiß bleibt, stellt Parr die Urlaubstristesse im nordenglischen New Brighton umso bunter und greller dar. Ein Ringblitz half ihm, the last resort (den letzten Ferienort, aber auch den letzten Ausweg) so schonungs- wie schattenlos aufzuhellen. Seit damals, Mitte der 1980er-Jahre, ist der Fotoreporter der Farbe treu geblieben. Mittlerweile hat er die Idee, das Junkfood der spätindustriellen Freizeitindustrie zum Hauptdarsteller zu machen, nach Spanien und anderswohin exportiert. New Brighton aber war der Originalschauplatz, den man jetzt in Vintage-Prints erleben kann.

Parr war es auch, der Viksraitis 2009 auf dem Fotofestival von Arles für den Discovery-Preis nominiert hatte. Und der Litauer, der ihn prompt gewann, ist die fast noch größere visuelle Überraschung der Schau. Seine in jedem Sinn ungefilterten, drastischen Aufnahmen spiegeln eine Randgesellschaft wider, in der der Alkohol König ist und Scham nicht viel zählt. Die Menschen leben am Boden, nahe bei Tieren, nahe der Zerstörung. Manchmal blitzt Lachen auf, dem der Betrachter sich unwillkürlich anschließen möchte. Parr sieht seinen von einer Kinderkrankheit gezeichneten Kollegen als Geschichtenerzähler und als Regisseur. Seine Stücke lassen jedenfalls nicht gleichgültig.

Regina Anzenberger reagierte auf Nominierung und Preis und paarte die beiden zu der Verkaufsausstellung zusammen. In limitierter Auflage ist auch ein Buch über Parr/Viksraitis erschienen. Der Brite möchte wiederkommen: Die antiquarischen Bücher in Wien haben es ihm angetan. (Michael Freund / DER STANDARD, Printausgabe, 31.3.2011)