Türbanlı Erkekler

 

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Frau mit Kopftuch rückständig, Frau ohne Kopftuch modern, Frau mit Kopftuch am Steuer eines Landrovers die großartige Neuerung - das alles ist ja nun viel zu einfach. Als follow-up zur Geschichte über Hülya Kamci, der Vorsitzenden des Frauenverbands der türkischen Regierungspartei AKP in Balikesir, die bei den kommenden Parlamentswahlen kandidieren will und entschlossen ist, mit dem muslimischen Kopftuch im Parlament zu sitzen, sei auf einen schmalen Interview-Band hingewiesen, der vor einigen Monaten erschien und die Veränderungen in der Türkei im Umgang mit dem Kopftuch auszuloten versucht. Bemerkenswerter Titel: „Männer mit Kopftuch".

„Türbanlı Erkekler" ist eine Sammlung von Gesprächen der Journalistin Selin Ongun mit bekannten intellektuellen Türkinnen, die Kopftuch tragen. Eine Soziologin, eine Juristin, eine Ärztin, eine Künstlerin, mehrere Autorinnen - keine Sparte von Frauen, die von türkeiredenden Politikern und Wählern in der EU wahrgenommen wird. Die Schlussfolgerung aus diesen Interviews: Es sind die konservativ denkenden Männer, die die Frauen in das Schema Kopftuch/anständig oder rückständig pressen.

Die Malerin Hülya Yazici Aktaş etwa erklärt in „Männer mit Kopftuch":

„Wenn du ein Kopftuch trägst, kannst du nicht singen, keine Zigarette rauchen, du kannst nicht malen, zu einem klassischen Konzert gehen ... Männer sind auch der Ansicht, dass Frauen mit Kopftuch bestimmte Dinge nicht tun können, dass sie nicht an bestimmte Orte gehen können. Für mich aber ist es sehr wichtig, mit meiner eigenen Identität im gesellschaftlichen Leben zu existieren. Die Welt der Männer begrenzt das jedoch, verhindert es - die kemalistisch-westlichen Männer ebenso, vielleicht noch mehr als sonst jemand."

Am Bezeichnendsten ist der Fall von Merve Kavikci, jener Politikerin, die 1999 auf dem Ticket der später verbotenen islamistischen Tugend-Partei - eine der Vorläuferinnen der heutigen AKP - ins Parlament gewählt wurde und zur ersten Sitzung mit blauem Kopftuch erschien. Was dann geschah, beschämt heute nicht wenige der „bürgerlichen", westlich orientierten Politiker, die sonst inbrünstig an die strikte Trennung von Religion und Staat glauben. Kavikci wurde ausgebuht und von einer wild gewordenen Horde von Abgeordneten zum Verlassen des Plenums aufgefordert. Auf den Videos vom 2. Mai 1999 sieht man den damaligen Regierungschef Bülent Ecevit gestikulieren - er bot Kavikci einen Kompromiss an: ins Parlamentgebäude mit Kopftuch, im Sitzungssaal dann aber ohne. Die Abgeordnete lehnte ab. Der Ton des Videos ist offenbar manipuliert worden, nur am Ende hört man noch die „Dışarı, dışarı!"-Rufe („Hinaus!") der Abgeordneten:

Kavikci verlor kurz darauf ihr Abgeordnetenmandat samt türkischer Staatsbürgerschaft. Der Grund war, dass sie ihre im März 1999 erhaltene US-Staatsbürgerschaft nicht angegeben hatte. Die Juristin und Software-Ingenieurin zog daraufhin in die USA. In „Männer mit Kopftuch" stellt sie fest, dass heute viel mehr und vor allem jüngere Türkinnen Kopftuch tragen. Dann erklärt sie das Schablonen-denken der türkischen Männer - unter „konservativen" Männern versteht sie dabei religiöse konservative Türken; mit „Regime" meint sie den kemalistischen Staat:

„Ein konservativer Mann, der eine direkte Verbindung zwischen „modern" und „ohne Kopftuch" macht, ist jemand, der sich den Lehren des Regimes über „das, was zu geschehen hat" und „das, was nicht zu geschehen hat" unterworfen hat. Denn Modernität mit „unverhüllt sein" zu verbinden, ist eines der größten soziologischen Probleme des Regimes. Deshalb war das Regime schockiert, als ich in die Nationalversammlung kam: „Diese Frau ist in einer Form verhüllt, die außerhalb des Rahmens ist, den wir gezogen haben. Sie hat die Qualitäten, die wir für moderne Frauen festgesetzt haben. Sie kann sogar als ultra-modern bezeichnet werden. Aber es gibt ein Problem; sie trägt ein Kopftuch." Das Problem, das man aus dieser Perspektive sehen kann, haben konservative Männer auch. Am Ende machen konservative Männer ebenfalls eine Verbindung zwischen modern sein und kein Kopftuch tragen."