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Autistische Menschen sind in ihrem Sozialverhalten auffällig und haben oft Probleme mit dem sich Mitteilen und Verstehen.

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Menschen mit dem Asperger Syndrom interessieren sich häufig für bestimmte, teils ungewöhnliche Themen und sind in bestimmten Bereichen oft hochbegabt.

Foto: AP/Hermann J. Knippertz

Der Begriff Autismus wurde vor rund zwanzig Jahren mit dem Film "Rain Man" einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. Wir erinnern uns: Dustin Hoffman spielte den autisitischen Raymond, der über ein phänomenales Gedächtnis in mathematischen und visuellen Belangen verfügt, zugleich aber nur schwierig Beziehungen zu Menschen aufbauen kann, keinerlei Abweichung von seinem gewohnten Tagesablauf erträgt und an einfachsten Alltagshandlungen scheitert. Das also ist Autismus, dachten sich Millionen Zuseher des Hollywood-Streifens. "Autistische Menschen mit diesen Inselbegabungen, die über eine enorme Begabung auf einem bestimmten Gebiet verfügen, sogenannte 'Savants', sind allerdings selten", erklärt Erwin Hauser, Leiter der Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde am Landesklinikum Thermenregion Mödling und Berater bei der Autistenhilfe Wien. "Das autistische Spektrum ist je nach Schweregrad breit gefächert. Manche Betroffene können kaum sprechen und reagieren auch nicht auf Umweltreize, andere haben geistige Behinderungen, Ticstörungen, motorische Probleme oder Hyperaktivitätsstörungen, wieder andere sind in ausgewählten Bereichen hochbegabt."

Sprache, Stereotypien, Interaktion

Unter das autistische Spektrum werden verschiedene Entwicklungsstörungen subsummiert, die Betroffenen das zwanglose Herstellen von Beziehungen mit ihren Mitmenschen schwierig machen. "Autistische Kinder haben vor allem Probleme mit der Kommunikation und Sprache, zudem entwickeln sie Stereotypien", erklärt Hauser. Häufig können sie sich verbal und nonverbal schlecht verständlich machen, interpretieren Gefühlsregungen falsch und zeigen nur mangelhaftes Einfühlungsvermögen. Sie wiederholen stereotype Verhaltensmuster und haben oft sehr spezielle oder intensiv ausgeprägte Interessen. Autistische Menschen leben in ihrer eigenen Welt.

Die bekanntesten Formen aus dem autistischen Spektrum sind der frühkindliche Autismus und das Asperger Syndrom. Laut Österreichischer Autistenhilfe sind von 10.000 Kindern 63 von einer tiefgreifenden Entwicklungsstörung betroffen, 17 davon leiden an Autismus und 8 an Asperger Syndrom. Das Asperger Syndrom wird später diagnostiziert als der frühkindliche Autismus, der sich bereits vor dem dritten Lebensjahr bemerkbar macht. Kinder mit Asperger-Syndrom sind bezüglich Sprachentwicklung mit ihren Altersgenossen gleichauf und haben meist auch keine kognitiven Beeinträchtigungen. Die Diagnose fällt deshalb oft erst, wenn sie in der sozialen Integration - etwa im Kindergarten - besonders gefordert werden.

Was den frühkindlichen Autismus betrifft, zeigen sich die ersten Anzeichen relativ früh, vor allem die verzögerte Sprachentwicklung ist ein Kernsymptom. "Bei der Hälfte der frühkindlichen Autisten fehlt eine normale Sprachentwicklung. Asperger Autisten hingegen sind sprachlich oft sehr begabt, häufig ist die Sprache aber grammatikalisch und stilistisch anders strukturiert. Wenn sie reden, haben sie manchmal einen pedantischen Sprachstil, klammern sich eher an Details und haben vor allem Probleme mit dem Verstehen von Metaphern, Scherzen und Ironie", so der Kinder- und Jugendneuropsychiater. Auch stereotypes oder ritualisierends Verhalten wird von nahe stehenden Personen relativ rasch erkannt: Spielzeuge werden oft zweckentfremdet benutzt oder- etwa nach Farbe oder Größe - aufgereiht. Rituale wie das ewig gleiche Frühstück, das Sehen der gleichen Fernsehprogramme oder die tägliche Dusche zu einer festgesetzten Uhrzeit geben Betroffenen Sicherheit. Daher wehren sich autistische Kinder meist stark gegen Veränderungen, die außerhalb ihrer gewohnten Abläufe stattfinden: So können bereits umgestellte Möbel, ein unangekündigter Besuch oder ein anderer Schulweg Beunruhigung auslösen.

Auffälliges Sozialverhalten

Die soziale Interaktion ist ebenfalls auffällig. Besonders frühkindliche Autisten vermeiden Blickkontakt, sowohl mit unbekannten auch mit nahestehenden Personen wie den Eltern von klein auf. Gemeinsam ist den beiden Formen, dass Betroffene an der Freude oder am Ärger anderer Menschen nicht teilhaben können und Probleme mit körperlicher Nähe haben. Viele Autisten betrachten andere Menschen wie Gegenstände und tun sich in der Gesichts- und Emotionserkennung schwer. In Gruppensituationen, etwa im Kindergarten, stehen sie eher im Abseits, zeigen wenig Interesse daran, was andere Kinder machen und lassen sich oft nicht in Spiele integrieren.

Asperger Autisten haben im Gegensatz zur frühkindlichen Form häufig Probleme mit der körperlichen Motorik und fokussieren sich auf bestimmte, teils ungewöhnliche Interessen oder verfügen über ein lexikalisches Wissen auf einem Spezialgebiet. Dabei dominiert die reine Wissensspeicherung, das Wissen in größere Zusammenhänge einzuordnen, gelingt den meisten nicht. Der mittlerweile verstorbene US-Amerikaner Kim Peek, der als Vorlage für die autistische Hauptfigur des Films "Rain Man" galt, konnte etwa den Inhalt einer Buchseite in wenigen Sekunden speichern. Er kannte Tausende von Büchern auswendig und speicherte beliebige Daten wie Namen, Zahlen, den Kalender, das komplette Fernsehprogramm und alle Telefonvorwahlen der USA.

Kein "Erziehungsversagen"

Ein "Erziehungsversagen" der Eltern hat mit der Entwicklung autistischer Verhaltensprobleme nichts zu tun. "Früher hieß es schnell, die Eltern seien schuld. Das ist mittlerweile obsolet", erklärt Hauser. Die Ursachen autistischer Störungen sind bis heute noch nicht vollständig geklärt, die genetische Komponente scheint bei der Entstehung aber eine wichtige Rolle zu spielen. Die Diagnose einer autistischen Störung erfolgt im deutschsprachigen Raum mittels Diagnosekriterien der ICD-10 (International Classification of Deseases, Anm.) mittels standardisierten Fragebögen und Tests für Bezugspersonen und Kind, einer Verhaltensbeobachtung des Kindes sowie einer körperlichen, neurologischen und psychiatrischen Untersuchung. Trotz Diagnosekriterien verschwimmt die Grenze zwischen Autismus und anderen Verhaltensauffälligkeiten in Einzelfällen. "Es gibt natürlich Grenzfälle - das hängt wesentlich vom Störungsbild und der Erscheinungsform ab. Wenn ein Asperger Autist nicht besonders intensiv betroffen ist und einige gute Bereiche hat, die schwächere kompensieren können, ist die Diagnose durchaus schwierig", betont der Mediziner. Eine Diagnosestellung im Erwachsenenalter kommt bei unauffälligen Ausprägungen nicht selten vor.

Entgegen allgemeiner Erwartungen stellt die Diagnose "Autismus" für Eltern oft eine Erleichterung dar. "Die meisten Eltern haben meistens schon eine Odysee von einem Arzt zum anderen hinter sich, weil sie wissen, dass ihr Kind anders ist, aber nicht wissen, was anders ist. Mit dem Begriff Autismus fällt vielen ein Stein vom Herzen, weil sie dann einen Namen für diese Problematik haben", erzählt Hauser aus Erfahrung. Zudem kommt die gesellschaftliche Problematik hinzu, die für Eltern Druck und Stress bedeutet: Verhält sich ein Kind nicht so, wie es sollte, schreiben die meisten den Eltern die Schuld zu. "All jene, die außer den Eltern ebenfalls mit dem Kind zu tun haben - die Schule, der Kindergarten, der Hort, Freunde und Eltern der Freunde - sehen den Grund dafür im Versagen der elterlichen Erziehung. Gibt es eine Begrifflichkeit für diese Störung, dann tun sich viele leichter im Umgang mit dem Kind und den Eltern", so der Mediziner.

Problembereiche fördern

Da über die Ursachen von Autismus bisher noch zu wenig bekannt ist, ist eine kausale Therapie nicht möglich. Der Schwerpunkt der Therapie liegt deshalb auf der Reduzierung und Verbesserung der Symptomatik und erfolgt sehr individuell: Kommunikationsförderung, Sprachtrainings, die Weiterentwicklung des Sozialverhaltens und der Abbau von Stereotypien sowie weiterer Verhaltensauffälligkeiten und körperlichen Beschwerden ist das Hauptanliegen. Autisten haben gesellschaftlich anerkannte Verhaltenskodizes nicht intuitiv in sich, sondern müssen sie mühsam Schritt für Schritt erlernen. Ziel der Förderungs- und Therapiemaßnahmen ist es, die Betroffenen auf ein möglichst selbstständiges Leben vorzubereiten. Dabei sind auch die Eltern in einem großen Ausmaß gefordert. "Als Elternteil hat man gewisse Vorstellungen, wie ein Kind aufwächst und in Beruf und Familie glücklich wird, aber für diese Kinder ist Glück oft etwas ganz anderes. Für sie kann Glück sein, wenn sie die Straßenbahnlinien für Wien auswendig lernen und das muss man akzeptieren lernen", so Hauser. (derStandard.at, 01.04.2011)