Martin Säckl: "Lobbying kann immer nur der Versuch sein, ein Ziel erreichen zu wollen. Lobbying darf nie in die freie Meinungsbildung der Entscheidungsträger eingreifen."

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Martin Säckl – er ist Gründungsmitglied der Lobbying-Agentur eacon - European Affairs Consulting Group – arbeitet seit rund 12 Jahren als Lobbyist. "Die Causa Strasser ist ein klassisches Beispiel für die Korruption eines Mandatsträgers. Dieser Fall hat nichts mit einem echten Lobbyisten zu tun", sagt er im derStandard.at-Interview, "Mensdorff-Pouilly und Konsorten sind Handelsvertreter, die von einem zu vergebenden Budget ein großes Stück abbekommen wollen". Astrid Ebenführer befragte ihn nach seinem Tagesablauf und welche Auswirkungen die Strasser-Affäre auf ihn persönlich hat.

etat.at: Franz Fiedler, er ist Vorsitzender von Transparency International Österreich, meinte im "Club 2", Lobbyismus habe einen Hang zur Korruption, auch aufgrund der derzeitigen Rahmenbedingungen.

Säckl: Hier vermischt Fiedler etwas, genauso wie es auch die Journalisten in ihrer Berichterstattung tun. Geschäftsanbahner oder Handelsvertreter sind keine Lobbyisten, werden aber als solche genannt und verstanden. Mensdorff-Pouilly und Konsorten sind Handelsvertreter, die von einem zu vergebenden Budget ein großes Stück abbekommen wollen. Hier geht es ganz konkret um Geld. Und da gebe ich auch Fiedler mit seinem Ansatz von "Korruptionsneigung" Recht. Man muss hier nur das Beispiel der Vergabe öffentlicher Aufträge im Bausektor nennen. Je näher man am Finanztopf steht, umso größer ist die Verführung. Grasser und Konsorten sind das lebendige Beispiel dafür.

etat.at: Wo endet also Lobbyismus und wo beginnt Korruption?

Säckl: Die Causa Strasser ist ein klassisches Beispiel für die Korruption eines Mandatsträgers. Dieser Fall hat nichts mit einem echten Lobbyisten zu tun. Die in Brüssel in den Verbänden SEAP und EPACA organisierten Lobbyisten haben ausgeschlossen, irgendwelche finanziellen Anreize anzubieten. Ansonsten wird man aus den Verbänden ausgeschlossen. In der Praxis würde das das Ende der Karriere als Lobbyist bedeuten. Für die andere Seite – also die Beamten und Abgeordneten – gibt es ebenfalls Regeln, das darf man nicht vergessen.

Lobbying kann immer nur der Versuch sein, ein Ziel erreichen zu wollen. Lobbying darf nie in die freie Meinungsbildung der Entscheidungsträger eingreifen. Wenn mein Kunde der Koch ist, bin ich als Lobbyist der Kellner. Der Gast muss selbst entscheiden, ob er das Schnitzel isst oder nicht. Wer versucht, den Gast besoffen zu machen, damit dieser nicht mehr unter freiem Willen das Schnitzel isst, versucht Korruption. Dass das moralisch verwerflich ist, ist selbstredend. Aber niemand würde fragen, wo endet die Kellnerei und wo beginnt die Korruption?

etat.at: Ändert sich durch die Causa Strasser etwas für Sie als Lobbyist in Brüssel? Merken Sie schon erste Auswirkungen?

Säckl: Es gibt schon seit einigen Jahren eine Europäische Transparenzinitiative, der auch die Lobbyisten positiv gegenüber stehen. Die Causa Strasser bestätigt nur diese Entwicklung. Im Sommer wird es dann ein gemeinsames Register von Europäischem Parlament und Kommission geben. Das war aber schon vor der Causa Strasser so geplant. Nur als Österreicher wird man blöd angeredet und mit Rumänen und Bulgaren in einen wenig schmeichelhaften Topf geworfen.

etat.at: Verpflichtende Datenbank für Lobbyisten bzw. mehr Transparenz durch ein von Justizministerin Bandion-Ortner angedachtes Lobbyismus-Gesetz: Wie stehen Sie zu diesen Überlegungen?

Säckl: Grundsätzlich wie auch in Brüssel positiv. Es geht aber auch um ein sogenanntes "plain level playing field". Wenn Anwälte für ihre Mandanten Lobbying betreiben, müssen diese genauso transparent sein und dürfen sich nicht hinter der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht verstecken. Für rein anwaltliche Tätigkeiten habe ich da kein Problem, aber Anwälte sind oft auch als Lobbyisten unterwegs.

Für Österreich kommt mit der durch die Tradition der Sozialpartnerschaft entstanden Vorstellung von Interessensvertretung noch ein zusätzliches mentales Problem dazu. Die Gewerkschaften, Industriellenvereinigung und die ganzen Kammern werden sich kaum als Lobby verstehen. Unter internationalen Gesichtspunkten sind sie es aber ganz klar.

Wenn diese nicht im Lobbyismus-Gesetz dabei sind, ist nicht nur das gesamte Gesetz sinnlos, sondern dann wird Österreich auf europäischer Ebene wirklich mit Rumänien und Bulgarien auf eine Stufe gestellt. Dieser Schuss würde klar nach hinten los gehen.

etat.at: Wenn wir schon bei Transparenz sind: Was machen Sie als Lobbyist genau? Wie sieht Ihr Tagesablauf konkret aus?

Säckl: Ich gehe es gemütlich mit dem Zeitungslesen im Kaffeehaus an. Danach Monitoring von elektronischen Medien, die auf EU- oder kundenrelevante Themen spezialisiert sind. Mit dem am Vorabend auf Veranstaltungen erfahrenen Informationen filtere ich die für den Kunden relevanten Informationen heraus und berichte sie. De facto ist diese Arbeit ein Limitieren der Massen an Informationen auf verdaubare Häppchen. Sollte aber eine später relevante Information nicht dabei sein, hackt mir der Kunde den Kopf ab.

Neben dieser täglichen Arbeit gibt es unterschiedliche Schwerpunkte wie Strategieentwicklung. Allein die Frage, was wir eigentlich von der EU wollen, ist für einen Kunden – meistens ein Verband – gar nicht so einfach zu beantworten. Auch da gibt es interne Entscheidungsfindungsprozesse. Hier helfe ich dem Kunden, diesen Prozess zu entwickeln, bin also mehr ein Organisationsberater. Wir organisieren bespielsweise ein Public Affairs Committee eines Patientenverbandes oder einen Public Affairs Workshop in einem Unternehmen. Dort diskutieren Juristen, Kommunikationsfachleute und die Geschäftsführung über ihr politisches Umfeld.

Konkret sind da Räume zu buchen, Termine zu koordinieren, Inhaltliches vorzubereiten, Reisen zu organisieren etc. Sobald diese "Wunschliste" entstanden ist, werde ich wieder zum Politikberater und helfe, diese Wünsche auf jene zu reduzieren, die tatsächlich eine Chance auf Verwirklichung haben. Schlussendlich wird überlegt, wie man dem Politikbetrieb diese Ziele "verkauft". Da bringe ich also meine langjährige Erfahrung ein.

etat.at: Wie geht's dann weiter mit dieser "Wunschliste"?

Säckl: Will nun mein Kunde, sobald es notwendig sein wird, auch seine Interessen vertreten, dann muss zuerst die Reputation aufgebaut werden. Man isst nur das, was man kennt. Das gilt auch für Parlamentarier und Beamte. Diese brauchen Fachkompetenz von außen und sie werden diese Fachkompetenz eher zulassen, wenn sie deren Qualität schon kennen. Die Glaubhaftigkeit der Fachkompetenz kann man mit Studien, Statistiken, Fach-Workshops, Artikeln oder Diskussionsveranstaltungen erarbeiten.

Beamte, Parlamentarier und Journalisten sind wie Menschen im Supermarkt, die zu einem Markenprodukt greifen, weil sie auf dessen Qualität vertrauen. Hier bin ich also in der Rolle eines Marketingexperten. Sollte einmal ein Fehler – also qualitativ schlechte Information – geliefert werden, hat nicht nur der Kunde für die nächste Zukunft einen Schaden sondern auch ich als Agenturlobbyist.

etat.at: Wie bringen Sie dann diese Kundenwünsche in die Gesetzgebung ein?

Säckl: Gibt es nun eine aktuelle Gesetzgebung, wo es ein Interesse der Mitgestaltung gibt, muss ich alles über den laufenden Prozess in Erfahrung bringen. Wer in Kommission, Rat und Europäischem Parlament ist daran beteiligt? Wie läuft das Prozedere ab? Wer sind sonstige "Stakeholder" und welche Interessen haben diese? Sobald es möglich ist, versuche ich Termine in der Kommission auszumachen, die ja den Gesetzesentwurf schreibt. Die Kommission möchte auch von sich aus erfahren, wie sich diese mögliche Gesetzgebung auf meinen Kunden auswirkt und welche Vorschläge er hat. Das macht die Kommission mit allen Stakeholdern. Ich muss also gewährleisten, dass mein Kunde dabei ist. Wer sich nicht meldet, dessen Interessen werden höchstwahrscheinlich übersehen.

Erst wenn dieser Gesetzesvorschlag in das Europäische Parlament kommt, versuche ich auch, die Abgeordneten und Ausschusssekretariate zu kontaktieren und mache Termine aus. Ein solcher Termin wird von mir organisiert und ich briefe meine Kunden davor. Den Termin nimmt aber dann mein Kunde selbst mit dem Abgeordneten wahr. Eventuell komme ich als Begleiter mit. Ich als Konsulent vertrete ja nichts. Ich helfe nur, meinen Kunden, sich besser zu vertreten. Kunden sind zum Beispiel ein Patientenverband, der eine Krankheitsgruppe vertritt, ein Unternehmen mit 2.000 Mitarbeitern weltweit, eine österreichische Kleinstadt, ein Branchenverband, eine Nichtregierungsorganisation.

etat.at: Und nach diesen Gesprächen wird über das Gesetz abgestimmt.

Säckl: Ja. Dann wird es richtig kompliziert. Manchmal gibt es über 400 Änderungsanträge. Welche sind nun gut und welche schlecht für meinen Kunden? Mit welchen kann man als Kompromiss leben? Auch das muss den Abgeordneten kommuniziert werden.

Im Grunde genommen ist meine Tätigkeit als Agenturlobbyist die überflüssigste Tätigkeit, die es gibt. Denn Politik ist genauso wie die Philosophie für jeden da und jeder kann sich daran beteiligen. Aber es kostet Zeit, braucht Erfahrung und ist mit mühsamer Vorbereitungsarbeit verbunden. Daher gibt es das Bedürfniss nach Unterstützung. Genau das bieten die Public Affairs-Berater. Im Grunde genommen funktionieren wir wie Anwälte, wir verkaufen unsere Zeit nach nicht unähnlichen Stundensätzen. (ae, derStandard.at, 28. März 2011)