Die Enthaltsamkeit der schwarz-gelben Bundesregierung zur UN-Resolution gegen das Gaddafi-Regime ist eben so skandalös und beschämend wie der Beifall aus den Reihen der roten und grünen Opposition.

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Die deutsche Bundeskanzlerin fährt in der Politik gerne auf Sicht, auf sehr kurze Sicht sogar. Wenn dann aber Nebel den Blick verstellt, man zudem des Fahrens nicht sehr kundig ist und dann noch, wie es gegenwärtig scheint, die Brille verlegt hat, dann kann es schon mal vorkommen, dass man sich in der Auffahrt einer Autobahn vertut und auf die falsche Fahrbahn gerät. Dies ist dann eine hoch gefährliche Situation und zwar nicht nur für einem selbst sondern vor allem auch für viele andere. Genau dies ist der deutschen Außenpolitik in der Causa Libyen geschehen.

Den eingetretenen Schaden für Deutschland und seine Außenpolitik kann man heute besichtigen: Die deutsche Politik hat in den Vereinten Nationen und im Nahen Osten ihre Glaubwürdigkeit eingebüßt, Deutschlands Anspruch auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat wurde soeben endgültig in die Tonne getreten, und um Europa muss einem echt Angst und Bange werden.

Die Geschlossenheit der Vetomächte und der Mehrheit des Sicherheitsrates, die Unterstützung von Arabischer Liga und der Organisation Islamischer Staaten, die Beteiligung zweier arabischer Staaten an der humanitären Militärintervention - was wollte die Bundesregierung eigentlich noch mehr, um zuzustimmen?

Was nützt denn ein laut vorgetragener Multilateralismus, was all die schöne Reden über das Völkerrecht, das vom Sicherheitsrat ausgeübt wird, wenn Deutschland einer Resolution zum Schutz der lybischen Bürger vor einem brutalen Regime, das mit allen Mitteln um sein Überleben kämpft, die Zustimmung verweigert? Nichts. Leere Worte. Und das wird man sich in der Region, in der Weltorganisation und bei unseren Freunden merken.

Mir bleibt da nur die Scham für das Versagen unserer Regierung und - leider! - auch unserer roten und grünen Oppositionsführer, die diesem skandalösen Fehler auch noch Beifall spendeten!

Außenpolitik heißt doch nicht, vor allem bella figura auf dem internationalen Parkett zu machen und ansonsten auf Provinzwahlen zu starren, sondern harte strategische Entscheidungen zu verantworten, selbst wenn sie in der Innenpolitik alles andere als populär sind.

Und man komme hier nicht mit der Enthaltung Russlands und Chinas. Deren Enthaltung war der Verzicht auf ihr Veto und damit de facto eine Zustimmung, die den Weg zur Intervention frei gemacht hat. Ganz anders dagegen wird Deutschlands Enthaltung gewertet, nämlich als faktisches Nein, weil es eben über kein Veto verfügt und zudem ein zentrales Mitglied von Nato und EU ist.

Ich weiß nicht, was sich der deutsche Außenminister dabei gedacht hat, als er sich zu Recht auf die Seite der arabischen Freiheitsrevolutionen stellte, später sich Beifall auf dem Tahrir-Platz in Kairo abholte, nachdem die Sache entschieden war, den Sturz Gaddafis und seine Überstellung an den internationalen Strafgerichtshof zu Recht forderte, nur um dann, als es im Sicherheitsrat zum Schwure kam, den Schwanz einzuziehen. Mit einer an Werte gebundenen Außenpolitik und mitdeutschen und europäischen Interessen konnte das nicht viel zu tun gehabt haben.

Die Lage in Libyen wäre gefährlich, man wolle nicht auf eine schiefe Ebene geraten und am Ende mit Bodentruppen in einem Bürgerkrieg enden, hieß es. Nun, wer Angst vor schiefen Ebenen hat, sollte die Bundesregierung meiden, denn dort balanciert man beständig auf mannigfachen schiefen Ebenen.

Die Mission in Libyen ist riskant, die neuen Akteure vor Ort unklar, ebenso die Strategie und die politische Zukunft des Landes. Nur können dies doch, angesichts der Alternative, dass Gaddafi kurz vor der blutigen Niederschlagung des Aufstandes stand und seine Macht erneut zu etablieren drohte, allen Ernstes keine Alternativen zum Handeln sein.

Libyen ist weder mit Afghanistan, noch mit dem Irak vergleichbar. Nach Afghanistan gingen die Deutschen und anderen Europäer aus "Bündnissolidarität," weil unser wichtigster Sicherheitsgarant, die USA, von dort am 11. September 2001 angegriffen worden waren. Und das mittlerweile in der deutschen Innenpolitik fast geschmähte Wort "Bündnissolidarität" heißt übersetzt nichts anderes, als dass andere (die USA und die Nato) für unsere Sicherheit sorgen und, wenn es sein muss, auch hoffentlich kämpfen werden. Und diese Garantie beruht nun einmal auf Gegenseitigkeit. Allein gelassen könnte Deutschland eines Tages in einer sehr prekären Lage aufwachen.

Und schon gar nicht kann man Libyen mit dem Irak vergleichen, wo die westliche Vormacht USA aus ideologischen Gründen und gegen die Mehrheit im Sicherheitsrat einen Krieg vom Zaun brach, der im Desaster enden musste und endete.

Wenn, dann lässt sich Libyen wohl mit Bosnien vergleichen. Es scheint, als hätte die bürgerliche Regierung heute die Position der Grünen von damals übernommen! Nur dass die damalige Ablehnung einer militärisch-humanitären Intervention noch etwas Tragisches an sich hatte, während das Verhalten der Bundesregierung heute nur noch als Farce zu sehen ist.

Wie der Balkan gehört die südliche Gegenküste des Mittelmeers zur unmittelbaren Sicherheitszone der EU. Es ist einfach nur naiv zu meinen, der bevölkerungsreichste und wirtschaftlich stärkste Mitgliedstaat der EU könne und dürfe sich da heraus halten. Wir reden bei dieser Region um vielfältige und unmittelbare europäische und deutsche Sicherheitsinteressen! Oder was glaubt die Bundesregierung, werden die humanitären und realpolitischen Konsequenzen eines blutigen Machterhalts von Gaddafi und seines Clans sein?

Auch der außenpolitische Kollateralschaden für die Europäische Union ist beträchtlich. Ausgerechnet Deutschland, das man fast als den Erfinder der gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik bezeichnen könnte, versetzt dieser mit seiner Verweigerung den bisher gefährlichsten Stoß. Fortan wird auch in der EU das Prinzip der "Koalition der Willigen" gelten, was Europa weiter schwächen wird.

Zieht man das Verhalten Deutschlands in der Frage Libyen mit seinem Jammern, Zaudern und Zögern bei der europäischen Konsequenzen der Finanzkrise zusammen, dann muss man sich ernsthaft Sorgen um die Zukunft Europas und des transatlantischen Bündnisses machen. Das Land scheint in einer Zeit in einem nach innen blickenden Provinzialismus zu erstarren, in der sein Potential, ja seine Führung mehr denn je gebraucht würde. Leider kann man dies vergessen. (DER STANDARD, Printausgabe, 26.3.2011)