Sogar bei bestem Wetter und Sonnenschein rumpelt man im Ärmelkanal über fette Wellen, weit entfernt von einer gemütlichen Kaffeefahrt mit halblustiger Unterhaltung.

Foto: derStandard.at/Mirjam Harmtodt

Die beiden Kanalinseln Jersey und Sark sind nur durch Fähren miteinander verbunden. Die Überfahrt dauert eine Stunde.

Eine resolute Gruppe britischer Senioren pfeift aufs Schlange stehen und marschiert an den anderen Wartenden vorbei zum Eingang. Ihr Ziel ist klar: die vorderste Sitzreihe mit freiem Fensterblick zum Bug. Die anderen Fährengäste müssen in den dahinter liegenden, weniger attraktiven Sitzreihen Platz nehmen, die silbergraue Front ist zahlenmäßig überlegen und zu keinem Kompromiss bereit.

Los geht der Ritt über die Wellen, die in rhythmischen Schlägen gegen den Bug donnern. Das Boot hebt sich bei jeder Welle in einem beängstigend steilen Winkel, segelt ein paar Meter durch die Luft und kracht im Anschluss wieder auf das Wasser, begleitet von dem jubelnden "Juhuu!", "Jipiieh!" und "Jauhh" der Senioren. Dazu reißen sie bei jedem Hoppser die Arme in die Höhe, das Bild erinnert an eine Achterbahnfahrt. Wir Hinterbänkler starren konzentriert geradeaus, wie es vom Bordpersonal empfohlen wurde, und hoffen abwartend misstrauisch darauf, dass sich das Meer beruhigt. Tut es aber nicht.

Eine halbe Stunde später hat sich das Bild gewandelt. Eifrige Damen, die eigentlich Getränke servieren sollten, laufen mit Eimern und nassen Fetzen durch die Reihen und versorgen die jämmerlich in ihren Sitzen sich krümmende Seniorengruppe mit kühlenden Tüchern für die Stirn. Auch die Geräuschkulisse hat sich geändert. Die Wellen werden nun begleitet von "Bööörks!", "Wuääää" und "Röööö" aus der ersten Reihe.

Die Kotzwelle mit entsprechender Geruchsbegleitung breitet sich, an der Front beginnend, Reihe um Reihe nach hinten aus. Gegen Ende der Überfahrt erinnert die Fähre an ein Geisterschiff voll blasser, jammernder Passagiere. Nasse Fetzerl für die Stirnpartien der Fahrgäste und Eimer auf dem Boden sollen helfen und schlimmeres vermeiden. Ich schließe die Augen, stecke mir die Finger in die Ohren und atme durch den Mund. Kurz vor dem Anlegen übergibt sich ein Achtjähriger weinend vor meinen Füßen, nachdem er bis zuletzt bewegungslos mit Blick ins Leere durchgehalten hat. (Mirjam Harmtodt/derStandard.at/06.04.2011)