Immer, wenn die ÖVP wieder einmal besonders unselig dahinstolpert, entsteht in diversen Zirkeln der Bundeshauptstadt ein Gerede, ob man nicht eine "wirtschaftsliberale" Partei gründen solle.

Das hat einerseits einen Hintergrund in der notorischen Unzufriedenheit vieler ÖVPler, andererseits aber in einer realen wirtschaftlichen und/oder soziologischen Entwicklung. Wer nicht Bauer oder Beamter oder (Beamten-) Pensionist ist, hat es schwer in der jetzigen Volkspartei. Und nicht nur dort.

Die jetzige Gerüchtewelle entstand offenbar aus dem Zorn im Parlamentsklub der ÖVP, den hauptsächlich ein paar Wirtschafts(bund)nahe Abgeordnete artikulierten. Auslöser war das politische Missmanagement der Causa Strasser durch Generalsekretär Fritz Kaltenegger, der versuchte, einen Mega-Skandal als "Zickenkrieg" zwischen Täter und Opfer (Karas) zu verharmlosen.

Beträchtlicher Unmut hatte sich aber schon vorher bei einer VP-Klubklausur angesammelt, als Finanz-Staatssekretär Reinhold Lopatka stolz ankündigte, man habe ein paar hundert zusätzliche Finanzbeamte, um Steuerprüfungen schärfer durchzuführen. Prüfungen bei wem? "Na, den Klein-und Mittelbetrieben."

Soviel zur ÖVP als Partei für den Mittelstand und für "Leistungsbereite".

Der Wirbel, der darauf intern entstand, wurde - zusammen mit immer deutlicheren Frustrationsbezeugungen des Wirtschaftskammerchefs Christoph Leitl - gleich als Parteigründungsinitiative und Spaltung der ÖVP missverstanden. Die derzeit feststellbare Wahrheit ist, dass etliche Topmanager und Unternehmen (nicht nur in der ÖVP) nach einem Mittel gegen die Reformunlust der Regierung suchen und dabei auch an eine "wirtschaftsliberale" Partei denken. Nur selbst hinstellen würde sich kein Generaldirektor.

Das Problem dabei ist, dass "wirtschaftsliberal" bei uns ein Pfui-Wort ist. Die Mehrheit glaubt an den Staatsinterventionismus und fühlt sich in unserer Klientelgesellschaft wohl, sofern sie zu einer bestimmten Klientel gehört.

Der Punkt ist aber, dass es mehr und mehr Menschen gibt, die nicht zu einer Klientel gehören. Es gibt ein paar hunderttausend Personen, um die sich die großen Interessenverbände und die Politik nicht wirklich kümmern. Dazu gehören die sogenannten "neuen Selbstständigen", Junge, die keine Anstellung kriegen, Ältere, die aus dem Job in die Frühpension gedrängt werden, junge Familien, die gerade so durch kommen, aber für sich und ihre Kinder mehr erreichen wollen.

Sie tun ihre Sache und sehen dabei, dass sich der Staat, die Parteien und die Interessenverbände um andere kümmern, z. B. um ÖBBler mit einem durchschnittlichen Pensionsantrittsalter von 52 Jahren. Oder um geschickte Sammler von "Wirtschaftsförderung". Sie sehen auch, dass privilegierte Gruppen jede Veränderung blockieren. Zusammengefasst kämen die schon auf eine Zahl, mit der man ins Parlament käme.

Das Kunststück wäre, diese Gruppen zu bündeln und zunächst überhaupt darauf aufmerksam zu machen, dass ihre Interessen in der jetzigen politischen Landschaft nicht vertreten werden.(Hans Rauscher, DER STANDARD, Printausgabe, 23.3.2011)