Der Unterricht in der Mehrstufenklasse der Rothenburgschule ist von den Prinzipien Maria Montessoris geprägt. So werden etwa geometrische Körper in offenen Lernphasen erarbeitet. Die "schlauen Köpfe" der Begabtenförderung Mathe liefern sich in der Schulbibliothek eine Polsterschlacht, bevor es wieder ans logische Denken geht.

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Wien - Der Container im Schulhof der Volksschule Rothenburggasse im 12. Wiener Gemeindebezirk ist türkis und hat viele schmale Fenster. Der Himmel ist grau, es regnet. Dass hier seit einem Jahr eine Vorzeigeklasse residiert, ist zunächst schwer vorstellbar. Doch im Inneren des Containers ist es bunt und hell. Von den Korridorwänden lachen sich verbiegende Keith-Haring-Figuren, und auch die beiden Räume der Mehrstufenklasse im ersten Stock wirken bunt und lebendig. Dinosaurier aus Alu- und indische Götter aus Goldfolie bevölkern die Wände.

Im ersten Raum ist es ganz still, nur aus dem zweiten Zimmer sind leise Stimmen zu hören. Dort sitzen 22 Kinder zwischen sechs und zehn Jahren auf einem quietschgelben Teppich rund um ihre Lehrerin Eva Laber. Zwischen ihnen liegen blaue geometrische Körper, die benannt werden sollen. "Was ist das?", fragt Laber, die einen Würfel in der Hand hält. Unabhängig vom Alter schießen die Hände der Kinder in der Höhe. Aufgeregt rutschen alle ein Stückchen näher an ihre Lehrerin heran. "Ein Kubus!", ist die Antwort, die von allen Seiten zu hören ist. "Klingt wie Kürbis", murmelt jemand und erntet Gelächter.

Lernen als flexibles Maß

Nachdem auch geklärt ist, was eine Kante von einer Ecke unterscheidet, löst sich die Gruppe auf, und gemeinsam mit der zweiten Lehrerin Andrea Brader erarbeiten die unteren beiden Jahrgänge der Mehrstufenklasse ihre eigenen Aufgaben. Mit dem Overheadprojektor möchte Laber den Älteren währenddessen ein Statistikbeispiel erklären. Doch als sie Leinwand und Projektor fertig aufgebaut hat, haben die Kinder ihre Diagramme schon zur Hälfte fertig gemalt. "Ist eh babyisch!", ruft Seif (10), woraufhin die Lehrerin seufzt. "Braucht ihr mich überhaupt?". Ein kollektives "Nein!" ist die Antwort, und noch bevor der Overhead wieder abgebaut ist, sind die Kinder zurück bei ihren Mitschülern, um ihre Diagramme fertigzuzeichnen.

Stundenlanges Sitzen und Frontalunterricht gibt es in der Mehrstufenklasse nicht. Zwar hat jede Schulstufe ihre eigenen Bücher, doch jeder arbeitet in seinem Tempo. "So können Kinder mit besonderen Begabungen oder Defiziten am besten gefördert werden", erklärt Laber, die die Mehrstufenklasse schon seit ihrem Startschuss vor fünf Jahren begleitet. Wer in Mathematik besser ist als seine Altersgenossen, rechnet einfach mit den Älteren in einer Gruppe. Die Beziehung zwischen den Kindern erinnert an Geschwister, die einander gegenseitig helfen. Wer eine Schulstufe überspringt oder wiederholen muss, kann dies tun, ohne den Klassenverband zu verlassen.

Denn Letzteres kann schwierig sein, wie Burcin (9) erzählt, die im Begabungskurs Mathematik Fehler in einer gespiegelten Zeichnung sucht. Dabei sitzt sie auf einer Stufe der kleinen Pyramide, die die Mitte der Schulbibliothek bildet. Überall liegen bunte Pölster verstreut, mit denen sich die Kinder gerade eine wilde Schlacht geliefert haben. "Das haben wir jetzt gebraucht, nach all der Aufregung um die Reporter, die uns besuchen kommen", lacht die Begabtenlehrerin Susanne Böschatt.

Nun ist aber wieder konzentrierte Ruhe eingekehrt, und jeder der zehn Viertklässler hat sich einen Platz auf der Pyramide, am Schreibtisch oder auf dem Boden gesucht, um das logische Denken zu schulen: Mit Soma-Würfeln (kleinen Holzklötzen, aus denen man verschiedene Figuren bauen kann), Pentominos (einem Puzzle aus zwölf verschiedenen Teilen, die aus je fünf Quadraten bestehen), Sudokus und gespiegelten Fehlerbildern wie jenem, über dem Burcin brütet. In der zweiten Klasse habe sie sich so sehr gelangweilt und sich schwierigere Aufgaben gewünscht, dass sie ihre Lehrerin für ein paar Stunden in die dritte Klasse geschickt hat, wo sie prompt blieb. "Am Anfang war ich schon schüchtern", erzählt Burcin. "Aber jetzt fühlt es sich an, als wäre ich immer schon dort gewesen", lacht sie. Im Enrichmentkurs ist Burcin zwar erst seit kurzem, aber dass es ihr dort viel mehr Spaß macht als in den normalen Mathematikstunden, weiß sie jetzt schon ganz sicher.

Die Begabungskurse, die parallel zum Regelunterricht stattfinden, gibt es für Mathematik, kreatives Schreiben und Naturwissenschaften. Böschatt, die auch ein paar Semester Biologie studiert hat, bietet für die Kinder auch kleine Forschungsprojekte an. All diese Angebote - die Mehrstufenklasse, die Begabtenförderung, und der generell Montessori-orientierte Unterricht - unterscheiden die Rothenburgschule von anderen Volksschulen. Deshalb wurde ihr auch 2008 vom Stadtschulrat das "Begabungssiegel" verliehen, das bislang nur acht Volksschulen in Wien tragen dürfen. Vier davon sind Privatschulen, die meisten liegen in eher bürgerlich geprägten Bezirken der Stadt. Die öffentliche Rothenburgschule mit ihrer Lage im multikulturellen Meidling und der Nähe zum früher so verrufenen Schöpfwerk sticht aus der Liste hervor.

345 Schüler mit mehr als zehn verschiedenen Muttersprachen werden hier unterrichtet. Und gar nicht so selten kommt es vor, dass besonders begabte Kinder vom Stadtschulrat während des Jahres in die Rothenburgstraße geschickt werden. Dass das Lernen gerade hier so gut funktioniert, überrascht Außenstehende und misstrauische Eltern immer wieder.

Die Herkunft als Chance

Die Antwort auf all die skeptischen Fragen sitzt im ersten Stock. Denn Direktorin Gabriele Edlinger sieht die Multikulturalität ihrer Schützlinge als Bereicherung und nicht als Hindernis. Begeistert erzählt sie von ihren Türkisch-, Bosnisch-, Serbisch- und Kroatisch-Lehrerinnen und den beiden Religionslehrerinnen, katholisch und muslimisch, die gemeinsam das Projekt "Globales Lernen" ins Leben gerufen haben. Warum vor Weihnachten der Nikolaus in die Schule komme, wenn ohnehin ein großer Teil der Schüler muslimisch sei, sei sie einmal gefragt worden. Die Antwort, erzählt Edlinger, hätten die Kinder selbst gegeben. Sie würden sich doch mit ihren Mitschülern freuen, wenn diese Weihnachten feiern.

Die Direktorin sprüht vor Energie, wenn sie erzählt. Ihr Büro blickt hinaus auf den Gang, und die Tür, über der Heinz Fischers Porträt gelassen wacht, schließt sich nie. Ständig stecken Lehrer, Schüler und Eltern ihre Köpfe in die Direktion. Edlinger jongliert mit Klassen, Lehrern, Förderkursen und Zertifikaten. Vor allem aber jongliert sie mit Stunden. Mit der immer kargeren Finanzierung den Standard zu halten, den sich die Rothenburgschule über die Jahre erkämpft hat, lässt sie bei allem Enthusiasmus manchmal ein wenig verzweifelt blicken. "Ich hoffe, dass nicht all unsere Projekte den Stundenkürzungen zum Opfer fallen", sagt die Direktorin. Doch ihr ist anzusehen, dass sie so schnell nicht aufgeben wird. (Johanna Tirnthal, DER STANDARD, Printausgabe, 16.3.2011)