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Atemschutzmasken, Schutzbekleidung und festes Schuhwerk schützen vor radioaktiver Strahlung.

Foto: APA/Günter Meier

Franz Kainberger (53), ist Facharzt für Radiologie und interimistischer Leiter der Abteilung für Neuro- und muskuloskeletale Radiologie an der Universitätsklinik für Radiodiagnostik in Wien. Seit 2005 Ist er Präsident des Verbandes für Medizinischen Strahlenschutz in Österreich.

Foto: Franz Kainberger

derStandard.at: Wasserstoffdetonationen, schmelzende Brennstäbe, drohende Kernschmelze und Reaktorexplosionen versetzen die Welt derzeit in Angst und Schrecken. Welche Gefahren drohen den Menschen in Japan konkret? 

Kainberger: Es sind zwei Szenarien möglich. Das erste wurde bereits am Samstag in Fukushima Realität. Es gab dort akute Probleme mit dem Kühlwasser, das zu kochen begann und zu einem enormen Druckanstieg im Reaktor führte. Um diesen Druck zu senken, haben Rettungskräfte die Ventile geöffnet und radioaktiven Wasserdampf abgelassen. Dieser hat sich dann in die Umgebung ausgebreitet. Das zweite Szenario ist ungleich dramatischer und hat ebenfalls schon stattgefunden. Ich rede hier vom Ernstfall einer Explosion, die eine wesentlich höhere Konzentration radioaktiv freiwerdender Substanzen nach sich zieht. 

derStandard.at: Was kann radioaktiver Wasserdampf den Menschen anhaben?

Kainberger: Radioaktiver Wasserdampf enthält verschiedene Substanzen, allen voran radioaktives Cäsium. Diese Substanz wird deshalb immer zitiert, weil sie am einfachsten messbar ist. Es finden sich aber natürlich auch noch andere Stoffe wie radioaktives Plutonium oder Strontium. Das Problem ist: Im Gegensatz zu radioaktiver Strahlung, die für medizinische Zwecke verwendet wird, handelt es sich dabei um eine für den menschlichen Organismus sehr aggressive Mischung. 

derStandard.at: Womit müssen die Menschen vor Ort also rechnen?

Kainberger: Solange die Dosis unter einem Sievert liegt, ist vorwiegend mit chronischen Veränderungen, also Langzeitfolgen zu rechnen. Das bedeutet, dass nach vielen Jahren die Krebsentstehungsrate steigt. Liegt die Strahlendosis über einem Sievert, dann entsteht bei Ganzkörperbestrahlung, ein akutes Strahlensyndrom. Von diesen akuten Folgen sind vor allem die Rettungskräfte vor Ort betroffen. Liquidatoren tragen zwar Schutzkleidung, trotzdem sind sie durch die hohe Intensität der Strahlung und der ständigen Gefahr einer drohenden Explosion einem hohen Risiko ausgesetzt.

derStandard.at: Was genau versteht man unter einem akuten Strahlensyndrom?

Kainberger: Das akute Strahlensyndrom ist eine Erkrankung, die in Körpergeweben beginnt, welche eine sehr hohe Regenerationsfähigkeit besitzen. Dazu zählen Blut, Magen-Darmschleimhaut und die Haut. Üblicherweise beginnt die Erkrankung mit Magen-Darm-Symptomen, sprich Übelkeit und begleitendem Kopfschmerz. Über starkes Erbrechen, Durchfall, Blutungen und massivem Flüssigkeitsverlust, kann es schließlich zu einem sehr bedrohlichen Schockzustand kommen.

derStandard.at: Sind diese Menschen zum Tode verurteilt?

Kainberger: Nein. Sie sind dann zum Tode verurteilt, wenn sie eine Ganzkörperdosis von sieben Sievert über eine Stunde hinweg, abbekommen. Das hat nach bisherigem Wissenstand noch niemand überlebt. Ganzkörperdosis heißt, der Mensch ist dabei vollkommen ungeschützt. Bei den letzten Strahlenunfällen ist es gelungen, Menschen bei rechtzeitiger und optimaler Behandlung nach einer Ganzkörperbestrahlung mit 4-6 Sievert, zu retten.

Nachdem die Rettungsmaßnahmen und die Versorgung in Japan um ein Vielfaches besser geworden ist seit Tschernobyl - dort hat nur das blanke Chaos geherrscht - ist auch anzunehmen, dass die Personen, die in eine eben solche schreckliche Situation geraten, sofort medizinisch korrekt behandelt werden. Vielleicht ist es dann sogar möglich Menschen, die mehr als 7 Sievert abbekommen, zu retten. 

derStandard.at: Zu retten heißt aber nicht, zu heilen. Mit welchen Folgen haben Menschen, die ein akutes Strahlensyndrom überleben, langfristig zu rechnen?

Kainberger: Eine körperliche Spätfolge ist die bereits erwähnte erhöhte Tumorrate, die oft erst im höheren Lebensalter auftritt. Dazu kann eine Schädigung der Keimzellen kommen. Das bedeutet Kinder mit Missbildungen können geboren werden. Dieser Aspekt wird in der Bevölkerung allerdings weit überschätzt. Natürlich gibt es solche tragischen Fälle, aber diese sind viel seltener als angenommen. Auch nach den Atombombenkatastrophen in Hiroshima und Nagasaki sind in diesen Städten anschließend nicht lauter Zombies auf die Welt gekommen. 

derStandard.at: Seit Tschernobyl streiten sich Experten regelmäßig darüber, welche Krankheiten als Folge der Verstrahlung auftreten können. Kann man denn Schilddrüsenkarzinome die Jahre später auftreten tatsächlich in Zusammenhang mit atomaren Unfällen bringen?

Kainberger: Das ist in der Tat schwierig. Es gibt aber Krankheiten, wo ein gesicherter Zusammenhang zu einem atomaren Unfall besteht. Dazu gehört der Schilddrüsenkrebs bei Kindern. Einem Kettenraucher, der heute Lungenkrebs hat und 1986 in Tschernobyl war, wird man allerdings schwer nachweisen können, ob der den Tumor vom Rauchen oder als Strahlenfolge entwickelt hat. 

derStandard.at: Sind Kinder denn eine besonders gefährdete Risikogruppe?

Kainberger: Der Unterschied liegt woanders. Bei Kindern entstehen bösartigen Erkrankungen relativ rasch, also bereits Monate bis Jahre nach der Exposition und es handelt sich fast immer um Schilddrüsen- oder Blutkrebs. Bei Erwachsenen entstehen die strahlenassoziierten bösartigen Erkrankungen erst Jahrzehnte später.

derStandard.at: Was ist mit psychischen Folgen nach atomaren Katastrophen?

Kainberger: Die psychischen Folgen wurden im Gegensatz zu den körperlichen Folgen in der Vergangenheit weit unterschätzt und sind nach solchen Katastrophen enorm. Diese Menschen leiden unter Angstzuständen und Depressionen. Darauf muss in Zukunft der Fokus gerichtet werden. 

derStandard.at: Wie können sich die Menschen in Japan jetzt noch schützen?

Kainberger: Wenn das Erdbeben die Häuser und die Infrastruktur nicht völlig zerstört hat, dann können sich die Menschen vor Ort sehr gut schützen, indem sie Atemschutzmasken, Schutzbekleidung, wie einen einfachen Regenschutz und festes Schuhwerk tragen. Solange die Fenster geschlossen und eventuell noch mit Klebestreifen abgedichtet sind, ist der Schutz eigentlich beinahe zu 100 Prozent gewährleistet. Soweit ich gehört habe, werden zum Schutze vor Schilddrüsenkrebs auch Kaliumjodidtabletten verteilt. 

derStandard.at: Müssen wir uns in Österreich fürchten?

Kainberger: Nach heutigem Stand des Wissens in keiner Weise. Was aber entscheidend ist, dass hier nicht unnötig Ängste geschürt werden. Dafür braucht es eine gute Informationspolitik. In Japan wird diese sehr restriktiv betrieben, das heißt Informationen werden erst an die Bevölkerung weiter gegeben, wenn sie wasserfest sind. Wir Europäer gehen dagegen sehr rasch in eine offensive Kommunikation und formulieren Dinge bereits auf Verdacht hin. Aktive Auseinandersetzung mit der Thematik ist auf jeden Fall gefragt. Hysterie ist nicht angebracht. (derStandard.at, 15.03.2011)